Leben

Meditieren ist Medizin

Dass Meditation Stress reduziert, gilt als unbestritten. Nun erforschen Mediziner mit moderner Technik, was sie noch bewirken kann.

Meditation ist ein jahrtausendealtes Mentaltraining, hat oft religiösen Ursprung, und es gibt verschiedenste Techniken. Selbst das katholische Rosenkranz-Beten ist letztlich Meditation. Wobei es sich dabei wegen der unablässigen Wiederholungen um eine Art Mantra-Meditation handelt, bei der man sich auf einen Satz, ein Wort oder eine Silbe konzentriert. Für Einsteiger eignen sich auch Bewegungsmeditationen wie Tai Chi, Qigong, bestimmte Formen von Yoga oder einfachen Gehmeditationen, Schritt für Schritt.

Spricht heute jemand in der westlichen Welt von Meditation, ist fast immer die von Jon Kabat-Zinn entwickelte Achtsamkeitsmeditation gemeint: eine nichtreligiöse Form, die hinduistische und buddhistische Elemente mit westlicher Medizin verbindet. Wenn Jon Kabat-Zinn nicht schlafen kann, verlässt er sein Bett. Er setzt sich hin und meditiert, statt liegen zu bleiben und sich herumzuwälzen, und beobachtet seinen Atem. Gedanken oder Gefühle registriert er und lässt sie weiterziehen, ohne sich mit ihnen zu beschäftigen. Eine halbe Stunde genügt ihm, um sich so weit zu entspannen, dass er wieder schlafen kann.

Gegen Stress und Burnout

Das Essenzielle aller Techniken ist das Konzentrieren auf einen Fokus, etwa die Atmung, zu der man immer wieder zurückkehrt, wenn die Gedanken wegdriften. Der US-amerikanische Molekularbiologe und Verhaltensmediziner Jon Kabat-Zinn hatte in den 1970er-Jahren als einer der ersten erkannt, dass regelmäßiges Meditieren gegen Stress hilft und Burnout vorbeugt. Er gründete die Stress-Reduction Clinic an der Medical School der Universität von Massachusetts, in der seitdem MBSR-Kurse veranstaltet werden. MBSR steht für Mindfulness Based Stress Reduction und heißt übersetzt so viel wie „Auf Achtsamkeit basierende Stressreduzierung“. Mittlerweile bieten Hunderte von Kliniken, Gesundheitszentren und Therapeuten, nicht nur in den USA und in Europa, solche MBSR-Seminare an, in denen Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Achtsamkeitsmeditation erlernen.

Tobias Esch ist Professor für Integrative Gesundheitsversorgung und -förderung an der Universität Witten/Herdecke. Er gilt als einer der führenden Köpfe der Integrativen Medizin. Für ihn gehört es zu den großen Verdiensten der Meditationsforschung, dass sie die Möglichkeit von Selbsthilfe und Selbstheilung anerkennt: „Damit kehrt ein wichtiger,
aber lange missachteter Aspekt der Medizin ins Rampenlicht zurück: die jedem von uns innewohnende Fähigkeit, durch mentale Techniken die Verbindung zwischen Geist und Körper zu stärken und dadurch aktiv das eigene Wohlbefinden und die eigene Gesundheit zu beeinflussen.“ Für den Mediziner ist klar: „Meditation gibt uns die Kontrolle zurück, sie
befreit uns aus der Hilflosigkeit gegenüber inneren und äußeren Einflüssen.“ Meditation entfaltet ihre Wirkungen im gesamten Organismus, wie mittlerweile wissenschaftliche Untersuchungen belegen.

10 Dinge, die Meditation bewirken kann

Die Versprechen, was regelmäßige Meditation alles bewirken kann, lesen sich wie eine lange Liste der Wohltaten am eigenen Selbst. Es heißt:

  • Meditation mache gelassener und man entspanne sich leichter.
  • Ein zu hoher Bluthochdruck sinke ab.
  • Es falle leichter, Schmerzen zu akzeptieren und zu verarbeiten.
  • Atemwegsprobleme treten seltener auf.
  • Nach zweimaliger Depression halbiere sich das Risiko für eine dritte.
  • Ein- und Durchschlafen klappe besser.
  • Regelmäßiges Meditieren bremse entzündliche Prozesse – und damit Erkrankungen wie Allergien und Autoimmunleiden.
  • Das Gehirn altere langsamer: Die grauen Zellen würden weniger schnell abgebaut, Verbindungen zwischen einzelnen Hirnregionen blieben länger intakt.
  • Konzentrations- und Lernvermögen verbesserten sich; die Intelligenz nähme zu, ebenso die Fähigkeit, Probleme zu lösen.
  • Stimmung und Sicht aufs Leben würden positiver.

Forschungsergebnisse

Systematische Meditationsforschung gibt es seit knapp 50 Jahren. Einige Fragestellungen interessierten die Wissenschaftler besonders: Etwa ob Meditation auch dann medizinisch wirke, wenn man sie „nur so“ macht, ohne sich dabei ein bestimmtes Ergebnis zu wünschen? – Die Antwort: nicht, wenn es um das Thema Schmerz geht, so veröffentlicht im vergangenen Jahr in einer Studie von Tobias Esch und Kollegen. Die Witten/Herdecker Wissenschaftler hatten zusammen mit Dr. Stefan Schmidt, Psychologe am Uniklinikum Freiburg, herausgefunden, dass Schmerzpatienten, die nicht wussten, dass sie gerade für weniger Schmerzen meditieren sollten, keine Schmerzlinderung erfuhren; im Gegensatz zu denjenigen, die sich nur deshalb auf ihr Meditationskissen setzten, weil sie gezielt etwas gegen ihre Schmerzen tun wollten. Nun muss untersucht werden, ob es auch bei anderen gesundheitlichen Problemen hilfreich ist, vor dem Meditieren einen konkreten Plan zu haben, wofür man meditiert.

Eine weitere Frage der Forscher betraf das Tagträumen, eine Ruheschwingung des Gehirns, auf Englisch Default Mode Network (DMN) genannt. Diese Ruheaktivität setzt ein, wenn wir wach sind, aber an nichts Spezielles denken – ein Zustand, der in unserer Zeit immer seltener vorkommt, für das Gehirn aber sehr gesund ist. Während des Tagträumens durchforstet das Gehirn seinen Arbeitsspeicher, speichert Wichtiges und löscht Unwichtiges. Die Wissenschaftler wollten herausfinden, ob regelmäßiges Meditieren dazu führt, dass das Gehirn das Tagträumen verlernt. Tatsächlich gibt es Hinweise darauf, dass Meditation den DMN-Zustand unterdrückt. Nun wird diskutiert, ob man zusätzlich zur Meditation Zeit fürs Tagträumen nehmen sollte. Oder ob es vielleicht sogar Meditationsformen gibt, die beide Schwingungszustände anstoßen.

Dyaden-Meditation trainiert Mitgefühl

Fördert tägliche Meditationsübung unsere Fähigkeit, Mitgefühl zu empfinden? Das interessierte auch die deutsche Neurowissenschaftlerin und Psychologieprofessorin Tania Singer. Doch die Empathiewirkung scheint weniger ausgeprägt zu sein als zunächst angenommen. Aktuelle Versuche zeigen, dass Mitgefühl und Empathie regelrecht trainiert werden können – mit sogenannten Dyaden-Meditationen. Diese Meditationsform setzt im Gegensatz zur klassischen Ruhemeditation auf Meditieren in Form völlig präsenter Dialoge. Zwei Menschen kommunizieren persönlich oder via Bildschirm, achtsam, nacheinander und mit absoluter Zugewandtheit. Nach drei Monaten mit täglich zehn Minuten Dyaden-Meditation lassen sich per Magnetresonanztomografie (MRT) im Gehirn strukturelle Veränderungen in Bereichen abbilden, die mit der Verarbeitung von Mitgefühl und Perspektiv-übernahme verknüpft sind.

Meditation scheint auch die Lebensdauer zu beeinflussen. Wissenschaftliche Untersuchungen an der Universität von San Francisco legen dies nahe. Professorin Elissa Epel, Psychologin mit Schwerpunkt Biologie und Gesundheit, wies nach, dass regelmäßiges Meditieren die Zellalterung verlangsamt. Weitere Untersuchungen sollen zeigen, inwieweit dies die Alterung des gesamten Organismus beeinflusst. Womöglich ist Meditation also eine Art Anti-Aging-Maßnahme.

Meditation kann unser Leben verändern. Vor allem, weil sie die Neuroplastizität unseres Gehirns stimuliert. Neuroplastizität ist die Fähigkeit des Gehirns, sich infolge von Erfahrungen oder durch Training zu verändern. Sowohl die Anatomie als auch die Funktion unseres Gehirns werden durch regelmäßig praktizierte Meditation dauerhaft umgewandelt. Das beeinflusst den gesamten Organismus. Wer meditiert, lernt besser mit Belastungen klarzukommen und entwickelt ein besseres Gespür für seinen Körper.

Mehr zum Thema

www.ich-will-meditieren.de
Kontaktadressen zu Meditationsgruppen vor Ort und MBSR-Seminare

Buchtipp
Esch, Tobias:
Der Selbstheilungscode. Die Neurobiologie von Gesundheit und Zufriedenheit.
Beltz, 335 Seiten, 19,95 €

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