GESUNDHEIT Antibiotika können Leben retten, doch Resistenzen nehmen zu. Können sie bald durch pflanzliche Wirkstoffe ersetzt werden? // Bettina Levecke
Die Party ist fast vorbei. Leider. Nur 90 Jahre hat das Fest gewährt. Begonnen hat alles mit Alexander Flemings zufälliger Entdeckung der Antibiotika. Schon bald konnten mit den neuen Arzneien viele der bisher tödlich verlaufenden Infektionskrankheiten behandelt werden. Was für ein Segen! Doch viel zu viele Antibiotika wurden nach dem Gießkannenprinzip für Mensch und Tier verordnet.
Heute weiß man: Die Party mit den hoch wirksamen Arzneien führt zu einem dicken Brummschädel. Resis-tenzen machen Ärzten und Patienten das Leben immer schwerer. So spricht der Fachverband Eurocam für komplementäre und alternative Medizin bereits vom Beginn des „Post-Antibiotika-Zeitalters“. Doch welche Mittel können uns in Zukunft helfen?
Die Hoffnung liegt auf Pflanzen. Seit vielen Tausend Jahren sind ihre Heilkräfte in der Naturheilkunde bekannt. Die Chinesische Medizin etwa nennt über 5000 Pflanzenarzneien. Doch wie genau sie wirken, ist in weiten Teilen unerforscht: „Hier gilt es, einen großen Schatz zu heben“, sagt Professor Benno Brinkhaus, Leiter des Projektbereichs Komplementäre und Integrative Medizin am Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie der Charité Berlin. Ganz besonders im Blick auf pflanzliche Antibiotika. „Die Forschung steckt noch in den Anfängen, ist aber sehr vielversprechend.“
Öle, Bitter- und Gerbstoffe
Pflanzen sind mit einer ganzen Armada hoch effektiver Abwehrstoffe ausgestattet: Ätherische Öle, Bitter- und Gerbstoffe, Schleimstoffe, Flavonoide und Saponine in Stengel, Frucht und Blattgrün wirken im Team gegen Fressfeinde und Krankheitserreger. Richtig eingesetzt, helfen die Pflanzenkräfte auch uns: „Es ist immer das feine Zusammenspiel vieler, teils noch unerforschter Stoffe, das uns bei bestimmten Erkrankungen so wirkungsvoll hilft“, erklärt Aruna M. Siewert, Heilpraktikerin und Fachautorin. Herauszufinden, welche Pflanzen in welcher Form und Dosierung wirken, ist nun Aufgabe der Wissenschaft.
Forscher wollen wissen, wie Pflanzen wirken
Für die Entwicklung neuer hoch wirksamer antibiotischer Medikamente wird z.B. gezielt nach einzelnen Wirkstoffen gesucht. Forscher der Jacobs University in Bremen haben in Rhododendronblättern antibakterielle Wirkstoffe gefunden, die im Labor auf Verträglichkeit und Wirkung untersucht werden. „Auch Berberin aus Berberitzen und Stoffe im Baikal-Helmkraut zeigten in Laborstudien eine antimikrobielle Wirkung“, sagt Professor Brinkhaus. Intensiv wird auch für Lösungen gegen multiresistente Keime gesucht, derzeit z.B. an der Universität Freiburg mit Senfölextrakten aus Meerrettich und Kapuzinerkresse. In einer kleinen Pilotstudie der Universität Lübeck zeigten Extrakte aus Wildem Oregano und Schwarzer Johannisbeere eine gute Wirksamkeit gegen MRSA-Keime im Mund- und Rachenraum.
Dass sich die mühsame Suche nach pflanzlichen Wirkstoffen lohnt – davon ist Professor Brinkhaus überzeugt. Er verweist auf die aktuelle Medizin-Nobelpreisträgerin Youyou Tu (84) aus China, die jahrzehntelang an einem pflanzlichen Malariamittel aus Beifuß geforscht hat, welches heute zur Standardtherapie gehört.
Welche Pflanzen zu weiteren wirksamen Therapien verhelfen, ist derzeit aber noch offen, sagt Brinkhaus: „Es wird noch Jahre dauern, bis wir weitere wichtige Ergebnisse zur Wirksamkeit von pflanzlichen Präparaten bei Infektionskrankheiten erhalten.“ Bis dahin gilt es, sorgfältig mit den bestehenden chemischen Antibiotika umzugehen, noch seien nicht alle Joker verspielt, sagt der Experte: „Die Einnahme sollte aber nur sehr gezielt erfolgen, im Grunde nur dann, wenn es keine andere wirksame Behandlungsmethode gibt.“
Gute Heilerfolge in Studien
Eine gute Alternative können pflanzliche, antibiotische Arzneien sein, von denen es bereits einige gibt. Sie wirken zwar nicht so stark und etwas langsamer. Dafür erzeugen sie aber in der Regel weniger Nebenwirkungen und keine Resistenzen. „Da sich aber auch hier Nebenwirkungen zeigen können, sollte die Einnahme immer in Absprache mit dem Arzt erfolgen“, sagt Brinkhaus. „Bei bronchialen Infekten wirken nachweislich Extrakte aus der Kapland-Pelargonienwurzel.“ Und bei Harnwegsinfekten, auch chronischen, wurden in Studien gute Heilerfolge mit einem Mittel aus Brunnenkresse und Meerrettich gemacht.
Einen Versuch wert seien Hausmittel bei leichteren Infekten: das Zwiebelsäckchen bei Ohrenschmerzen, Inhalationen mit Salzwasser bei festsitzendem Husten, Salbeitee bei Halsweh. Ein großer Vorteil der pflanzlichen Präparate ist ihre vielfältige Wirkung – eben nicht nur gegen Bakterien, sondern oft auch gegen Viren und Pilze. Und während pharmazeutische Antibiotika im Darm den guten Bakterien schaden, ist dieses Risiko bei natürlichen Helfern, richtig dosiert, nahezu ausgeschlossen.
Wichtig zum Gesundwerden ist – so Brinkhaus – der Faktor Zeit. Der hohe Verbrauch von chemischen Antibiotika sei häufig dem gesellschaftlichen Wunsch geschuldet, Krankheit gar nicht mehr aushalten zu müssen. „Krankheit ist aber immer ein Zeichen, das wir ernst nehmen müssen.“ Der Experte rät bei akuten Infekten zur bewussten Auszeit mit viel Ruhe und Schlaf. „Der Körper kann vieles auch ganz alleine schaffen.“
Pflanzliche Helfer: Kleine Hausapotheke
Halsentzündung: Retterspitz-Halswickel; Gurgeln mit Salbei und Thymian; 3–5 Tropfen Propolis-Tinktur in 1 EL Honig mischen und im Mund zergehen lassen
Sinusitis: Tee aus Eisenkraut, Thymian, Kamille, Pfefferminze und Sonnenhut; Inhalation mit Kamille, Pfefferminze, Thymian, Eukalyptus oder 2 EL Salz
Mundschleimhautentzündung: Spülungen mit Eichenrindensud, Kamillen- oder Melissentinktur
Akne: Reinigung mit verdünntem Teebaumöl; auftupfen von Ringelblumen- und Eichenrindentee; reines Aloe-vera-Gel
Bronchitis: Tee aus Kapuzinerkresse, Zimtrinde, Anis und Eibischwurzel; Inhalation mit Thymian und Kamille
Quelle: Aruna M. Siewert: Pflanzliche Antibiotika. Gräfe&Unzer, 12,99 Euro
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