Leben

Mein Gym ist mein Wohnzimmer

Sport in den eigenen vier Wänden ist praktisch, vor allem wenn es draußen ein Pandemie gibt. Aber wie effektiv ist Training zuhause? Und worauf sollte man achten?

Yogalehrerin Jule Rathjens lächelt mich über den Bildschirm meines Computers an. Bestimmt zum vierten Mal in dieser Woche rolle ich die Matte in meinem Wohnzimmer aus, lege Hilfsmittel wie Decken und ein dickes Buch parat, schalte das Handy auf lautlos, mache die Musik an und warte, bis es losgeht. Laut der Online-Plattform Eversports habe ich mich bereits zu einem Sportenthusiasten gemausert. Vier Sporteinheiten in der Woche – ob Yoga, Pilates oder Tabata beziehungsweise High-Intensity-Training (HIT) – schaffe ich locker.

Normalerweise bin ich nicht so aktiv. Der Grund: Ich habe zu wenig Zeit! Wie oft habe ich mir gewünscht, dass das Fitnessstudio zu mir nach Hause kommt und ich mit dem Sport loslegen kann, wann immer ich möchte und wie es mir passt. Der Wunsch ist jetzt Wirklichkeit geworden. Bedingt durch die Corona-Krise habe ich nicht nur mehr Zeit, auch das Angebot an online verfügbaren Sportkursen ist mindestens um die Hälfte gestiegen. Viele Studios bieten sogar Live-Übertragungen an. Das heißt, Lehrer und Schüler führen zeitgleich die Übungen aus, genau wie im Studio, nur eben nicht im selben Raum. Darüber hinaus gibt es aber auch zahlreiches kostenlose Videos fürs Trainieren zuhause: Ob Krafttraining, Muskelaufbau für den Rücken oder Bauch, Beine, Po – für jeden und jede ist etwas dabei. Auch Inspirationen für einen Trainingsplan sind dabei. Ich entscheide mich für Yoga.

Gemeinsam fit werden, egal von wo

„Online Yoga zu machen, ist für mich Neuland“, sagt Jule Rathjens, die bereits seit neun Jahren regelmäßig in verschiedenen Yogastudios unterrichtet, unter anderem im Innersmile in Hamburg. „Ich hätte nicht gedacht, dass es sogar richtig Spaß macht. Das Schöne ist, dass sich jeder zuschalten kann, auch wenn er in einer ganz anderen Stadt oder sogar einem anderen Land wohnt. Das Einzige, was man braucht, ist eine halbwegs stabile Internetverbindung.“

Auch Feldenkrais- und Yogaprofi Masha Kovacs betont den internationalen Aspekt der sich gerade neu formierenden Onlinesport-Community. An ihren Online-Kursen, die in ihrem eigenen Wohnzimmer in Lissabon stattfinden, nehmen Schüler aus der ganzen Welt teil, sogar aus Kambodscha, Neuseeland oder Kolumbien. „Wir kommen zusammen aus verschiedenen Welten, Zeitzonen und Lebensumständen“, erklärt Masha. „Während des Trainings sind wir für 60 bis 90 Minuten miteinander verbunden und in der gleichen Situation, trotz der räumlichen Distanz. Das ist eine ganz besondere Erfahrung.“

Tipps für Sport zu Hause

  1. Wer einen eigenen Garten oder einen Balkon hat, sollte den unbedingt nutzen. Einige Übungen sind besser im Freien auszuführen. Die frische Luft stärkt das Immunsystem.
  2. Apps wie ‚Seven‘ oder ‚Freelatics‘ bieten Übungen, Trainingsprogramme und eine Timerfunktion, mit der es beispielsweise möglich ist, Zirkeltraining zu üben.
  3. Hilfsmittel können den Körper während der Übungen stabilisieren. Man kann alles benutzen, was man zu Hause hat. Oder sich das richtige Equipment kaufen oder ausleihen.
  4. Wer alleine Sport macht, der sollte gut auf seinen Körper achten und nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig machen. Wichtig ist, die Achtsamkeit zu schulen und sich zu fragen: Wie fühlt sich diese Übung gerade an?
  5. Trainingsplan: Kontinuität ist auch beim Sport zu Hause das A und O. Wochenpläne können dabei helfen, regelmäßig dranzubleiben.

Feedback ist wichtig

Doch die via Internet übertragenen Yogastunden sind für alle Beteiligten durchaus auch eine Herausforderung. Denn: Wie anstrengend oder leicht die Sequenz für die Teilnehmer tatsächlich ist, können selbst erfahrene Trainer online nur schwer einschätzen. Jule kann uns nicht hören und nur zum Teil sehen. „Nicht jeder lässt während des Trainings sein eigenes Video mitlaufen“, sagt sie. „Ich weiß daher nicht, was auf der anderen Seite des Bildschirms vor sich geht und muss mich blind darauf verlassen, dass das, was ich sage, auch ankommt.“

Für mich bedeutet das, dass ich für das Training zwar meine Wohnung nicht verlassen muss und zu Hause bequem den Anweisungen des jeweiligen Lehrers folgen kann. Dafür schwitze ich aber richtig und fühle mich stärker herausgefordert als in einer normalen Yogastunde. Nach 75 Minuten Sonnengrüßen, Kriegersequenzen, Gleichgewichtsübungen und Armbalancen spüre ich jeden Muskel. Ich hoffe auf eine extralange Entspannungsübung am Ende.

Doch weit gefehlt. Für das sogenannte Shavasana gesteht Jule uns gerade mal zwei bis drei Minuten zu. „Wenn ich online unterrichte, fehlt mir der Kontakt und die Resonanz der Gruppe“, sagt Jule Rathjens. „Ich assistiere nicht und erkläre weniger zwischen den einzelnen Übungen. Das intensiviert das Training.“

Auch zuhause Hilfsmittel verwenden

Dieser Austausch ist es, der ihr bei den Onlinestunden am meisten fehlt. „Yoga bedeutet übersetzt Verbindung. Es geht um die Verbindung von Körper und Geist, aber eben auch zu den anderen Teilnehmern in der Gruppe.“

Und auch mir fehlt, so ganz alleine in meinem Wohnzimmer, der Kontakt zur Gruppe. Der Blick über die eigene Yogamatte hinaus auf die anderen Teilnehmer ist nicht nur ein gutes Korrektiv, sondern wirkt auch extrem motivierend. Selbst wenn Yoga lehren will, nicht über die eigenen Grenzen hinauszugehen, zieht die Dynamik der Gruppe einen mit. Wenn alle den stehenden Spagat halten können, möchte man selbst nicht die Einzige sein, die dabei umfällt.

Das Training zu Hause hat aber noch ein weiteres Manko: Niemand ist da, der mir sagt, ob ich die Übungen richtig oder falsch ausführe. Daher sollte man beim Training, so die Yogaexperten, auf seinen Körper hören und sich nicht durch Übungen quälen, wenn es irgendwo wehtut. Oder eben Hilfsmittel benutzen: Kissen, Decken oder dicke Bücher bieten Unterstützung, noch besser ist richtiges Sportequipment. „Wer es gewohnt ist, im Studio Hilfsmittel zu benutzen, der sollte auch zu Hause nicht darauf verzichten“, erklärt Yogaexpertin Jule Rathjens. „Sie helfen dabei, Übungen sicherer und feiner auszuführen. Und ein Yogablock ist keine teure Investition.“

Besser viele kurze oder ein langes Workout?

Die eigenen Grenzen zu kennen und zu spüren ist beim Sporttraining in den eigenen vier Wänden das Allerschwierigste – auch für mich. Aber es birgt die Chance, etwas Neues über sich zu lernen und zu entdecken. „Mein Tipp ist, beim Training zu Hause auf die körperlichen Signale zu achten und dabei auch den Geist und die eigenen Emotionen einzubeziehen“, sagt Masha Kovacs. „Vieles über sich lernt man in der Bewegung. Deshalb ist es besser, jeden Tag für fünf Minuten zu trainieren, als einmal in der Woche eine längere Einheit einzuplanen.“

Das Schöne am Training zu Hause ist nicht nur, dass man es unabhängig und jederzeit machen kann, sondern dass man auch den Raum hat, alles auszuprobieren. Als ich das nächste Mal meine Yogamatte ausrolle, nehme ich mir vor, jede Übung ganz bewusst auszuführen und auf meinen Atem zu achten. Nach einer erneut anstrengenden Stunde spüre ich während der letzten Übung den Impuls, das Shavasana, die Endentspannung, auszudehnen. Ich verlasse das Zoom-Meeting vorzeitig und sinke entspannt auf meine Matte. Auch das ist ein Vorteil des Solo-Trainings: einfach mal abschalten zu können.

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