Interview

Dr. Beate Ritz: „Nicht spazieren gehen, wenn gerade gespritzt wird“

Die Forscherin Dr. Beate Ritz hat den Zusammenhang zwischen Pestiziden und Parkinson nachgewiesen. Sie fordert die Politik zum Handeln auf.

Seit diesem Jahr ist Parkinson durch Pestizide auch in Deutschland als Berufskrankheit anerkannt. Die Epidemiologin Prof. Beate Ritz berichtet im Interview, dass ein erhöhtes Parkinson-Risiko nicht nur für Landwirt:innen, die Pestizide spritzen, besteht. Auch Menschen, die in der Nähe von gespritzten Feldern wohnen, seien belastet. 

Warum begünstigen bestimmte Pestizide Parkinson?
Es gibt Insektizide, die das Nervensystem von Lebewesen angreifen und es gibt toxische Herbizide, die unter anderem für oxidativen Stress sorgen. Leider sind unsere Gehirnzellen sehr anfällig für oxidativen Stress und werden durch diesen in ihrer Arbeit gestört. Wenn bestimmte Zellen geschädigt werden, die Dopamin produzieren, begünstigt das die Entstehung von Parkinson. 

Sie haben bei zehn chemisch-synthetischen Pestiziden einen Zusammenhang mit Parkinson nachgewiesen. Wie ist Ihnen das gelungen?  
Kalifornien hat eine weltweit einmalige Ressource: Landwirt:innen müssen alle Pestizide, die sie spritzen, in einem staatlichen Pestizidregister auflisten. Mithilfe von Computersoftware werden diese Daten auf Landkarten sichtbar: Wir sehen genau, wer wann wo spritzt – und welche Wohnorte betroffen sind.

Haben Sie dabei auch andere Umwelteinflüsse berücksichtigt?
Ja, wir befragen Patient:innen und die Kontrollgruppen zu Wohnorten, Arbeitsstätten und Lebensstilen. Dazu zählt die Ernährung ebenso wie Rauchen, Bewegung und Freizeitaktivität. Außerdem prüfen wir durch Blut- und Speichelproben, ob es eine genetische Vorbelastung gibt. All diese Faktoren lassen wir in die Bewertung miteinfließen, wenn wir den Zusammenhang zwischen pestizidbelasteten Orten und Parkinson-Patient:innen untersuchen.

Wie stark beeinflussen Pestizide das Risiko für Parkinson?
Es kommt auf die Art der Pestizide, auf die Menge und die Dauer der Exposition an – also wie lange man den Pestiziden ausgesetzt ist. Dabei sind Landwirt:innen stärker belastet. Meine Forschung hat jedoch gezeigt, dass man nicht mal mit den Schadstoffen hantieren muss, um belastet zu sein. Wenn man im Umkreis von 500 Metern von gespritzten Feldern wohnt, hat man im Schnitt ein 50 bis 100 Prozent höheres Risiko, an Parkinson zu erkranken. Und je nach Windrichtung besteht ein Risiko auch jenseits der 500 Meter. 

Was bedeutet ein 100 Prozent höheres Risiko in nackten Zahlen?
Wenn normalerweise zwei Prozent der Bevölkerung nach dem 60. Lebensjahr an Parkinson erkranken, sind es bei einer Belastung mit Pestiziden zwischen drei und vier Prozent. Das klingt gering, aber es betrifft tausende Menschen in Kalifornien und zwar jedes Jahr. 
Außerdem leiden neben den Betroffenen auch die Angehörigen.

Zur Person

Beate Ritz ist Professorin für Umwelt-Epidemiologie an der University of California in Los Angeles (UCLA). Sie studierte an der Universität Hamburg Medizin und Medizinische Soziologie, wo sie auch promovierte. 

Nach dem Studium arbeitete Ritz in einer psychiatrischen Klinik in Hamburg und begann 1995 ihre Forschung an der Universität Kalifornien. Dort erlangte sie einen weiteren Doktorgrad in Epidemiologie. Ihr Forschungsschwerpunkt ist die Auswirkung von Pestiziden und anderen Umweltgiften auf neurodegenerative Erkrankungen. Beate Ritz ist verheiratet und hat zwei Kinder.  

Podcast zum Thema

Die Gäste von Staffel 2, Folge 5 des Podcasts "Weltretter Bio?" über Pestizide: Dr Marike Kolossa, Dr. Beate Ritz und Dr. Carsten Brühl.

Podcast S2:F5

Pestizide – Teil 1: Wie ungesund sind sie wirklich?

Wie gefährlich sind Pestizide? Und warum kommt der Öko-Landbau mit viel weniger davon aus? Das erfahrt ihr in dieser Podcast-Folge.

Würden Sie in einem Weinberg spazieren gehen? 
Wenn gespritzt wurde, würde ich mindestens ein paar Tage oder sogar Wochen warten, bevor ich mich wieder nähere. Und wenn es in meiner Familie Parkinsonerkrankte gäbe, dann wäre ich sehr vorsichtig, denn jeder extra Risikofaktor kann diese Erkrankung früher auslösen – zum Beispiel schon im Alter von 60 Jahren statt erst mit 80.

Welche Risiken bergen Pestizide noch, wenn wir auf Ihr Fachgebiet, die Neurologie, schauen?
Viele Pestizide sind vor allem schädlich für den Fötus im Mutterleib und für das frühkindliche Gehirn. Einige Pestizide können eine hormonelle Wirkung haben und Hormone beeinflussen die Gehirnentwicklung während der Schwangerschaft. Da können auch geringere Dosen großen Schaden anrichten.

„Es kann zu Missbildungen des Gehirns und zu Entwicklungsschäden kommen.“ 

Beate Ritz

Welche Schäden wären das?  
Es kann zu Missbildungen des Gehirns und zu Entwicklungsschäden kommen. Das kann eine geminderte Intelligenz sein oder die Motorik betreffen – aber auch die emotionale Entwicklung kann gestört sein. Ich habe mich in meiner Forschung auf Autismus konzentriert und hier konnten wir nachweisen, dass Pestizide einen Risikofaktor für die Entwicklung von Autismus darstellen. 

Was raten Sie Schwangeren?
Wenn sie in der Nähe von Feldern wohnen, dann sollten sie die Fenster schließen und nicht spazieren gehen, wenn gerade gespritzt wird. Wenn ich noch mal schwanger wäre, würde ich das Geld für ungespritztes Obst und Gemüse ausgeben und alles tun, um die Belastung mit Pestiziden zu verringern.

Was fordern Sie von der europäischen Politik?
Wenn Pestizide weiterhin gespritzt werden, dann müssen die Hersteller Nebenwirkungsstudien durchführen und diese selbst finanzieren. Denn solange die Nebenwirkungen nicht alle bekannt sind, werden Pestizide nicht genug reduziert. Und es muss eine Registrierungspflicht für die Pestizidaufbringung geben – so wie in Kalifornien.

Was muss sich ändern, damit Pestizid-Belastungen in Zukunft geringer werden? 
Ich würde mir wünschen, dass alles auf Öko-Landbau umgestellt wird, aber ich glaube nicht, dass wir unseren Bauernverbänden die Pestizide auf die Schnelle wegnehmen können. In Kalifornien gibt es integriertes Pestizid-Management – dabei werden verschiedene Verfahren angeschaut, um die Belastung zu reduzieren. Es gibt also kein komplettes Verbot, aber man versucht so wenig toxisch wie möglich zu wirtschaften. 

Was könnten weitere Schritte sein?
Bio-Produkte sind oft etwas teurer und es gibt viele, die sich das nicht leisten können. Das muss sich ändern. Zumindest Kinder und schwangere Frauen sollten finanziell dabei unterstützt werden, Bio-Lebensmittel zu kaufen. Denn man kann nicht von Konsument:innen verlangen, dass sie die ganze Bürde tragen. Auf der anderen Seite können Verbraucher:innen verinnerlichen, dass ein hochpolierter Apfel nicht der gesündeste ist und Obst auch mit ein paar Macken und Dellen schmeckt. 

Wie ernähren Sie sich?
Ich bin seit 40 Jahren Vegetarierin und halte die mediterrane Ernährung für die gesündeste. Je mehr ich zu Parkinson forsche, desto mehr achte ich darauf, vor allem Bio zu essen.

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