Erinnern Sie sich noch an Ihre ersten Olympischen Spiele? Also jetzt wahrscheinlich eher nicht als Teilnehmer oder Teilnehmerin, sondern als Kind, das mit großen Augen vor dem Fernseher hockt und den Eltern noch ein wenig Bildschirmzeit abtrotzt, „weil es gerade so spannend ist“. Mit Glück zeigten sich diese großzügig, dem besonderen Anlass angemessen, und ließen das Kind gewähren, bis es selig einschlief und von großen Finalen, Ehrenrunden und Medaillen träumte. Beinahe jeder Sportler und jede Sportlerin, die Sie in diesen Tagen des Non-Stop-Olympiaprogramms aus Paris zu sehen bekommen, wird Ihnen so eine Geschichte aus der eigenen Kindheit erzählen. Mit leuchtenden Augen.
Natürlich kenne ich die Schattenseiten: Die Kommerzialisierung, das IOC, Doping – die Liste ließe sich noch lange fortsetzen und jeder Punkt darauf ist wahr. Aber ich muss zugeben, dass pünktlich zur Eröffnungsfeier noch jedes Mal der Sportromantiker in mir gesiegt hat, der sich dann doch immer wieder von der Euphorie der Athleten und Athletinnen selbst anstecken lässt. Von einem Timo Boll, Tischtennis, für die, die es nicht wissen, zum sechsten Mal dabei. Oder von einer Laura Ludwig, Beachvolleyball, zweifache Mutter inzwischen, zum fünften Mal nominiert, oder von den ganz Jungen, die zum ersten Mal zu den Olympischen Spielen oder den Paralympics nach Paris fahren und den magischen Moment herbeifantasieren, in dem sie das Olympische Dorf betreten.
Alle im olympischen Dorf verbindet der Respekt füreinander
Eine Sportlerin hat mir mal erzählt, wie in diesem Augenblick alles Trennende von Nationen, Kulturen, Hautfarbe und sonstigen Identitätsmerkmalen zurücktritt, und sich dort eine ganz neue Gemeinschaft formt. Alle im Dorf verbindet der Respekt füreinander, denn alle, die es bis dahin geschafft haben, sind jahrelang über sich hinausgewachsen, im Streben danach, das Beste aus sich herauszuholen. Eine jede, ein jeder von ihnen kennt die Strapazen, die körperlichen, aber auch die seelischen, wenn die Grenzen der Leistungsfähigkeit erreicht scheinen, wenn es nicht weitergeht und dann, eines wundersamen Tages, eben doch.
Das Olympische Dorf ist einer der letzten Orte auf der Welt, wo zumindest in der Theorie noch Utopien gelebt und ganz reale, ungewöhnliche Freundschaften fürs Leben geschlossen werden. Die Idee, dass Menschen durch gemeinsame Leidenschaft für den Sport zusammenfinden und wenigstens für eine kurze Zeit respektvoll und friedlich miteinander umgehen können, ist für mich größer als aller Zynismus, der die olympische Idee aktuell umgibt.Die Kinder jedenfalls werden wieder zuschauen und in den Sportler:innen etwas von sich selbst entdecken. Bleibt nur zu hoffen, dass die Zeiten nicht zu vergiftet sind, um die Spiele auch wirklich genießen zu können. Aber wie arm wäre diese Welt, wenn wir nicht mal zu Olympia von ihrer besseren, menschlicheren Version träumen könnten.
Fred Grimm
Der Hamburger Fred Grimm schreibt seit 2009 auf der letzten Seite von Schrot&Korn seine Kolumne über die Wege und Umwege hin zu einer besseren Welt. Er freut sich über die rege Resonanz der Leserinnen und Leser und darüber, dass er als Stadtmensch auf ein Auto verzichten kann.
Kommentare
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Lieber Roland Karpa, vielen herzlichen Dank für die aufmerksame Lektüre – Sie haben völlig Recht: es sind die siebten. Bitte entschuldigen Sie: Beim Im-Kopf-Durchzählen habe ich erst mit 2004 angefangen, aber er war ja schon in Sydney mit dabei, was die Karriere natürlich noch unfassbarer macht. Beste Grüße, Fred Grimm
Kleiner Fauxpas Herr Grimm,Timo
Boll ist zum siebenten Mal bei Olympia dabei.
Mit freundlichen Grüßen Roland Karpa