Samuel Edward Ratchett liegt in seinem Schlafwagenabteil, ermordet mit zwölf Messerstichen. Der belgische Meisterdetektiv Hercule Poirot ermittelt, wer seinen Mitreisenden getötet hat. Agatha Christie nutzte in ihrem Klassiker „Mord im Orientexpress“ einen Schlafwagen als Kulisse. Jetzt möchte ich selbst einen Nachtzug nutzen. Angst vor Messern habe ich nicht. Allerdings birgt diese Art zu reisen dennoch einige Risiken und kann zum Abenteuer werden. Darauf muss man sich einstellen.
Im Schlafwagen entspannt zum Zielort
Mit dem Schlaf- oder Liegewagen in den Urlaub zu fahren, hat einige Vorteile. Im Vergleich zum Auto ist es klimafreundlicher, außerdem können sich Zugreisende Entspannung und Schlaf gönnen und müssen sich nicht auf den Verkehr konzentrieren. Und auch im Vergleich zur Bahnfahrt über Tag hat das nächtliche Reisen einige Vorteile.Die Räder rattern und wiegen die Passagiere langsam in den Schlaf. Und am nächsten Morgen bringt das Personal rechtzeitig vor der Ankunft Kaffee und Frühstück ins Abteil. Man ist im besten Fall ausgeschlafen und hat nun den ganzen Tag am Zielort noch vor sich. Wer mehrere Tage frei hat, verliert durch die Reise keinen Urlaubstag und kann so alle freien Tage für Ausflüge und Besichtigungen nutzen.
Schnell ausgebucht: Nightjet der ÖBB
Und, seien wir ehrlich: Nachtzug, das klingt auch nach Abenteuer. Tatsächlich fängt das schon bei der Buchung an. Wir sind zu viert und zeitlich flexibel. Eigentlich wollten wir auf der Strecke Wien -Amsterdam das Teilstück München - Utrecht hin und zurück im Liegewagen fahren. Für den Hinweg waren aber alle Nachtzüge an sämtlichen Terminen ausgebucht. Kein Einzelfall. Auch bei der österreichischen Bahn, die den Nightjet anbietet, gibt es zahlreiche Beschwerden über zu früh ausgebuchte Züge. Die Nachfrage ist also offenbar groß und das Angebot hinkt noch hinterher. Das Buchungsverfahren ist zudem häufig kompliziert. Wir konnten online keine zwei benachbarte Abteile reservieren. Das war erst am Serviceschalter eines kleinen Bahnhofs in der Schweiz möglich und auch das nur mit viel Geduld und Mühe.
Die Nachfrage ist groß, das Buchungsverfahren leider kompliziert.
So fuhren wir schließlich mit einem Ticket, das ich in der Schweiz gekauft hatte, in einem österreichischen Zug auf Gleisen des deutschen und des niederländischen Netzbetreibers. Wir fuhren am Tag hin und nachts zurück. Zuvor genossen wir einige Tage das bezaubernde Utrecht. Wir besuchten die Ausstellung des Centraal Museums über den Künstler Dik Bruna, befuhren mit dem Tretboot die Grachten und nutzten den Stadtbus, um zum botanischen Garten zu gelangen, der nur wenige Stationen vom malerischen Stadtzentrum entfernt ist.
Der Zug fällt aus!
Entspannt saßen wir an unserem letzten Urlaubsnachmittag in einem Café und genossen die Sonne. Wir überlegten gerade, was wir uns noch anschauen könnten, bevor dann der Zug gegen 19.30 Uhr abfahren sollte. Ich kontrollierte nochmal die Abfahrtszeiten auf dem Smartphone. Da war zu lesen: „Der Zug fällt aus.“ Weitere Informationen gab es dazu nicht.
Für uns gab es nur eine Lösung: Schnell das Gepäck aus dem Hotel holen und ab zum Bahnhof. Dort erfuhren wir, dass unser Zug am Vormittag in Köln hängen geblieben war und dort zur vorgesehenen Zeit wieder zurück nach München abfahren würde. Diesen Zug ab Köln mussten wir erreichen.
Die niederländische Bahn setzte uns in den nächsten ICE nach Deutschland. Wir warteten am Kölner Hauptbahnhof bis kurz vor 22.30 Uhr. Eigentlich hatten wir uns vorgestellt, um diese Zeit herum bereits friedlich zu schlummern, hätten wir doch seit Utrecht gut drei Stunden in unserem Liegewagen verbracht. Immerhin, von Köln bis München verlief die Fahrt dann problemlos und wir kamen pünktlich wieder zu Hause an. Im Nachtzug mussten wir allerdings frieren, weil die Klimaanlage zu kalt eingestellt war und der Zugbegleiter nicht wusste, wie er das ändern könnte.
Trotz der widrigen Umstände: Das Prinzip Schlafwagen wird auf jeden Fall eine zweite Chance erhalten. Wahrscheinlich auf einer anderen Strecke, vielleicht auch bei einer anderen Bahngesellschaft. Aber die Grundidee besticht: Während der Anreise entspannt im Schlafwagen träumen, um dann gemütlich am Zielort anzukommen. Mit mehr Zeit für das Erkunden des Zielorts. Zumindest in der Theorie.
Ihr gutes Recht bei Zugausfall und Verspätung
In der EU ist geregelt, wann Bahnreisende bei Zugausfall oder Verspätung einen Anspruch auf Entschädigung haben:
• Bei Verspätungen von mehr als 60 Minuten am Ziel erhalten Reisende 25 Prozent zurück.
• Bei einer Verspätung von mehr als 120 Minuten am Zielbahnhof werden 50 Prozent des Fahrpreises erstattet.
• Fällt der Zug aus, wird das Ticket erstattet.
• Achtung: Nach drei Monaten gelten die Ansprüche nicht mehr.
Tipp: Auf jeden Fall sollten Reisende die Fahrt als Ganzes buchen. Denn schon kleine Verspätungen können bei mehreren Umstiegen zu großen Verspätungen führen.
Nachtzugstrecken in Europa
Mittlerweile verkehren zahlreiche Nachtzüge mit unterschiedlichen Standards im europäischen Streckennetz: Von Sizilien bis Norwegen, von Istanbul bis Cornwall. Eine Auswahl der Strecken (ohne Zwischenhalte):
• Stockholm – Narvik
• Malmö – Stockholm
• Berlin – Stockholm
• Helsinki – Kemijärvi (Santa-Claus-Express)
• München – Rom
• München – La Spezia
• Innsbruck – Amsterdam
• Paris – Nizza
• Budapest – Berlin
• London – Inverness
• Stuttgart – Venedig
• Wien – Paris
Entlang der Strecken halten die Züge in der Regel in größeren Städten.
Kommentare
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Es könnte so schön sein - ausgeruht und umweltfreundlich morgens am Ziel, etwas Orientexpress Gefühl gibts noch dazu.
Leider haben wir dieses Jahr auch eher das Gegenteil erlebt.
Trotz gesalzener Preise buchten wir den Autoreisezug von Hamburg nach Lörrach um der Reichweitenproblematik unseres E-Autos entgegen zu wirken.
Der Traum abends in der Zug zu steigen um morgens anzukommen blieb allerdings auf Hin- und Rückreise ein Traum - die Realität eher ein Albtraum: Einchecken am frühen Nachmittag und dann stundenlanges Warten auf die Verladung - am Ziel jeweils langes Hin- und Her rangieren des Zuges oder Warten auf Abstellgleisen mit jeweils ausfallender Klimaanlage sorgten für ca. 20 Stunden Fahrzeit - mit dem Auto wären es
etwa 7-8 Stunden gewesen.
Daß die Züge aus den 60er Jahren stammen und mehr als abgerockt wirken findet offenbar auch das Reinigungspersonal. So verwarnte Teppiche braucht man nicht mehr zu saugen…
Über die Toiletten lasse ich mich lieber gar nicht erst aus.
Wie schade, daß eine so schöne Idee so schlecht umgesetzt wird.
Wenn man dann wenigstens einen Verkehrsminister hätte, der seine Arbeit richtig macht…