Leben

Vom Hexenbesen zum Heilmittel gegen Krebs

Die mythenumwobene Mistel stärkt bei einer Krebsbehandlung die körpereigenen Abwehrkräfte und verbessert die Lebensqualität. Damit zählt sie heute zu den bedeutendsten biologischen Therapeutika.

Die mythenumwobene Mistel stärkt bei einer Krebsbehandlung die körpereigenen Abwehrkräfte und verbessert die Lebensqualität. Damit zählt sie heute zu den bedeutendsten biologischen Therapeutika.

Die Mistel, die als Halbschmarotzer auf Bäumen lebt und sich wie ein Tumor verbreitet, ähnelt einer Krebserkrankung mit Metastasen. Entgegen jeder Logik sprießen die Mistelzweige unabhängig von der Jahreszeit wildwuchernd in den Bäumen – genau wie ein Tumor im Menschen. Aus diesen Eigenschaften leitete der Vater der Anthroposophie Rudolf Steiner (1861-1925) ihre Wirksamkeit als unterstützende Heilpflanze in der Krebstherapie ab. Nach Steiners Entdeckungen, entwickelte die Ärztin Dr. Ita Wegman zusammen mit einem Züricher Apotheker das erste Mistelpräparat. Dieses wurde dann in Iscador umbenannt und hat bis heute seine immunstärkende Wirkung in der Misteltherapie bewährt.

Was früher als Hokuspokus von der Schulmedizin belächelt wurde, kann nun sogar mit wissenschaftlichen Studien belegt werden: Die Eiweißverbindungen in der Mistel mobilisieren das natürliche Abwehrsystem des Körpers und minimieren die Nebenwirkungen einer Chemotherapie. Auch wenn einige Mediziner noch skeptisch sind, verschreiben viele andere ihren Patienten bereits eine Misteltherapie auf Kassenrezept. Mittlerweile erhalten bereits sechzig Prozent der Krebspatienten diese ergänzende Therapie.

Vielseitiges Talent. Auch bei anderen Krankheiten zeigt die Mistel ihre Stärken: Während Pfarrer Kneipp die Mistel im 19. Jahrhundert lediglich für die Blutstillung einsetzte, nutzt man die immunstärkende Wirkung der seltenen Eichenmistel heute sogar bei chronischer Leberentzündung. Und der Arzt Dr. med. Andreas Reimer beschreibt die Mistelbehandlung als Alternative zur Interferontherapie bei chronischer Hepatitis C.

Die immergrüne Pflanze gilt als heilsam bei Bluthochdruck, Epilepsie, Menstruationsbeschwerden und Schwindel. Bereits zwei Tassen Misteltee täglich sollen bei Schwindelattacken helfen und vorArteriosklerose schützen. Kombinierte käufliche Pflanzenpräparate mit Weißdorn unterstützen das Herz und regulieren den Blutdruck. Und die positiven Eigenschaften sind spürbar.

Inhaltsstoffe der Mistel. Das ursprüngliche „Hexenkraut“ gehört mittlerweile zu den am besten untersuchten Heilpflanzen mit einem reichhaltigen Spektrum an Inhaltsstoffen. Egal ob aus den Blättern, Beeren oder den Stängeln – alles besitzt einzigartige Eigenschaften. Zerkleinert man die ganze Pflanze und untersucht den Extrakt, so findet man viele nützliche Wirkstoffe, allein über 600 verschiedene Eiweiße. Je nachdem, auf welchem Baum die Mistel schmarotzt, sie bevorzugt Pappeln, Apfelbäume und Tannen, unterscheiden sich die vorhandenen Eiweißstoffe. Darüber hinaus hängt die Zusammensetzung auch vom Geschlecht der Mistel ab. So enthalten männliche Mistelbüsche andere Proteine als weibliche. Vor allem die zuckerhaltigen Eiweißstoffe (Glykoproteine) – die man auch Lektine nennt – beschäftigen die Mediziner. Von den bisher 20 Gefundenen hat wahrscheinlich das Mistellektin I die wichtigste Funktion im Kampf gegen Krebs. Aber auch Mistellektin II und III, sowie zellteilungshemmende Visotoxine (Polypeptide) wirken mit. Daneben enthält der Extrakt noch Thiole, Fette, Phytosterole, Farbstoffe, Phenylpropane und über tausend Enzyme. Mistelextrakt weist eine hohe Konzentration an der Erbsubstanz (DNA) auf und enthält zusätzlich reichlich Mineralstoffe wie Kalium und Phosphat, sowie Vitamin C. Der Anteil der Inhaltsstoffe schwankt im Jahresverlauf, außerdem sind sie nicht gleichmäßig in der Pflanze verteilt. Es kommt also auch darauf an, wann und welche Teile der Mistel man erntet. Als Heilpflanze wird übrigens in Europa von den rund 1.300 Mistelarten und -formen nur Viscum album, die auch weißbeerige Mistel genannt wird, eingesetzt.

Mistelpräparate in der Medizin. Die Mistel tritt in vielen Anwendungsformen in Aktion: Von homöopathischen Globuli bei Bluthochdruck bis zu Tropfen mit Kombipräparaten zur Herzstärkung. Selbst Extrakte zur Bindegewebsstraffung sind käuflich. Für die Dauerbehandlung einer intensiven und regelmäßigen Mistelbehandlung werden in der Regel aber Injektionsampullen eingesetzt. Diese unterscheiden sich sowohl in der Herstellung als auch in der Zusammensetzung und lassen sich in zwei Hauptgruppen unterteilen:

  • Die nach der anthroposophischen Methode aufbereiteten Präparate sind Gesamtextrakte aus der frischen Pflanze, die nach der jeweiligen Wirtspflanze unterschieden werden. So empfehlen anthroposophische Ärzte in Abhängigkeit von der Krebsart eine spezielle Mistelart. Empfohlen wird zum Beispiel die Laubbaummistel bei Unterleibskrebs, während Tumore in der Brust oft mit Nadelbaummisteln behandelt werden. Die richtige Dosis entscheidet, ob und wie schnell sich eine immunstimulierende Wirkung zeigt. Meist wird mit einer geringeren Dosierung angefangen, um den Körper langsam an das Präparat zu gewöhnen.
  • Die zahlreichen Forschungsergebnisse haben zur Einführung von Präparaten mit definiertem Mistellektingehalt geführt. Dabei liegt das Augenmerk vor allem auf dem Mistellektin I, obwohl unklar ist, ob die anderen Inhaltstoffe nicht ebenso wichtig sind. Um einen Standard zu produzieren und die Produktqualität zu sichern, wurde ein bestimmter Gehalt festgelegt.

Während man Lektin-optimierte Präparate auf das Körpergewicht berechnet, wird eine anthroposophische Misteltherapie individuell ausgesucht und optimiert.

Doppelfunktion der Mistel

Die Therapie steigert die Abwehrkräfte, indem das Immunsystem effektiver arbeitet. Die Fähigkeit der Abwehrzellen, Tumore anzugreifen, wird erhöht. Gleichzeitig werden Nebenwirkungen, zum Beispiel von einer Chemotherapie, gesenkt. Und die Mistel hat noch eine andere Funktion. Sie verbessert nämlich gleichzeitig das Allgemeinbefinden, vertreibt Müdigkeit und Schlappheit. Einige Untersuchungen zeigen sogar, dass körpereigene Glückshormone, so genannte Endorphine, ausgeschüttet werden. Eine Mistelbehandlung trägt also entscheidend zur Lebensqualität bei. Die Mistelbehandlung ist jedoch keine Ersatztherapie, sondern ergänzt eine konventionelle Krebsbehandlung. „Eine Mistelinjektion allein hilft nicht gegen eine derart bösartige Krankheit“, erklärt auch der Geschäftsführer der Gesellschaft für Biologische Krebsabwehr Dr. György Irmey aus Heidelberg.

Eine gute Krebstherapie hakt an vielen Punkten ein und muss auf den ganzen Patienten eingehen. Dazu gehören auch eine gesunde Ernährung und die Psyche des Patienten. Eines haben auch die zahlreichen Forschungen demonstriert: Das Druidenkraut verleiht Kräfte und steigert die Kampfbereitschaft, genau wie im Kampf der Gallier gegen die Römer.

Dr. Leyla-Manuela Schmidt


Buchempfehlung:

  • Anette Bopp: Die Mistel – Heilpflanze in der Krebstherapie, roro Sachbuch Hamburg, 1999. ISBN 3-499-60785-9, 7,50 Euro

Infos zur Mistel:

Infos zu Misteltherapien:


Therapien aus einem Kult geboren

Der Mistelkult hat viele Gesichter und zieht bereits seit Jahrhunderten durch die Geschichte. Selbst im 21. Jahrhundert findet man auf den Weihnachtsmärkten Mistelzweige, die Gesundheit, Fruchtbarkeit und Wohlergehen im neuen Jahr sichern sollen. Die Mistel erhielt unzählige Namen: Hexenbesen, Hexenkraut, Donnerbesen, Druidenfuß oder Schutzengel gegen böse Zauber – der Glaube an ihre Zauberkraft reicht bis in die Antike zurück. In dem Heldenepos des altrömischen Dichters Vergil hilft ein Mistelzweig dem letzten Sohn der untergegangen Stadt Trojas seinen verstorbenen Vater in der Unterwelt zu besuchen. Im Mittelalter wurden ihr magische Kräfte nachgesagt, mit denen das Böse vertrieben werden konnte. Amulette und Kränze schmückten Türen, um vor dem Teufel zu schützen. Auch der Arzt und Alchemist Paracelsus bezeichnete das immergrüne Kraut als Schutzengel in Pflanzengestalt.

Die wohl berühmteste Rolle spielt die Mistel im Zaubertrank des Druiden Miraculix. Mit ihrer Hilfe besiegen die Gallier Asterix und Obelix fortwährend die Römer. Die Idee stammt aus dem keltischen Kult der Priester, die aus Eichenmisteln heilsame Tränke und Tinkturen brauten. Noch heute gelten Eichenmisteln als heilig und sind nur schwer zu finden, lediglich in Frankreich existieren einige Exemplare.

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