Umwelt

Es war einmal der Regenwald

Es ist das Märchen von einem wunderschönen Wald. Aber er ist bedroht, von einer Krankheit namens Gier. Gibt es ein Happy End?

Es war einmal in einem fernen Land ein Wald, in dem es jeden Tag regnete. Heiß und feucht und grün war es dort. Es war ein Wald wie aus einem Märchen, voller zauberhafter Kreaturen und tiefer Geheimnisse. Riesige Blätter wucherten dort, gigantische Bäume ragten hoch hinaus, ein würziger Duft lag schwer in der Luft. Der ganze Wald war so voller Leben, dass die Geschöpfe des Waldes auf verschiedenen Stockwerken existierten. Unzählige Kreaturen krabbelten und kletterten, spazierten und sprangen, schwammen und schwirrten darin herum. In der Erde verlief ein dichtes Geflecht aus Wurzeln, verbunden mit Myzel, weitläufigen Pilznetzwerken, die sich gegenseitig schützten und ernährten und durch komplexe chemische Signale auf dem Laufenden hielten. Auf dem Boden war es dunkel und feucht, denn die rankenden, blühenden Pflanzen darüber schluckten vergnügt das Sonnenlicht, ließen nur Bruchteile davon durch. Farne und Moose fühlten sich wohl hier unten.

Es war ein großer Wald – der größte tropische Regenwald der Welt. Er lag in einem Teil der Erde namens Südamerika. Mit knapp sechs Millionen Quadratkilometern war er rund 15 Mal so groß wie Deutschland. Hier floss der wasserreichste Fluss der Erde, der Amazonas, mit zahlreichen Nebenflüssen und Seitenarmen durch den Dschungel. In ihm tummelten sich rosa Delfine. Der größte Teil dieses Waldes, fast zwei Drittel, gehörte einem Land namens Brasilien. Der Wald war schon lange Hüter der Welt, sorgte für eine gesunde Atmosphäre, dafür, dass es nicht zu heiß wurde. Doch eine Gefahr drohte – für den Wald, und damit auch für die Erde und all ihre Lebewesen.

Darum dringt der Mensch immer tiefer in den Regenwald ein

Denn fern der Grenzen des Waldes hatte sich eine Krankheit ausgebreitet. Keine gewöhnliche, verursacht von Viren, Bakterien oder anderen winzigen Erregern. Nein, es war ein Parasit des Geistes, der die Menschen befallen hatte, der ihnen vorgaukelte, nur durch klingende Münzen, durch Besitz und durch Wohlstand glücklich werden zu können. Sie taten alles, um an Geld zu kommen. Nicht alle – aber genug von ihnen, um die Welt zu verändern.

Die Geister des Waldes waren beunruhigt und berieten sich. Ein Problem, das uns nicht betrifft, sagten die einen. Das wird nicht gut gehen, sagten die anderen. Mal abwarten, befand die Mehrheit. Und das taten sie. Die Bedrohung ging unter im mittäglichen Donner, dem Zirpen der Zikaden, dem Prasseln der dicken Regentropfen. Aber immer öfter lag nun der Geruch von Rauch in der Luft. Der Mensch kam immer näher, besessen vom Besitzenwollen. Er wühlte sich hinein in die Ökosysteme, mit Baggern und Bulldozern, mit Straßen und Sprengstoff, im Amazonas-Gebiet. Lange Zeit ging im Wald selbst dennoch alles seinen gewohnten Gang, folgte dem Kreislauf von Wachstum, Zerstörung und Wiedergeburt. Manchmal stürzten Urwaldriesen, rissen Lichtungen in die Dämmerung. Samen nutzten diese Chance, um schnell zu wachsen, um selbst einmal ein Riese zu werden und mit der Krone in den Himmel vorzustoßen, von wo aus man in alle Richtungen nur Grün in allen möglichen Schattierungen sah. In den Bäumen schliefen Faultiere. Schillernde Käfer und Kolibris sausten durch die Luft, Schlangen wanden sich um Äste, knallbunte Frösche badeten in Orchideenblüten, Ameisen wuselten ihren Geschäften nach.

Wie die Gier nach Land den Regenwald zerstört

Allmählich änderten die Dinge sich. Etwas nagte an den Rändern, bohrte sich in das Gewebe des Waldes, fraß an ihm mit kreischenden Maschinen und brüllenden Flammen. Die Menschen zerstörten den Wald. Nicht jene, die Teil des Waldes waren, die indigenen Völker, sondern die anderen, die mit den gierigen Augen, die auf den kahlen Ebenen voller Asphalt und Metall hausten. Sie wollten nicht die Schätze des Waldes, die der ihnen bereitwillig gegeben hätte. Sie wollten nicht seine Samen, Blüten, Früchte, seine noch unentdeckten medizinischen Wirkstoffe. Sie wollten auch nicht sein Holz – auch wenn das ein willkommener Bonus war. Nein. Es ging darum, den Wald verschwinden zu lassen, um an das Land zu gelangen, auf dem er wuchs. Um darauf Rinder weiden zu lassen. Oder Monokulturen aus Sojabohnen anzubauen, die man profitabel nach Europa verkaufen konnte, als Tierfutter. Es ging darum, die Erde wegzusprengen, um nach Eisen oder seltenen Erden zu schürfen. An dem Wald selbst war niemand interessiert. Außer jene, die ihn schützen wollten – Menschen, die noch nicht von der Krankheit befallen waren. Sie schufen Gesetze gegen seine Zerstörung.

Grüne Lunge

Im Amazonas-Regenwald ist so viel CO2 gespeichert, dass bei einer Vernichtung des Ökosystems eine so große Menge freigesetzt würde, wie sie die Menschheit in den vergangenen 15 Jahren weltweit produziert hat.

Schon jetzt speichern die Regenwälder einer Studie zufolge rund ein Drittel weniger CO2 als noch in den 1990er-Jahren. Laut brasilianischem Institut für Weltraumforschung (Inpe) wurden zwischen August 2019 und Juli 2020 fast zehn Prozent mehr Fläche gerodet als im Jahr davor. „Der Regenwald im Amazonas erzeugt die Hälfte seines Süßwassers selbst, durch einen Kreislauf aus Niederschlag und Verdunstung. Wenn aber ein bestimmter Prozentsatz des Waldes nicht mehr da oder zu trocken ist, klappt das nicht mehr“, sagt Roberto Maldonado vom WWF Deutschland. Dann drohe der Wald zu versteppen. Wo genau dieser point of no return liegt, weiß keiner, aber Maldonado schätzt ihn auf weitere 10 Prozent Entwaldung. Aktuell stehen noch rund 80 Prozent des Amazonas-Regenwalds.

So arbeiten die Feinde des Waldes

Doch die kranken Menschen waren gerissen, sie ließen sich nicht stoppen von Gesetzen. Günstiges Fleisch aus industrieller Tierhaltung war begehrt. Und diese Tiere wurden gefüttert mit Soja, und das kam aus Brasilien. Damit war Geld zu machen. Wer Land wollte, war findig. Zum Beispiel konnte man Landtitel fälschen, das war nicht schwer. Denn es war lange her, seit aufgeteilt worden war, wer welchen Anspruch auf welchen Flecken Land hatte, von welcher Flussbiegung zu welchem Baum. Also stellte man sich einfach selbst ein Dokument aus, das konnte man dann in eine Kiste mit ein paar Heuschrecken sperren. Durch Sekrete der Insekten vergilbte das Papier und sah alt aus.

Und mit diesem Stück Papier konnte man loslegen: Bäume fällen, das Unterholz lichten. Je weniger dort wuchs, desto trockener wurde das Land, und desto leichter war es, zum Ende der Trockenzeit alles in Flammen aufgehen zu lassen. Intakter Wald brannte nicht, aber gerodeter schon. Meist stoppte das Feuer denn auch an der Grenze von kaputtem zu heilem Wald. Übrig blieben verkohlte, noch schwelende Stümpfe und eine Schicht aus Asche, über die jene Tiere mit verbrannten Pfoten irrten, die nicht rechtzeitig hatten fliehen können. Die Asche und der Boden darunter waren fruchtbar, jetzt konnte Gras gesät werden. Und wenn das Gras da war, konnte man eine einsame Kuh daraufstellen – das Land galt so offiziell als Weide. Zusammen mit dem Heuschrecken-Landtitel hatte man sich Land erschlossen, mit dem man machen konnte, was man wollte – in der Regel Soja anbauen, so lange der Boden mitmachte. Dann zog man weiter. Mit furchtbaren Folgen.

Wie die Politik Gesetze zum Waldschutz umgeht

Die Bewohner der Erde stöhnten schon lange unter der zunehmenden Last des Kohlenstoffdioxids in der Atmosphäre. Das unsichtbare Gas, das die Menschen in die Luft pumpten, machte alles wärmer. Eis an den Polen schmolz, die Meeresspiegel stiegen, die Stürme wüteten heftiger und heftiger. Zum Glück gab es die grünen Lungen. Die tropischen Regenwälder, allen voran der im Amazonas-Gebiet, speicherten 17 Prozent des weltweit in Pflanzen gebundenen CO2, rund 250 Milliarden Tonnen. Sie passten gut auf dieses Zeug auf. Doch gegen die Flammen, die die Menschen legten, konnte der Wald sich nicht wehren. Immer schneller wurde das Gas in die Luft gefeuert, denn in der fernen Hauptstadt hatte ein neuer König die Geschäfte übernommen.

Der finstere Bolsonaro hatte vielen vieles versprochen, kümmerte sich aber vor allem um jene, die noch mehr Land und Geld wollten, als sie ohnehin schon hatten. Und diese Bösewichte waren dem Wald nicht freundlich gesonnen. Der König ließ verlauten, dass er ein Auge, wenn nicht gar beide, zudrücken würde, sollte sich jemand am Wald zu schaffen machen, Gesetze hin, Gesetze her. Es war ja schließlich sein Wald. Seine Schergen machten sich ans Werk, bedrohten und töteten Umweltschützer, versuchten, die indigenen Völker zu entzweien und zu vernichten. Sie rodeten und brannten so wild, dass der Rauch noch Tausende Meilen entfernt in der Hauptstadt zu riechen war. Ähnlich einem vertrockneten Blatt, an das man ein Feuerzeug hält, glühte der Wald nun von den Rändern her. Und je mehr er glühte, desto schneller näherte sich der Punkt, an dem das Blatt komplett in Flammen aufgehen würde – und der Regenwald zur Steppe werden.

Fatales Ende des Märchens vom Regenwald

Der magische Wald war nun in wirklich großer Gefahr und drohte zu sterben. Und mit ihm die Welt, wie wir sie kannten. Eigentlich hätte dem Märchenwald, diesem Riesenlebewesen, nicht viel gefährlich werden können. Die tropischen Regenwälder beherbergten Tausende und Abertausende von Arten, rund zwei Drittel aller Landlebewesen überhaupt. Diese immense Vielfalt machte derlei Ökosysteme recht widerstandsfähig, im Gegensatz zu Monokulturen, die sich anfällig für Krankheiten und Schädlinge zeigten. Und trotzdem schien er langsam, aber sicher unterzugehen.

Die neue und endliche Gefahr rüttelte die Geister des Waldes auf und sie berieten sich erneut. Doch niemand wusste, was zu tun war. Niemand stellte sich dem König in den Weg, niemand fand einen Weg, die Besessenheit des Menschen vom Besitzenwollen zu heilen. „Sollen sie doch unseren Wald vernichten. Sie werden sehen, was sie davon haben“, meinte schließlich der Älteste von ihnen leise. „Und wenn sie sich dann selbst ausgerottet haben, dann wird hier alles wieder wachsen, nach ein paar hundert oder tausend Sonnenkreisen. Wir aber werden überleben. Tief in den Winkeln, unter der Erde, an unsichtbaren Orten, in Samen und Zellen. Und wir werden zurückkehren. Ihren Wahnsinn können wir nicht heilen. Nur sie selbst.“ Das sahen alle ein. Damit beendeten die Geister ihr Treffen – und waren von keinem Menschen je mehr gesehen.

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