- So werden im Berchtesgadener Land Haus, Hof und Ställe geräuchert
- Räuchern – ein weltweit verbreitetes Ritual
- Kräuterexpertin Gerti Epple gibt die Tradition des Räucherns weiter
- Beim Räuchern ist es mucksmäuschenstill im Stall
- Warum Lebensübergänge Anlass zum Räuchern bieten
- Welche Grundausstattung ihr zum Räuchern braucht
- Rauch, Weihwasser und gesegnetes Salz für die Tiere
Nach Heiligabend holen die Ramstetters wieder das alte Bügeleisen aus dem Schrank. Die Raunächte beginnen, die stillen, dunklen Tage vom Weihnachtstag bis Dreikönig am sechsten Januar. Besonders in der Alpenregion räuchern Bauern jetzt nach traditionellem Brauch Haus, Hof und Stall, um Mensch und Vieh vor Krankheiten zu schützen und zu segnen.
So werden im Berchtesgadener Land Haus, Hof und Ställe geräuchert
Das wichtigste Räucherutensil von Martina und Josef Ramstetter ist ihr altes Bügeleisen. Sie füllen es mit glühender Kohle, mit Weihrauch und den geweihten, getrockneten Kräuterbüschen von Maria Himmelfahrt. Dann schreiten sie zusammen mit ihren Kindern und dem rauchenden Bügeleisen den ganzen Hof ab. Der Rundgang beginnt in der Stube und endet im Stall. Schon die Eltern von Martina haben das Ritual gepflegt. „Wir wollen diese Tradition des guten, gestärkten Neubeginns am Jahresanfang an unsere Kinder weitergeben“, sagt Josef Ramstetter.
Räuchern – ein weltweit verbreitetes Ritual
Räucherrituale sind in vielen Kulturen der Welt verwurzelt. In vorchristlicher Zeit räucherten die Menschen etwa, um Dämonen zu vertreiben. Kelten und Germanen zelebrierten das Räuchern zu Festen. Medizinmänner und Schamanen indigener Völker Nordamerikas suchten im aufsteigenden Rauch die Verbindung zur spirituellen Welt. In Zeiten von Pest und Cholera räucherten die Menschen Räume und Kleidung mit Wacholder und Weihrauch, denen eine desinfizierende Wirkung nachgesagt wird. In der katholischen Kirche schwenken Ministranten bis heute das Weihrauchfass.
Kräuterexpertin Gerti Epple gibt die Tradition des Räucherns weiter
Die Ernährungswissenschaftlerin und Allgäuer Wildkräuterfrau Gerti Epple sagt: „Unsere Vorfahren waren viel stärker mit der Natur verbunden und wussten um die Wirkung von Kräutern.“ In der Gebirgsregion des Allgäus, wo die Höfe oft weit verstreut liegen, sind viele Bräuche und Traditionen lebendig geblieben. Um diesen Kulturschatz zu bewahren und zu pflegen, hat Epple den gemeinnützigen Verein Allgäuer Kräuterland e.V. gegründet. Das Räuchern hat sie schon als Kind erlebt. „Meine Mutter hat das ganze Jahr über geräuchert, ohne viel Aufhebens“, sagt sie. Lag Streit in der Luft, wählte sie beispielsweise das Kraut der Königskerze, die im Allgäu auch auf dem Feld verräuchert wurde, wenn während der Heuernte ein Gewitter aufzog. Was funktionierte, gaben die Menschen von Generation zu Generation weiter.
Heute gibt Epple selbst Räucherseminare oder kommt mit ihrer Räucherkiste, gefüllt mit Heil- und Gewürzpflanzen, Wurzeln und Baumharz dorthin, wo ihre Unterstützung gefragt ist. Oft wird sie gerufen, um ein Haus oder eine Wohnung energetisch zu reinigen, insbesondere, wenn dort über lange Zeiträume viele verschiedene Menschen gelebt haben. „Wenn man einen Raum betritt, in dem zuvor gestritten wurde, liegt da etwas in der Luft. Das merkt fast jeder“, sagt sie. Nach dem Räuchern sei die Atmosphäre im Raum klarer, reiner. Man müsse nicht esoterisch sein oder daran glauben, sagt sie. „Die Kräuter wirken einfach durch Zeit und Raum.“ Sie sieht das zum Beispiel, wenn sie an Heiligabend in Ställen räuchert. Gewöhnlich bedeutet Rauch für Tiere höchste Gefahr. Doch die Tiere stünden ganz still und beobachteten die Zeremonie aufmerksam und frei von Panik.
Kleine Räucherkiste: Getrocknete Kräuter und Harze
- Beifuß: Eine der wichtigsten heimischen Räucherpflanzen. Verwendet werden Blatt und Blüten. Es soll segnen, reinigen und den Geist klären.
- Thymian: Die aromareichen Blättchen sollen reinigen, Lebensmut und Tatkraft stärken.
- Johanniskraut: Soll die im Sommer gesammelte Licht- und Sonnenenergie beim Räuchern freisetzen und so die Stimmung aufhellen.
- Salbei: Soll reinigen, desinfizieren und die Konzentration fördern und helfen, sich gegen belastende Einflüsse abzugrenzen.
- Oregano oder Dost: Soll Räume reinigen, Insekten vertreiben, Blockaden lösen, vor Fremdeinflüssen schützen, das Nervensystem beruhigen, gegen Stress und Nervosität helfen sowie Mut und Ausdauer fördern.
- Harz, z.B. von Fichte oder Zirbe: Soll reinigen, desinfizieren, stärken und die Stimmung aufhellen. Man kann Harz im Winter vorsichtig von der Baumrinde kratzen. Es sollte zwei Jahre trocknen.
- Rosenblätter, Vanillestange, Zimtstange, Nelke: Sollen segnen und eine friedliche, liebevolle und freudvolle Atmosphäre schaffen.
Beim Räuchern ist es mucksmäuschenstill im Stall
Dass die Rinder im Stall ganz still stehen, wenn geräuchert wird, diese Erfahrung macht auch Naturland-Bauer Josef Ramstetter, der die Milch seiner Kühe an die Molkerei Berchtesgadener Land liefert. Wenn er während der Raunächte mit seiner Familie die Futter- und Ruheplätze der Jungrinder und der rund 25 Milchkühe räuchernd abschreitet, ist es mucksmäuschenstill im Stall.
Warum Lebensübergänge Anlass zum Räuchern bieten
Gerti Epple begleitet viele Anlässe rund ums Jahr, vor allem Lebensübergänge wie Hochzeiten, Geburt, Trennung oder Krankheit. Sie vergleicht das Räuchern mit einer Art Ur-Aromatherapie. Wenn die Kräuter verglimmen, setzen sie ätherische Öle frei. Diese gelangen über die Nase in das limbische System, einen sehr alten Teil unseres Gehirns, was unwillkürlich Gefühle auslöst. Das könne Prozesse anstoßen und beim Klären, Lösen und Loslassen helfen.
Welche Grundausstattung ihr zum Räuchern braucht
Viel falsch machen könne man beim Räuchern nicht, sagt die Kräuterfachfrau. Man braucht eine Räucherschale, am besten mit Fuß zum sicheren Halten, Räucherkohle, einige getrocknete Kräuter (siehe Infobox) und ein Harz. Epple bevorzugt heimisches Fichtenharz. Bei der Auswahl der Kräuter empfiehlt die Expertin: „Ihr findet das passende Kraut, wenn ihr eurem Gefühl vertraut.“ Wichtig sei einwandfreie Qualität, etwa selbst gesammelte, getrocknete Kräuter oder Salbei, Oregano und Co aus dem Bio-Laden. Unter die Kohle gehört eine Schicht feiner Sand oder Steine, damit die Schale nicht zu heiß wird und die Haut verbrennt. Man zündet die Kohle an und wartet, bis sie weiß glüht. Das dauert etwa fünf Minuten. Dann legt man mit einem Löffel kleine Stückchen Harz oder Kräuter auf. Bevor die Kräuter schwarz werden, müssen sie von der Kohle runter. Das lässt sich mit einem Hölzchen oder Ästchen bewerkstelligen. Dann kann man neue Kräuter darauf streuen.
Für eine energetische Reinigung der Wohnung empfiehlt Epple mit der rauchenden Schale alle Räume abzugehen, vom Keller bis zum Dachgeschoss. Wer mag, spricht dazu freundliche Worte, zum Beispiel: „Alles, was hier ein- und ausgeht, mag vom Guten begleitet sein.“ Es dürfen gern frei formulierte Sätze sein. Abschließend Fenster öffnen und kräftig durchlüften. Das schafft Platz für das Neue.
Rauch, Weihwasser und gesegnetes Salz für die Tiere
Um das Räucherritual im Stall abzuschließen, versprengen die Ramstetters Weihwasser und geben ihren Rindern gesegnetes Salz ins Futter. Dann verschwindet das alte Bügeleisen wieder für ein Jahr im Schrank.
Buchtipps rund ums Räuchern
- Zobernig, Annemarie: Räuchern für die Seele. Mankau Verlag, 2020, 159 Seiten, 9,99 €
- Fuchs, Christine: Räuchern mit heimischen Pflanzen. Nymphenburger Verlag, 2021, 96 Seiten, 15 €
- Nitschke, Adolfine: Heilsames Räuchern mit Wildpflanzen. Goldmann Verlag, 2021, 192 Seiten, 12 €
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