Im vergangenen Herbst hatte Manu Breuer (Name geändert) eine merkwürdige Phase. Sie kam morgens nicht aus dem Bett, fühlte sich lustlos und müde, hatte keine Energie. Das zog sich über Wochen hin. Bis sie sich überzeugen ließ, zum Arzt ging und in der psychiatrischen Ambulanz der Leipziger Uniklinik landete. „Möglicherweise eine Winterdepression“, vermutete die Fachärztin Madlen Prase.
Die Winterdepression ist eine spezielle Form der SAD, der Seasonal Affective Disorder oder Saisonal Abhängigen Depression. Und zunächst kaum von einer typischen Depression zu unterscheiden. Die Betroffenen sind niedergeschlagen oder fühlen eine große innere Leere, grübeln, können sich nicht konzentrieren, machen Fehler, sind erschöpft und ziehen sich zurück. „Ihnen fällt es schwer aufzustehen, zu duschen, der Haushalt bleibt liegen“, beschreibt Madlen Prase diesen Zustand.
Das Ungewöhnliche an der Winterdepression, so die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie: „Die Betroffenen leiden unter Heißhunger, nehmen deutlich an Gewicht zu und könnten die ganze Zeit schlafen.“ Während zur typischen Depression eher Appetitlosigkeit und Schlafstörungen gehören. Und: Typisch für diese Erkrankung ist ihr Auftreten im Herbst und Winter sowie ihr Verschwinden im Frühjahr.
Dunkelheit ist ein Auslöser
Warum es den einen trifft und die andere nicht, ist nicht bis ins letzte Detail erforscht. Als sicher gilt, dass die Erkrankung mit dem saisonalen Rückgang des Tageslichts zusammenhängt. Wenn die Dunkelheit zunimmt, bildet der Körper mehr von dem Schlafhormon Melatonin, vor allem auch tagsüber. Das entspannt, macht aber auch müde. Um Melatonin aufzubauen, verbraucht der Körper Tryptophan, das ihm dann fehlt, um das Wohlfühlhormon Serotonin herzustellen.
Wenn Stimmungstief und Müdigkeit nur tageweise auftreten und weniger stark ausgeprägt sind, ist die Rede vom Winterblues. Der trifft erstaunlich viele Menschen. 59 Prozent gaben 2020 bei einer Befragung durch das Meinungsforschungsinstitut Yougov an, sie hätten zumindest gelegentlich den Winterblues. Wer nur ein bisschen wintertraurig ist, kann sich gut selbst helfen.
Erste Hilfe bei Winterblues
5 Tipps gegen leichte Verstimmungen
- Tägliche Spaziergänge im Freien sorgen für Bewegung und mehr Licht. Mehr Tageslicht hilft den Schlaf-Wach-Rhythmus wieder einzupegeln.
- Täglich, auch sonntags, zur gleichen Zeit zu Bett gehen und zur gleichen Zeit aufstehen bringt den Rhythmus ebenfalls wieder in den Takt.
- Wer regelmäßig in einer Gruppe Sport treibt, bringt den Kreislauf in Schwung und pflegt soziale Kontakte – gut für die Psyche. Freunde und Freundinnen treffen unterbricht den Lauf des negativen Gedankenkarussells und bringt neue Perspektiven.
- Anderen helfen: Mit einer sozialen Aufgabe helfen Sie nicht nur anderen. Sie gewinnen neue Blickwinkel und machen sich selbst glücklicher.
- Wenn Müdigkeit und Antriebslosigkeit über zwei Wochen anhalten, sollten Sie ärztliche Hilfe suchen und abklären lassen, was dahintersteckt. Möglicherweise ist es dann doch mehr als eine jahreszeitliche Verstimmung. Erste Anlaufstellen sind auch die Deutsche Depressionshilfe oder die Deutsche Depressionsliga.
Bewegung und Licht bei Winterdepression
Ein bis zwei Prozent der Bevölkerung leiden unter Winterdepression, stellt Professor Ulrich Hegerl, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Depressionshilfe fest. Auf alle Fälle ist dann der Gang zum Arzt angeraten. Der Hausarzt oder die Hausärztin klärt ab, ob eventuell eine Fehlfunktion der Schilddrüse oder ein Vitamin-D-Mangel vorliegt und kann bei Verdacht auf Winterdepression eine Psychotherapie oder eine Ergotherapie mit psychosozialem Fokus verschreiben. Winterdepressive Patientinnen und Patienten an der Leipziger Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie lernen Entspannungstechniken, bekommen gezeigt, wie sie sich ausgewogen ernähren und wie sie ihre Tage strukturieren können – und sie sollen sich bewegen.
Morgens ist an der Leipziger Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie immer ein Spaziergang in der Gruppe angesagt, beliebt sind die Angebote zum Klettern oder zum Schwimmen. „Wer sich bewegt, produziert die Neurotransmitter Serotonin und Dopamin“, erklärt Madlen Prase. Dopamin wirkt antriebssteigernd, Serotonin sorgt für Ausgeglichenheit und positive Stimmung. „Viele müssen lernen, was ihnen guttut,“ sagt die Ärztin. Dafür bietet die Klinik regelrechte Genusstrainings – einen Einführungskurs in die Aromatherapie zählt sie auch dazu.
In der Klinik verbringen Winterdepressive jeden Morgen einige Zeit vor der Lichtwand. Wer daheim einer Winterdepression den Kampf ansagt, kann sich kurz nach dem Aufstehen 30 bis 40 Minuten unter einer Tageslichtlampe gönnen. Diese bringt in der Regel 10 000 Lux mit und darf kein UV-Licht ausstrahlen. Eine Besserung kann sich nach zwei bis 20 Tagen zeigen.
Johanniskraut und Schlafentzug bei SAD
In mittleren und schweren Fällen gehören Psychopharmaka zum klassischen Behandlungsspektrum. Johanniskraut, in der richtigen Dosierung angewendet, wirkt nachweislich bei leichteren depressiven Episoden. Das pflanzliche Heilmittel zeigt seltener Nebenwirkungen als einige synthetische Antidepressiva. Allerdings macht es empfindlich auf UV-Licht – beim Tageslichtspaziergang sollten Sonnencreme und Sonnenbrille Haut und Augen schützen. Es kann zwei bis drei Wochen dauern, bis die erhoffte Wirkung eintritt.
Richtig schnell hingegen wirkt bei vielen ein sehr einfaches Mittel: Schlafentzug. Die Erfahrung zeigt, dass zu viel Schlaf eine Depression verschlechtern kann.
Die Methode funktioniere bei Winterdepression gelegentlich schon nach der ersten Nacht mit nur vier Stunden Schlaf, sagt Madlen Prase. Sobald die Schlafdauer wieder steigt, lässt aber die Wirkung des Entzugs nach. Manu Breuer hat es in der Ambulanz in Leipzig zunächst mit Lichttherapie versucht. Das hat geklappt: Die Symptome wurden milder und verschwanden ganz, als das Frühjahr kam.
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