Leben

Leisure Sickness: Warum werden wir im Urlaub krank?

Bett statt Beachclub: Manche Menschen werden immer dann krank, wenn der Urlaub naht. „Leisure Sickness“ ist ein Warnsignal.

Alles hätte so schön sein können: „Gutschein für ein Wochenende zu zweit in Amsterdam“ stand auf der Karte. Mein Mann hatte alles organisiert, von der Unterbringung der Kinder bei den Großeltern bis hin zur winterlichen Grachtenfahrt. Klar, die Tage vor der Abreise waren hektisch, schließlich sollte kein geschäftlicher Anruf unsere Zweisamkeit stören. Aber die Auszeit in Holland würde uns ja für den ganzen Stress entschädigen. Soweit der Plan. Doch schon bei der Abfahrt begann der Hals zu kratzen, die Augen tränten, die Nase lief. Statt „coffietje“ im Café gab’s Kamillentee im Hotelzimmer. Vom Menü im edlen Restaurant kann ich nur berichten, dass die Vorspeise lecker war. Danach war die Nase zu und der Geschmack weg.

Zurück daheim war man sich im Kollegen- und Freundeskreis einig: Mein Amsterdam-Ausfall war keine Ausnahme. Fast jede und jeder konnte eine persönliche Geschichte beitragen. Der Plot ist dabei immer derselbe: Man powert bis zur Erschöpfung im Job, in der Familie – bei den Erzählungen jüngeren Datums kommt noch Corona als zusätzlicher Stressfaktor hinzu. Stehen dann endlich das rettende Wochenende oder der lang ersehnte Urlaub kurz bevor, macht der Körper schlapp und fordert Bett statt Beachclub oder beschert Grachtenfahrten mit Grippe.

Warum der Vor-Urlaubs-Stress in den Ferien krank macht

Zufall? Oder schlechtes Karma? Weder noch – sondern eher eine ziemlich schlaue Reaktion des Körpers. Professor Michael Stark, Stress- und Fatigueforscher in Hamburg, erklärt sie so:

„Bei vielen hochgetakteten Menschen ist das vegetative Nervensystem, bestehend aus Sympathikus und Parasympathikus, ständig auf Flucht getrimmt.“

Im Sympathikus-Modus schlägt unser Herz schneller, die Muskeln werden bestens mit Sauerstoff versorgt, wir sind hochkonzentriert – quasi jederzeit bereit, es mit dem Säbelzahntiger (oder dem Chef) aufzunehmen.

Wichtig wäre es, nach einer solchen Stressphase den Parasympathikus wieder seinen Dienst tun zu lassen – er ist zum Beispiel zuständig für Tiefschlaf, Verdauung und Lustempfinden. Doch das Problem ist laut Stressforscher Michael Stark dieses: „Wir schalten auch abends nicht zurück.“ Der Spiegel der Stresshormone Adrenalin und Cortisol bleibt beständig hoch. Erst dann, wenn wir uns am Wochenende oder im Urlaub etwas Ruhe gönnen, versucht der Körper für Ausgleich zu sorgen und fährt herunter. „Die einen würden dann am liebsten drei Tage nur schlafen, andere Menschen reagieren mit Fieber, Rückenschmerzen oder mit Migräne-attacken“, beschreibt Professor Stark mögliche Symptome.

Forschende um den Psychologen Ad Vingerhoets von der niederländischen Universität Tilburg haben dieses Phänomen bereits Anfang der 2000er Jahre wissenschaftlich untersucht und auch einen klingenden Namen dafür gefunden: Leisure Sickness, also Freizeitkrankheit. Passender als „Krankheit“ erscheint jedoch die Bezeichnung „Syndrom“. Denn die Symptome sind so unterschiedlich und unspezifisch, dass eine Krankheit im klassischen Sinn nur schwer diagnostiziert werden kann. Unstrittig sind jedoch bestimmte Risikofaktoren. Neben einem herausfordernden Arbeitsumfeld gehören dazu etwa ein hohes Verantwortungsbewusstsein und permanente Erreichbarkeit.

Was können wir tun – bevor wir krank werden?

Sprich: Nicht die Freizeit macht uns krank, sondern der Dauerstress davor. In einer repräsentativen Umfrage der Internationalen Hochschule Bad Honnef Bonn gaben 22 Prozent der rund 2000 Befragten an, Ähnliches schon erlebt zu haben. Aber leiden tatsächlich alle, die – wie ich in Amsterdam – einmal krank in die Ferien gestartet sind, unter dem Leisure-Sickness-Syndrom?

Nein, sagt Birte Balsereit. Die Psychologin und Heilpraktikerin für Psychotherapie betont: „Entscheidend ist das wiederkehrende Muster.“ Gedanken machen sollte sich ihr zufolge, wer am Wochenende regelmäßig platt im Bett liegt oder zuverlässig vor dem Jahresurlaub krank wird. Denn Leisure Sickness kann ein Vorbote von Burn-out oder Depressionen sein. Betroffen sind laut Birte Balsereit vor allem ehrgeizige, perfektionistische Menschen, die sehr für ihren Job leben – und verlernt haben, auf ihren Körper zu hören.

„Leisure Sickness kündigt sich an“, sagt auch Stressforscher Michael Stark und empfiehlt, auf Warnsignale des Körpers zu achten. „Das ist wie beim Autofahren, wenn am Armaturenbrett das rote Lämpchen aufleuchtet. Dann heißt es: Fuß vom Gas und die nächste Tankstelle anfahren.“ Statt alle freien Tage für die eine große Reise aufzusparen, rät Stark, öfter mal einen Kurztrip zwischendurch oder auch nur eine entspannende Massage einzuplanen. „Tragisch an unserer beschleunigten Zeit ist, dass extravagante Urlaube zum Statussymbol geworden sind“, bedauert er. Eine Jeeptour in Australien sei vielleicht repräsentativ, viel erholsamer sei es für Stressgeplagte jedoch, vertraute Orte anzusteuern und dort im Lieblingsrestaurant einzukehren.

Gegen Leisure Sickness: Sanfter Übergang von Stress zu Entspannung

Wer beruflich stark eingespannt ist, der sollte außerdem möglichst nicht von einem Tag auf den nächsten den Bürosessel gegen den Liegestuhl tauschen. „Für die erste Urlaubswoche ist es oft besser, sich eine Betätigung zu suchen, bei der auch der Kopf beschäftigt ist“, so Stressexperte Stark. Um den Übergang vom fordernden Alltag in den Dolce-Vita-Modus sanfter zu gestalten und die Stresshormone behutsam herunterzufahren, empfiehlt Birte Balsereit, vor der Abreise zwei freie Tage als Puffer einzuplanen. In dieser Zeit sollte man aktiv sein und gleichzeitig Abstand von der Arbeit gewinnen. „Man kann zum Beispiel den Keller aufräumen und dabei Schritt für Schritt herunterkommen“, lautet ihr Rat für einen unbeschwerten Ferienstart.

Dem Stress die Stirn bieten – Tipps gegen die Freizeitkrankheit

  • Bewegung
    Bewegung hilft, um zu entspannen. Es muss kein Marathon sein: Nach der Arbeit zehn Minuten rauszugehen ist ein guter Anfang.
  • Atmen
    Zehnmal tief ein- und ausatmen – das reduziert Stresshormone.
  • Schlafen
    Im Schlaf wird Stress abgebaut. Übungen, wie man trotz Alltagshektik erholsam schläft, gibt‘s zum Beispiel unter deutschestiftungschlaf.org.
  • Abgrenzen
    Arbeit und Freizeit sollten klar voneinander getrennt sein. Kleine Rituale – zum Beispiel eine Dehnübung – helfen dabei, den Feierabend einzuläuten.
  • Nein sagen
    Gesundheitsgefährdende (Arbeits-)Anforderungen nicht kommentarlos hinnehmen, sondern auch Erholungszeit einfordern.
  • Nachdenken
    Kritisch hinterfragen: Müssen es immer 100 Prozent Leistung sein? Oder reichen auch mal 80 oder 90 Prozent?
  • Jung und gestresst?
    Die Informationsplattform headache-hurts.de richtet sich gezielt an Studierende, mit Tipps für den Umgang mit Stress, um einer Migräne im Urlaub vorzubeugen.
  • Mehr zum Thema
    Buchenau, Peter und Balsereit, Birte: Chefsache Leisure Sickness. Verlag Springer Gabler, 128 Seiten, 19,99 €
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