Interview

Uta Eser: „Wir alle brauchen Natur“

Als Umweltethikerin fragt Uta Eser, warum wir uns für die Natur einsetzen. Was motiviert uns? Was bremst uns? Es geht um Nutzen, Glück und Gerechtigkeit.

Frau Dr. Eser, was hat mein Feierabendbier mit ausgerotteten Fröschen zu tun?

„Ohne Frosch kein Bier“ war eine Kampagne von Studierenden. Ich nutze das Bild gerne, um zu illustrieren, wie die übliche Naturschutzkommunikation funktioniert. Da wird gefragt, wozu man etwa Spinnen oder eine bestimmte Fledermausart braucht. Natur wird als Mittel zum Zweck geschützt – weil wir Dinge wollen, zum Beispiel Bier, gutes Brot oder saubere Luft. Das ist ein sehr instrumenteller Blick auf Natur. Ach ja, Laubfrösche sind übrigens die natürlichen Feinde der Hopfenlaus ...

Fliegen schädigt das Klima. Trotzdem wollen wir darauf nicht verzichten. Warum ist vielen die Umwelt weniger wichtig als das Vergnügen?

Ich denke gar nicht, dass das so ist. Wenn man sich die Naturbewusstseinsstudie vom Bundesamt für Naturschutz anguckt, dann sagen eigentlich ganz viele Menschen, dass ihnen Natur wichtig ist. Und dass sie versuchen, viel draußen zu sein und die Vielfalt an der Natur schätzen.

... also Glück als Motivation, die Umwelt zu schützen?

Genau! Eben nicht nur, weil wir sie brauchen, sondern – ganz pathetisch – weil wir sie lieben. Das Glücksargument ist in der Naturschutzkommunikation aber systematisch geschwächt worden, weil man immer dachte, dass wir die Leute aus der Wirtschaft überzeugen müssen, die Natur zu schützen, da diese der Haupttreiber ihrer Zerstörung ist.


Zur Person

Uta Eser interessierte sich schon im Studium für die theoretischen und ethischen Grundlagen des Naturschutzes. Die promovierte Biologin verbindet in ihrer Arbeit natur-, sozial- und geisteswissenschaftliche Perspektiven. Seit 2015 unterstützt sie als freie Umweltethikerin durch Vorträge und Gutachten die Verständigung über den Wert der biologischen Vielfalt. Aktuell untersucht sie als Mitarbeiterin der Uni Tübingen die Bedeutung von Werten und Normen für den Umbau des Agrar- und Ernährungssystems.

Wie tickt die Wirtschaft?

Es gilt die Nutzen-Denke. Sie fragt als Erstes: Kann ich damit Geld verdienen? In der offiziellen Naturschutzkommunikation standen Fragen von Moral deshalb lange in einem schlechten Licht. Der moralische Zeigefinger würde zu viele abschrecken, hieß es. Ich würde mir aber wünschen, dass man auch über Fragen der Ethik und Moral redet und nicht so tut als sei Umweltschutz nur eine Frage des Eigennutzes und des menschlichen Überlebenswunsches.

Was genau tut eine Umweltethikerin?

Ich gehe der Frage nach, was Menschen antreibt, um sich für den Naturschutz zu engagieren. Was sind ihre Werte und Normen? Die Philosophie hat über unser Verhältnis zur Natur schon in den letzten 2000 Jahren nachgedacht – ich versuche diesen Fundus fruchtbar zu machen, etwa für Menschen, die aus der Biologie kommen und normalerweise mit Gummistiefeln und Kescher unterwegs sind anstatt philosophische Wälzer zu lesen.

Philosophisch gesehen – darf man Natur in Kapital übersetzen?

Das ist per se nicht verwerflich, greift aber zu kurz. Den instrumentellen Wert kann die Ökonomie zwar abbilden, aber nicht alles, was uns persönlich mit der Natur verbindet, hat einen Tauschwert. Ästhetische Wertschätzung oder eine emotionale Beziehung – all das kann ich nicht in Geldwerte übersetzen.

Wie wird denn ganz praktisch aus einem Wäldchen eine Zahl?

Da gibt es unterschiedliche Methoden. Man ermittelt etwa den ästhetischen Wert von Landschaften, indem man berechnet, wie viele Menschen jedes Jahr in ein Gebiet reisen und wie viel Geld sie ausgeben, um dorthin zu kommen. Oder: Wenn Sie ein Feuchtgebiet für eine Neubausiedlung planieren, müssen Sie eine Trinkwasseraufbereitungsanlage bauen. Die Leistung, die vorher kostenlos von der Natur erstellt wurde, müssen Sie nun technologisch bereitstellen. Das, was Sie dafür zahlen müssten, ist der monetäre Wert, den die Leistung dieses Feuchtgebietes erzielt.

Aber weg ist weg ...

Genau, und hier kommen wir zum Gerechtigkeitsargument. Denn wir alle brauchen Natur auf einer existenziellen Ebene, um zu essen, zu atmen oder eben um sauberes Trinkwasser zu haben. Was wir heute zerstören, können die Generationen später nicht mehr nutzen. Ungerecht ist auch unser globales Arm-Reich-Gefälle: Der kleine Prozentsatz der reichen Menschen konsumiert einen sehr viel größeren Anteil an Natur als andere. Und diejenigen, die davon negativ betroffen sind, sind nicht die Verursachenden. Hier die Länder des Nordens, die emittieren – dort die Länder des Südens, die wegen steigender Meeresspiegel ertrinken.


Die Politik sollte nicht alles dem Markt überlassen

Uta Eser, Umweltethikerin

Wie viel Einfluss auf das Klima hat der Einzelne überhaupt?

Eher wenig. Ich höre sehr oft die Forderung nach mehr Bildung. Damit Kinder am besten schon in der Schule lernen, wie schlecht fliegen ist, und dass der Gorilla seinen Lebensraum verliert, wenn man sich jedes Jahr ein neues Handy kauft.

Sie kritisieren diese Forderung?

Das wälzt die Verantwortung unzulässig auf die Individuen ab! Denn man hinterfragt den Markt dahinter nicht. Einen Markt, der Produkte für kleine Preise anbietet und Kindern und Erwachsenen mit milliardenschwerem Werbeetat einredet, dass sie das alles brauchen, um glücklich zu sein.

Sie sagen, dass umweltbewusstes Leben bezahlbarer sein müsste. Wie meinen Sie das?

Zum Beispiel sollte Tierwohl nicht an der Zahlungsbereitschaft der Käufer hängen. Das muss die Politik vorschreiben. Und man könnte durch Steuern dafür sorgen, dass die korrekten Produkte wenig – und die anderen viel kosten.

Welche politischen Maßnahmen für Umweltschutz wären noch sinnvoll?

Wir haben bereits eine recht gute Gesetzgebung. Aber: Vieles, das vorgeschrieben ist, wird aus Personalmangel nicht hinreichend kontrolliert und vollzogen. Gleichzeitig sollte die Politik aufhören, alles dem Markt zu überlassen. Denn die Bewirtschaftung von Gemeingütern funktioniert nur, wenn es Regeln gibt, deren Einhaltung kontrolliert und deren Missachtung bestraft wird.

Wie hoffnungsfroh blicken Sie in die Zukunft?

Ich will auf keinen Fall resignieren, das würde nur zu einer Handlungslähmung führen. Aber es ist manchmal nicht leicht, zuversichtlich zu bleiben.

Was tun Sie, um Zuversicht zu tanken?

Es entlastet mich sehr, draußen in der Natur zu sein. Wenn man sich dort in diesen gigantischen Zusammenhang einfühlt, wird einem schnell klar, dass wir nur ein kleiner Tupfen im Universum sind und dass alles nicht so wichtig ist. Schlechte Gedanken verlieren so an Drama. Und sollte es uns Menschen irgendwann nicht mehr geben – dieser Planet wird irgendwie weiterleben.

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