Leben

Nachhaltiger Urlaub auf dem Floß

Raus aus dem Haus und rauf aufs Wasser: Urlaub auf dem Floß ist wahrlich ein Naturerlebnis. Andrea Mertes hat es ausprobiert.

Rund 14 Quadratmeter misst das Floß. Gebaut ist es aus Holzdielen, eine Reihe Kunststoffschwimmer auf der Unterseite geben ihm den nötigen Auftrieb, ein 4-PS-Motor den Antrieb, ein klappbares Zelt aus grünem Canvas macht das Ganze zum Camping-Floß.

Mit diesem so minimalistischen wie ästhetischen Konstrukt wollen wir tagsüber durch die Wasserarme von Waterland tuckern, eine Gemeinde in Nordholland – nur eine halbe Stunde Fahrtzeit von Amsterdam entfernt. Abends auf dem Wasser ankern, nachts im Freien schlafen. Die Polder kennenlernen, diese eingedeichte Landschaft, dem Meer abgerungen, feucht und sumpfig. Und Vögel erleben, möglichst viele unterschiedliche: Gänse und Enten, Rohrdommeln, Baumfalken und Teichrohrsänger. Doch zu Anfang unseres Trips hoffen wir erst einmal darauf, dass der Himmel aufreißt und der Sturm sich legt.

Gutes Wetter muss sein

„Bei Windstärke 7 könnt ihr nicht starten. Zu gefährlich.“ Apostolis Noustis, der Floßbauer und -vermieter, steht am Hafen von Monnickendam und hebt bedauernd die Arme. Er hat die Gesichtsfarbe eines Menschen, der von Berufs wegen viel draußen ist. Der Mann wird wissen, wovon er redet. Mit Bedauern werfen wir einen Blick auf das Floß, das in seiner Flachheit ausschaut wie ein schwimmender Ponton. Ganz unscheinbar ist es und an diesem windigen Vormittag auch nicht allzu vertrauenerweckend. Sturmtief Poly macht uns einen Strich durch die Rechnung.

Ausflug nach Oostvaardersplassen

Wir ändern unsere Pläne und gehen nicht mit dem Floß, sondern einstweilen mit dem Auto auf Exkursion. Drüben, auf der anderen Seite des Markermeers. Dort, wo sie in den 1960er-Jahren ein 5600 Hektar großes Gelände trocken gelegt haben, das von der Natur zurück erobert wurde: Oostvaardersplassen.

Naturschauspiele in Nordholland

Ausgedehnte Wasserflächen sind zu sehen, gefolgt von Graslandschaften und Bauminseln. „Heute leben auf dem Areal rund 250 Vogelarten“, erklärt Ranger Hans-Erik Kuypers, als er uns in seinem Jeep mitnimmt zu einer Tour ins Gelände. „Davon sind 31 streng geschützt.“ Besonders stolz sind sie hier auf die Rückkehr des Seeadlers, diesen mächtigen Greifvogel mit einer Flügelspannweite von bis zu 2,50 Meter. Lange Zeit war er in den Niederlanden ein seltener Gast auf Durchzug im Winter. Nun ist er dauerhaft zurück, zuletzt wurden 18 Brutpaare gezählt.

Während sich Sturm Poly mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 140 Stundenkilometern der Nordseeküste nähert, steuert Kuypers den Jeep über eine Schotterpiste zu einer Schar Konikpferde. Ein Blick durchs Fernglas: Ein Starenschwarm fliegt über den graubraunen Pferderücken auf. Es sind solche Naturschauspiele, die den Trip in den Norden der Niederlande so lohnenswert machen. Das. Und vielleicht auch das Wissen, dass sich Schlechtwetterlagen an der Küste meist nicht lange halten.

Wofür der rote Eimer auf dem Floß ist

Denn obwohl am Morgen nach diesem Ausflug eine nationale Sturmwarnung auf dem Smartphone blinkt und einen dringlich davor warnt, nach draußen zu gehen: Am Nachmittag lichtet sich der Himmel plötzlich. Und damit auch die Miene von Apostolis Noustis.

Endlich können wir selbst hinaus aufs Wasser. Das Drumherum ist schnell erklärt, Noustis wichtigste Anweisung nehmen wir ernst: nichts auf dem Floß darf höher sein als die silberne Alubox, in der Kochutensilien lagern. Die Box passt genau unter der niedrigsten Brücke in Waterland durch. Wir üben, uns flach aufs Floß zu legen für den Fall der Fälle, verstauen Rucksack, Einkäufe und Schlafzeug, starten den Bordmotor, wickeln die Haltetaue vom Stempen, denken kurz „Ahoi“ und auch: „Hoffentlich muss ich die nächsten Stunden nicht aufs Klo.“ Der Blick auf den roten Plastikeimer, den Noustis uns für die Notdurft mitgibt, ist der einzige Wermutstropfen beim Start.

7 Facts zum Floßurlaub

So geht Entscheunigung auf dem Floß

  1. Flöße sind im Grunde schwimmende Plattformen auf unterschiedlich vielen Schwimmkörpern. Alles liegt auf einer Ebene.
  2. Im Unterschied zu Hausbooten sind sie nur mit einer Holzhütte oder einem Zelt zum Übernachten ausgestattet. Als Antrieb haben Flöße meist einen kleinen Motor.
  3. Die Leistung des Motors sollte man nicht ausreizen, sondern lieber mit wenig PS übers Wasser gleiten. Flöße werden bei vollem Schub nur wenig schneller.
  4. Floßfahren kann jede und jeder: Eine kurze Einweisung durch den Vermieter reicht und es kann losgehen. Es ist kein Bootsführerschein erforderlich. Wer schon mal Boot gefahren ist, hat es natürlich noch leichter.
  5. Ein Floß liegt ruhiger im Wasser als ein Boot und bietet gleichzeitig mehr Platz. Weil es nur wenig Tiefgang hat, ist das Ankern in seichten Buchten und das Anfahren von Uferbereichen möglich. Dass man dabei naturschonend vorgeht, versteht sich von selbst.
  6. Die Nacht verbringt man wie beim Camping auf Isomatten und Luftmatratzen. Damit wird das Schlafen auf einem sanft schaukelnden Floß zu etwas ganz Besonderem.
  7. Wo soll es hingehen? Allein in Deutschland gibt es viele Möglichkeiten für Floßurlaub, vor allem die seenreichen Gegenden in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern sind beliebte Ziele. Auch auf zahlreichen Flüssen werden Floßtouren angeboten. Mit den Suchworten ‚Floß‘ und ‚Urlaub‘ werdet ihr schnell fündig.

Unter einem lichter werdenden Himmel tuckern wir mit sechs Stundenkilometern durch den Hafen von Monnickendam und über die Gouwzee, das Gewässer zwischen dem Festland von Waterland und dem Markermeer. Krickenten und Blässhühner wackeln in den Wellen an uns vorbei, offenkundig komplett unbeeindruckt von uns und unserem Gefährt. Wir weichen einer Familie Enten aus und geben weiter Gas. Was wir suchen, ist ein guter Ankerplatz. „Viele, die unsere Flöße ausleihen, haben noch niemals draußen geschlafen“, hatte Noustis uns am Vortag erzählt. „Ich möchte, dass die Menschen diese besondere Erfahrung machen. Denn wenn du etwas derartiges kennen- und schätzen gelernt hast, dann engagierst du dich anders für die Natur.“

„Wenn du etwas derartiges kennen- und schätzen gelernt hast, dann engagierst du dich anders für die Natur.“

Apostolis Noustis

Tatsächlich wird es zu einer besonderen Erfahrung, auf einem Floß zu schlafen. Nicht wegen des Plastikeimers, der zum Glück nicht zum Einsatz kommt – einer Ufertoilette sei Dank. Sondern wegen der Unmittelbarkeit dieser kleinen schwankenden Plattform, ohne jede Reling und ohne jede Grenze.

Man kann sich über ihren Rand ins Wasser fallen lassen, platsch und weg. Hinausschwimmen ins Blau und wieder hinaufklettern aufs Floß. Man kann sich zum Trocknen ausstrecken und den Wolken beim Vorüberziehen zuschauen, während das Wasser unter einem den Rhythmus dazu schwankt. Und irgendwann, wenn das Abendbrot gegessen, das Bier getrunken und die Sonne längst untergegangen ist, auf dem Feldbett unter grünem Canvas einschlafen. Im Ohr das Schreien von Vögeln, deren Namen man nicht kennt und die mächtiger wirken, als sie wahrscheinlich sind.

Floßfahren mit und ohne Motor

Die besten Momente mit dem Floß sind solche wie diese am Abend: ruhig ankernd, draußen auf dem Wasser. Vielleicht hätte man dort bleiben sollen, auf der Gouwzee, zwei, drei Tage, angelnd, schwimmend, abends auf ein Lagerfeuer an den Strand oder einen Sundowner treibend zur Beach-Bar „Strand Vier“. Doch waren wir nicht wegen der Vögel hier? Richtig, da war was.

Da ist allerdings auch ein Außenbordmotor, der wie ein Mini-Rockfestival auf dem Wasser wirkt. Wer zwei Flügel hat zum Abheben, fliegt bei dem Krawall davon. Als wir am nächsten Tag mit unserem Floß durch die Kanäle von Waterland schippern, uns flach auf den Floßboden werfen unter den Brücken und grüßend vorbeiknattern an Paddlern und Elektrobooten (auf Niederländisch so hübsch „Fluisterboote“ genannt), ist von der Hauptattraktion der holländischen Tierwelt recht wenig zu sehen.

Weltkulturerbe

Früher dienten Floßfahrten dem Holz- und Warentransport. 2022 hat die UNESCO die Flößerei als immaterielles Weltkulturerbe anerkannt.

In Erinnerung bleiben ein flüchtender Fasan, ein verpennter Kormoran und überarbeitete Entenmütter mit Nachwuchs. Einen Seeadler, dieses Sehnsuchtstier, bekommen wir nicht zu Gesicht. Dafür aber viele Holsteinrinder rechts und links der Wasserwege. Das ist ein bisschen Pech, gilt doch unter Vogelexperten unter anderem die Region zwischen Zuiderwoude und Monnickendam wie auch eine Tour von Broek in Waterland nach Uitdam als Garant für Vogelsichtungen, vor allem im Frühjahr.

Beim nächsten Mal würden wir wohl ein Fluisterboot mieten. Apostolis Noustis hat für die nächste Saison schon den Wechsel auf Elektromotoren in Planung. Ein Grund, wiederzukommen. Einer von vielen.

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