Therapeuten mit Kuschelfaktor
Mit rund 24 Millionen Haustieren liegt Deutschland im europäischen Vergleich hinter den Briten an zweiter Stelle. Doch beim Einsatz von Tieren im Rahmen der tiergestützten Pädagogik und Therapie sind wir eher Spätzünder. Erst seit knapp zwanzig Jahren werden bei uns die Wirkungen von Tieren auf die Gesundheit erforscht und in zahlreichen Projekten erprobt. Studien belegen, dass allein die Anwesenheit eines Tieres im Raum blutdrucksenkend und stressreduzierend wirkt. Beim Spiel mit dem Tier wird gelacht, der Körper schüttet Endorphine aus und das Wohlbefinden steigt.
Wo Bello durchs Büro tollt, wird effektiver gearbeitet und es gibt weniger krankheitsbedingte Fehlzeiten. Besonders Hunde, mit denen wir Menschen in 15 000 Jahren Sozialpartnerschaft leben, haben sich als „Therapeuten mit Kuschelfaktor“ bewährt. So erleichtern mittlerweile viele gezielt ausgebildete Assistenzhunde Menschen mit Handicaps den Alltag.
Mit Gespür und Supernase
2006 kam das Leben der an Diabetes 1 erkrankten Studentin Luca Barrett zum Stillstand: Bis zu sechs Mal täglich fiel ihr Blutzuckerspiegel rapide ab. Da die junge Frau unter Hypowahrnehmungsstörungen leidet, kann sie die Anzeichen der beginnenden Unterzuckerung nicht bemerken und fällt in Ohnmacht. Ohne sofortige Behandlung kann jeder solche Anfall potenziell tödlich enden. Als Luca Barrett vom Einsatz der Diabetiker-Warnhunde in den USA hörte, ließ sie sich vor Ort in die Ausbildungstechnik einweisen und begann mit ihrem viermonatigen Mischlingshund Finn zu trainieren. „Tatsächlich hat er mir nach drei Monaten die erste Unterzuckerung angezeigt, indem er vorm Bett saß und mich permanent anstarrte“, erzählt Luca Barrett. „Seitdem hat er mir mehrfach das Leben gerettet, weil er mich weckt, wenn ich im Schlaf unterzuckere.“
Im Fall von Diabetes ist weitgehend medizinisch belegt, auf welche Stoffwechselprodukte in Schweiß und Atem des Menschen die Hunde reagieren. Durch die bis zu vierzig-fache Anzahl von Riechzellen ist die Hundenase millionenfach empfindlicher als die des Menschen. Doch auch bei Epilepsie oder Angina Pectoris kommen Hunde als wirksames Frühwarnsystem zum Einsatz. Dazu kommen ihre außergewöhnlich gute Beobachtungsgabe und ihr hochsoziales Wesen – als wahre Meister der Kommunikation spiegeln sie dem Menschen jederzeit, wo er gerade steht. Mit ihrer bedingungslosen Liebe und ihrer Lebenslust stärken sie Kinder, Kranke und Menschen in Krisensituationen. Hunde haben sich als Resozialisierungsmaßnahme im Strafvollzug bewährt. Und Besuchsprogramme mit Vierbenern sind in Kindergärten, Kliniken und Seniorenheimen mittlerweile weit verbreitet.
Dass Menschen, die schon alle Brücken zur Außenwelt abgebrochen haben, auf Hunde reagieren und von ihnen aus der Isolation herausgeholt werden können, erlebt der Direktor der Kursana Villa Frankfurt, Jochen Jung, immer wieder. In der Senioreneinrichtung ist seit drei Jahren der Golden Retriever Valentin als Deutschlands erster ausgebildeter und geprüfter Alzheimer-Hund im Einsatz. „Valentin geht auch bei Aggressionsschüben immer wieder auf unsere Bewohner zu und schafft es, sie zu beruhigen“, erzählt Jochen Jung. „Manche erkennen weder ihren Lebenspartner noch ihre Kinder, aber Valentin rufen sie gleich beim Namen, wenn er in ihre Nähe kommt.“ Valentin-Zeit nennt Jochen Jung „Zeit für Gefühle“.
Keine Frage – der Kontakt zu unseren Haustieren kann uns in unserer rationalen, hochtechnisierten Welt erden. Wir holen uns mit ihnen ein Stück Natur ins Haus. Einst haben wir die Tiere gezähmt, doch heute scheint es, als würden sie uns ein Stück weit kultivieren. Im Umgang mit Bello, Mieze & Co können wir spüren, was es heißt, Mensch zu sein. Doch gelingen kann dies nur, wenn wir sie nicht zum „besseren Menschen“ erklären und vergessen, dass unsere Tiere eigene Bedürfnisse haben. Ein Hund muss ein Hund bleiben dürfen – das verlangt der Respekt vor diesem starken Partner an unserer Seite.
Gesund mit Hund
Mehr Bewegung
Nur 1.700 Schritte täglich legt ein Mensch heute durchschnittlich zurück. Hundehalter bringen es auf immerhin zehn- bis zwanzigtausend! Ihre Blut- und Herz-Kreislaufwerte sind deshalb meist besser als bei Menschen ohne Hund.Mehr Kontakt
84 Prozent der Hundebesitzer schätzen an Bello, dass sie niemals einsam sind und leichter soziale Kontakte knüpfen. Laut Umfragen wirken Menschen mit Hund auf andere sympathischer.Mehr Struktur
Wer für ein Tier sorgt, gibt dem Leben Struktur, wichtig vor allem im Alter, bei Krankheit und in Krisenzeiten: Eine Studie bei Langzeitarbeitslosen ergab, dass sie dank Hund ihren Lebensrhythmus pflegten und motivierter waren.Mehr Sicherheit
Hunde vermitteln ihren Besitzern laut Studien Sicherheit und Vertrautheit. Über 80 Prozent der Jugendlichen in Großstädten zum Beispiel schätzen Bello als ihr „Schutzschild“.
Interview
„Bei Kindern kann ein Hund Wunder bewirken.“
Welcher Nutzen von Haustieren für Kinder und Jugendliche lässt sich durch Studien belegen?
Wir haben die Wirkung von Hunden auf Kinder zwischen acht und zwölf Jahren untersucht und erstaunliche Ergebnisse erzielt: Kinder mit Hund kennen keine Einsamkeit oder Langeweile. Sie sitzen nicht viel vor dem Fernseher, weil der Hund sie zu vielen Aktivitäten anregt.
Eine Studie zu Kindern in Scheidungskrisen ergab, dass ein Haustier die Familienkonflikte ausgleichen kann: Kinder mit Hund zeigten seltener Verhaltensstörungen. Und eine Untersuchung zu schulischem Leistungs- und Sozialverhalten belegt, dass Kinder mit einer engen Bindung zu ihrem Hund besser in der Schule sind und auch besseres Sozialverhalten zeigen. Diese Kinder sind ausgeglichener, kooperationsbereiter, und sie haben ein besseres Einfühlungsvermögen. Durch den Umgang mit dem Tier haben sie gelernt, auf nichtsprachliche Zeichen sensibel zu reagieren.
Kann ein Haustier zu einem besseren Verständnis der Natur beitragen?
Auf jeden Fall. Wir lernen ja nur durch Erlebnisse und nicht durch Pauken. Bei reiner Theorie steckt das Wissen zwar in unserem Kopf, aber wir können es nicht in Verhalten umsetzen. Wenn ich aber lerne, mit meinem Hund so umzugehen, dass er und ich Freude haben, dann lerne ich viel über andere Kreaturen. Deshalb ist es auch eine gute Idee, Hunde in die Schule zu holen. Wenn Unterricht zum Erlebnis wird, kann man viel bewirken.
Das würde ja dafür sprechen, dass Eltern dem Wunsch nach einem Haustier nachgeben sollten.
Bei Kindern kann ein Hund Wunder bewirken, aber dazu müssen sie zu ihrem Tier eine intensive Beziehung mit hohem Verantwortungsbewusstsein aufgebaut haben. Wenn die nicht zustande kommt, bewirkt der Hund gar nichts.
Was können Eltern dazu tun, um diese positive Bindung zu fördern? Nur mit der Anschaffung eines Tieres ist es ja nicht getan …
Sie sollten nicht einfach dem Quengeln des Kindes nach einem Tier nachgeben. Die Familie kann einen Tierpark oder ein Tierheim besuchen, die Vorlieben für eine Tierart entdecken und sich bei Hunden über kinderfreundliche Rassen informieren. Dann sollten alle über den artgerechten Umgang Bescheid wissen. Kinder müssen oft erst lernen, dass ein Tier kein Spielzeug ist. Deshalb müssen es die Eltern bei der Pflege und Versorgung des Tieres anleiten.
Und wie kann auch der Respekt für unsere Nutztiere gefördert werden?
Bei Ferien auf dem Bauernhof lassen sich Nutztiere am besten kennenlernen. Auch hier zählt das Erlebnis.
Bücher und Links
www.kinder-und-tiere.de
Der Forschungskreis „Heimtiere in der Gesellschaft“ beantwortet alle Fragen zur artgerechten Tierhaltung. Mit Hinweisen auf zahlreiche Studien und Projekte.
www.schulhundweb.de
Praxisberichte aus der hundegestützten Pädagogik. Übersicht über 143 Schulen, die sich der „Freiwilligen Selbstverpflichtung zur Professionalisierung der Ausbildung und dem Einsatz von Schulhunden“ angeschlossen haben.
www.diabetikerwarnhund.de
Luca Barrett bildet seit 2008 hauptberuflich Assistenzhunde aus und ist dem Dachverband Assistance Dogs Europe angeschlossen.
www.tiergestuetzte-therapie.de
Unabhängiges Portal zur tiergestützten Therapie in Deutschland, Österreich und der Schweiz mit Adressen tiergestützter Aktivitäten. Termine, Links und Hinweise auf Fortbildungen.
www.lernen-mit-tieren.de
Es müssen nicht immer Hunde sein – die Webseite des Institut für soziales Lernen mit Tieren stellt ihre therapeutische Arbeit mit Hunden, Katzen, Enten, Gänsen, Minischweinen oder Eseln, mit Ponys oder Schafen, Ziegen und Hühnern vor.
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