Es ist so weit: Für fünf Tage tausche ich Schreibtisch gegen Kuhstall, Drei-Zimmer-Wohnung im dritten Stock gegen Bauernhof, Immer-und-überall-verfügbar gegen Überhaupt-kein-Netz. Mit anderen Worten: Ich gehe Wwoofen. Wwoof steht für „Worldwide opportunities on organic farms“ und bedeutet so viel wie: „Freiwillige Mitarbeit auf einem Bio-Bauernhof gegen Unterkunft und Essen“.
Mit meinem Lebensgefährten Esa und unserer zehn Monate alten Tochter Finja mache ich mich auf den Weg von Fürth, 130 000 Einwohner:innen, nach Weikersheim, 5 000 Einwohner:innen. Dort holt uns Thomas ab und fährt mit uns ins zehn Kilometer entfernte Standorf, 35 Einwohner:innen. Er und seine Frau Sabine bewirtschaften „Bines Bio-Bauernhof“, 40 Hektar groß, mit Kühen, Schweinen, Hühnern, Gänsen, Enten, Eseln, Ziegen, Katzen und Bienen. An der Hofeinfahrt begrüßt uns das Schild „Bio-Eier – Selbstbedienung“. Beim Aussteigen werden wir gleich neugierig von einigen Hühnern beäugt, die gerade frei über den Hof spazieren. Die Gänse nehmen unsere Ankunft weniger freundlich auf, sie schnattern und fauchen uns an.
Bio zum Anfassen
Nach einem gemeinsamen Mittagessen macht Esa sich gleich nützlich und hilft, eine Grube vor dem Haus auszuheben. Beim letzten Starkregen ist Wasser ins Haus gelaufen und nun soll eine Abflussrinne installiert werden. Um halb sechs steht das erste Highlight unseres Besuchs an: Thomas nimmt uns mit zu Kaspar, Kasimir, Emma, Bune und Paul-Emil – den Eseln auf dem Hof. Nicht nur Finja ist begeistert. Wir füllen die Futternetze der Esel mit Heu und geben ihnen Wasser.
Mit der Dunkelheit gehen auch die Hühner zurück in ihre Ställe. Ich helfe beim Eier sammeln, Finja im Tragerucksack auf dem Rücken. Die Eier müssen genau gezählt und dokumentiert werden, für die Bio-Kontrolle.
Beim gemeinsamen Abendessen erzählen Thomas und Sabine Anekdoten übers Wwoofen: Zwei Mädchen aus Taiwan seien auch bei Regen und Matsch- wetter immer noch in Flipflops über den Hof gelaufen. „Solche Erlebnisse machen das Wwoofing aus“, sagt Thomas. Die beiden freuen sich, die Welt bei sich zu Gast zu haben: Seit 2008 nehmen sie Wwoofer:innen auf und hatten bisher schon über 300 Gäste.
Leben und Lernen auf dem Bauernhof, Menschen wieder mit dem Land verbinden, Bewusstsein und Wissen über den gesunden Anbau von Lebensmitteln fördern. So beschreibt Wwoof seine Ziele und betont, dass die Freiwilligen keine Angestellten ersetzen sollen und dürfen. Dennoch ist Wwoofing kein Bauernhofurlaub, sondern soll Austausch fördern und den Helfer:innen ermöglichen, mit Unterstützung der Gastgeber:innen ökologische Landwirtschaft mit ihren besonderen Praktiken und Methoden kennenzulernen.
Auf Bines Bio-Bauernhof sind die durchschnittlichen Wwoofer:innen zwischen zwanzig und dreißig Jahre alt. Aber auch eine Oma und ihr Enkel waren schon gemeinsam zu Besuch. Einige Helfer:innen waren sogar schon drei-, viermal da. Sabine und Thomas hatten Besuch aus China und Indien, aus Frankreich, Italien, Serbien und Griechenland, aber auch aus Venezuela, Alaska oder Mexiko. Früher kamen die Freiwilligen überwiegend aus dem Ausland, erst seit Corona hat der Hof mehr deutsche Helfer:innen. Zu einigen Ehemaligen bestehen mittlerweile enge Freundschaften.
Wwoofen ist kein Urlaub auf dem Bauernhof
Am nächsten Tag geht es früh raus: Während ich Finja und Esa noch ausschlafen lasse, sitze ich um 6.30 Uhr mit am Frühstückstisch. Es gibt selbstgebackenes Brot mit hauseigenem Honig und selbstgemachter Marmelade. Sabine fährt zum Markt nach Rothenburg, für mich geht es in den Stall. Nach Anleitung von Thomas versorge ich die Esel und miste ihren Stall aus, unter den wachsamen Blicken von Esel-Opa Kaspar, der schon über dreißig Jahre alt ist. Dabei wird mir ordentlich warm. Danach geht es zum Hühnerstallmisten und anschließend versuche ich mich bei den Gänsen beliebt zu machen, indem ich auch ihren Stall reinige. Das klappt nicht so ganz, sie sind eher skeptisch und ungehalten ob meiner Mühen.
Die morgendliche und abendliche Runde mit Füttern, Misten und Hühner rauslassen oder einstallen wird schnell zur Routine für uns, schon am zweiten Tag kümmern Esa und ich uns selbstständig um die Esel. Nur das Schweinemisten und Füttern bleibt Chefsache, das machen Thomas und Sabine selbst. In den Stunden dazwischen unterstützen wir, wo es gerade nötig ist: Wir kochen Mittagessen, sammeln, zählen und putzen Eier oder füllen selbstgemachten Likör in Flaschen und bekleben sie mit Etiketten.
Am Sonntag assistiere ich Sabine beim Brotbacken in ihrer eigenen Backstube und schaue ihr beim Tofumachen über die Schulter. Den Tofu macht sie aus selbstangebauten Sojabohnen, so, wie es ihr einmal eine Wwooferin aus China gezeigt hat. Esa stellt sich an den Herd und tüftelt rasch ein Rezept für Bratlinge aus den Sojaresten aus, die bei der Tofuproduktion anfallen.
Wenn gerade mal nichts zu tun ist, nutzen wir die Zeit, um uns mit den Hofkatzen anzufreunden, die neugierigen Schweine zu besuchen, Finja mit den Hühnern vertraut zu machen oder beim Spazierengehen die Gegend zu erkunden. Die „Bewährungsprobe“ bleibt uns bei unserem Besuch erspart: „Beim Kartoffelnernten trennt sich die Spreu vom Weizen“, erklärt Thomas lachend. Da erkenne man, wer das Wwoofen wirklich ernst nimmt und wer eher eine verklärt-romantische Sicht auf das Bauernhofleben hat. Nach einem halben Tag Kartoffelernte haben schon ein-, zweimal Wwoofer:innen ihre Taschen gepackt und sind wieder abgereist.
„Beim Kartoffelnernten trennt sich die Spreu vom Weizen“
Wie gesagt: Wwoofing ist eben kein Urlaub auf dem Bauernhof – eine gewisse Mitarbeit wird erwartet. Ungefähr einen halben Tag sollen die Gäste auf dem Hof mithelfen, die restliche Zeit ist Freizeit. Es stellt allerdings niemand streng die Uhr danach. Dienstagmorgen geht es schon das letzte Mal in den Stall, noch eine Runde misten und füttern, dann heißt es packen und Zimmer aufräumen. Esa und ich sind uns einig: Wir wissen zwar nicht, ob wir „das“ Wwoofen erlebt haben, denn jeder Betrieb ist anders. Aber wir würden – und werden – es auf jeden Fall wieder machen.
Die Wertschätzung für Bio steigt
Ob es unseren Blick auf Bio-Landwirtschaft oder Landwirtschaft allgemein verändert hat? Ein bisschen vielleicht und nicht mal so sehr durch die Arbeit selbst, sondern durch die Erzählungen von Thomas und Sabine: Einen Bio-Bauernhof zu führen bedeutet viel Arbeit und viel Kontrolle. Die mobilen Hühnerställe, einer davon Marke Eigenbau, einer als Fertigbauset vom Hersteller gekauft, wurden gleich dreimal geprüft. Vom Veterinäramt, der Baubehörde und der Bio-Kontrolle. Für die Ställe brauchen sie zwei verschiedene Eierstempel, die dementsprechend doppelt Kosten verursachen.
Aber von diesem Stress bekamen wir nichts mit. Im Gegenteil, für mich waren das seit Langem die stressfreiesten Tage überhaupt. Dass mein Handy außer als Wecker während der fünf Tage überhaupt nicht zum Einsatz kam, habe ich gar nicht gemerkt. Zu Hause essen wir die Eier mit viel größerer Wertschätzung. Es macht eben schon etwas aus zu wissen: Das Huhn, von dem dieses Ei kommt, habe ich selbst gesehen, gefüttert oder sogar gestreichelt.
5 Tipps für den Einstieg ins Wwoofen
Lust aufs Wwoofen bekommen? Was ihr wissen solltet
- Auf der Seite wwoof.de kann man nach Belieben nach Höfen in Deutschland stöbern. Zahlreiche Filterfunktionen helfen dabei, eine Vorauswahl zu treffen, beispielsweise nach Region, landwirtschaftlichen Techniken und Praktiken der Höfe wie Permakultur, Rinderhaltung, Imkerei und so weiter. Auch wichtige Kriterien wie Aufenthaltsdauer und Anzahl der Wwoofer:innen sind bei jedem Hof angegeben und in den Filtern voreinstellbar.
- Wer mit Kind oder Haustier Wwoofen gehen möchte, filtert am besten gleich zu Anfang nach den entsprechenden Höfen. So werden nur die Höfe angezeigt, bei denen auch jüngere oder mehrbeinige Wwoof:innen gerne gesehen sind.
- Die Entscheidung steht und der erste Wwoof-Aufenthalt soll geplant werden? Dann muss man sich für zwanzig Euro Mitgliedsbeitrag bei wwoof anmelden. Direkt über die Plattform kann man dann Höfe kontaktieren und für einen konkreten Zeitraum anfragen. Aber Achtung, gerade in den Wintermonaten haben einige Höfe auch „geschlossen“, weil es zu wenig zu tun gibt. Über die Chatfunktion kann man sich auch direkt austauschen und ein bisschen was über sich erzählen.
- Wwoofing gibt es nicht nur in Deutschland: In mehr als 130 Ländern weltweit beteiligen sich Höfe, teils über nationale Organisationen koordiniert, teilweise unabhängig davon nur über die internationale Plattform. Auf die Websites gelangt man ganz einfach über die Dachseite wwoof.net. Allerdings braucht man für jede nationale Organisation eine eigene Mitgliedschaft, deren Beitragshöhe von Land zu Land variiert, angefangen bei 10 Euro jährlich bis zu 35 Euro.
- Versicherungen sind in der Mitgliedschaft bei Wwoof nicht mit inbegriffen bis auf wenige Ausnahmen in einigen Ländern. Es empfiehlt sich daher, selbst eine Haftpflicht- und bei Auslandsaufenthalten eine Reisekrankenversicherung abzuschließen. Im Zweifelsfall lohnt es sich, bei der Versicherung nachzufragen, ob Wwoofing von ihr abgedeckt ist.
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