Lange Strickjacken, wärmende Ponchos und flauschige Schultertücher laden im kommenden Winter zum Kuscheln ein. Selbstgemachtes liegt weiterhin im Trend. „Meine Kundinnen stricken jetzt am liebsten mit feiner Merinowolle, weil sie prima wärmt und besonders weich ist“, erzählt Martina Wilde, die sich in ihrem Hamburger Geschäft „Wilde Engel stricken“ auf umweltverträgliche Wolle spezialisiert hat. „Die erste Frage beim Griff zum Knäuel lautet allerdings immer: Kann ich die in der Maschine waschen?“ Wir haben uns beim nachwachsenden Rohstoff Schafwolle daran gewöhnt, diese pflegeleicht aufbereitet in großer Auswahl preisgünstig zu bekommen. Doch wie nachhaltig ist das Handarbeiten mit der Tierfaser eigentlich?
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„Durch die großen Herden entsteht ein erheblicher CO₂-Ausstoß“, sagt Heike Hess, Geschäftsstellenleiterin des Internationalen Verbandes der Naturtextilwirtschaft e.V. (IVN) in Berlin. „Die präventive Pestizidbehandlung in der konventionellen Tierhaltung in Übersee ist genauso wie die herkömmliche chemische Aufbereitung der Fasern beim Bleichen und Färben ein Problem.“ Wolle werde im Bearbeitungsprozess unter erheblichem Wassereinsatz mehrfach gewaschen, dennoch ließen sich oft noch im Wollknäuel Rückstände nachweisen.
Dass es auch anders geht, beweist seit Anfang der 1970er-Jahre die Schäfereigenossenschaft Finkhof im oberschwäbischen Bad Wurzach: Der Bioland-Betrieb hält seine Schafe artgerecht in kontrolliert biologischer Tierhaltung, was den Einsatz von Pestiziden ausschließt. Von Mai bis November wird die eigene Merinoschafherde aus 720 Mutterschafen plus Lämmern im Unesco-Biosphären-Reservat auf der Schwäbischen Alb gehütet. Bis zu 80 Prozent der Rohwolle kauft die Genossenschaft mittlerweile von heimischen zertifizierten Bio-Betrieben zu, die Verarbeitung findet in Deutschland und dem benachbarten Ausland statt.
Finkhof-Wolle wird weder gebleicht, gegen Filzen behandelt oder unter Einsatz von verdünnter Schwefelsäure karbonisiert, um Pflanzenteilchen herauszulösen. „Die Hälfte unserer Strickwolle wird naturbelassen verkauft. Da sich speichel- und lichtechte Färbung nicht durch Pflanzenfarben erreichen lässt, wird die andere Hälfte mit synthetischen Farben nach strengen IVN-Kriterien ohne den Einsatz von Schwermetallen eingefärbt“, sagt Patric Cramer, der beim Finkhof für den Einkauf zuständig ist. „Je feiner eine Wolle ist, desto anfälliger ist sie für Verfilzen oder Pilling – die Knötchen- oder Fusselbildung bei Stoffen. Unsere Wolle ist robust, wird aber nach der ersten Wäsche gefälliger.“
Woher kommt nachhaltige Wolle?
Auch wer auf der Suche nach kuschelweicher maschinenwaschbarer Merinowolle ist, findet mittlerweile ökologische Alternativen. Rund 60 Prozent der feinen Rohwolle zur Herstellung von Oberbekleidung stammen aus Neuseeland und Australien. In weiten Teilen Australiens werden die Schafe heute noch dem „Mulesing“ unterzogen, bei dem den Lämmern ohne Betäubung die Hautpartie um den After entfernt wird, um Fliegenmadenbefall vorzubeugen. „Doch auch auf dem Wollmarkt ist das Thema Nachhaltigkeit angekommen“, sagt Matthias Boehme, der das „Bündnis für nachhaltige Textilien“ zum Thema Wolle berät. „Rund zehn Prozent der australischen Rohwolle ist bereits als ‚mulesing-frei‘ zertifiziert. Besonders geeignet zur Tierhaltung sind durch das günstigere Klima aber die Andenregionen Südamerikas. Da die Farmer dort für Fleisch aus kontrolliert biologischer Tierhaltung höhere Preise erzielen können, wird in Argentinien heute bereits mehr Wolle aus kontrolliert biologischer Tierhaltung produziert, als der Markt aufnimmt.“
Welche Siegel gibt es?
Außerdem wurden mittlerweile zwei nach dem strengen „Global Organic Textile Standard“ (GOTS) zertifizierte Alternativen für die traditionelle „Super-wash“-Ausrüstung ohne den Einsatz von Chlor entwickelt: Das „EXP“-Verfahren greift auf natürliche Salze als Oxidationsmittel zurück und stattet die einzelnen Wollhärchen mit „ökologischen Polymer-Micropatches“ aus, damit sie nicht durch Reibung verhaken. Beim „Naturetexx Plasma“-Verfahren wird die Oberfläche der Wollfaser in einem physikalischen Prozess geglättet.
Auf dem Markt gibt es bereits Handstrickgarn, das als „mulesing-frei“ und „EXP“-bearbeitet gekennzeichnet ist. Oder das „Öko-Tex-Standard 100“-Siegel trägt, das der Wolle bescheinigt, die aufgestellten Grenzwerte für bestimmte gesundheitsgefährdende Schadstoffe nicht zu überschreiten. Als Pionier der Branche bietet „Rosy Green Wool“ ausschließlich Handstrickgarne an, für die der gesamte Verarbeitungsprozess GOTS-zertifiziert ist. „Da Bio-Lebensmittel für uns selbstverständlich sind, wollen wir auch bei der Wolle keine Kompromisse machen und unseren Kunden eine verlässliche Qualität bieten, die das Wohl der Tiere, der Mitarbeiter und der Umwelt garantiert“, sagt Patrick Gruban, der das Unternehmen vor sechs Jahren mit seiner Partnerin Rosmary Stegmann gründete. Neben ihrem Sortiment an waschmaschinenfester Bio-Merinowolle und der „Jahrgangswolle“ alter Rassen bringt „Rosy Green Wool“ im November mit „Merino d᾽Arles“ auch eine zertifizierte naturbelassene Merinowolle aus Frankreich neu auf den Markt.
Für mehr Transparenz bei der Herstellung von Wolle
„Zertifizierte Wolle hat ihren Preis, da die regelmäßige Kontrolle von Tierhaltung, Wäscherei, Spinnerei und Färberei Tausende Euro kostet“, sagt Heike Hess vom IVN. „Ich wünsche mir die Möglichkeit einer Sammelzertifizierung für Kleinbauern, damit auch bei den Edeltierhaaren Alpaka, Angora, Mohair und Cashmere Bio-Wolle angeboten werden kann.“
Für mehr Transparenz sorgen derzeit engagierte Bloggerinnen, die die Ergebnisse ihrer Nachfragen zu den Herstellungsbedingungen der Garne bei den Herstellern im Internet veröffentlichen. Auch der Austausch in Stricktreffs kann bei der Suche hilfreich sein. „Dort betone ich auch immer, dass man seine Wollsachen nur zu waschen braucht, wenn man einen Fleck entfernen muss“, sagt Martina Wilde. „Ansonsten reicht es völlig, sie nach dem Tragen zu lüften und ab und zu bei feuchtem Wetter nach draußen zu legen. Das können wir uns doch prima von den Schafen abgucken.“
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