Interview

Laura Malina Seiler: „Innehalten ist ein erster Schritt“

Die Influencerin im Gespräch über Achtsamkeit für Einsteiger:innen, Toxic Positivity und ökologische Landwirtschaft.

Beim digitalen Interview sitzt Laura Malina Seiler in ihrem sonnigen Wintergarten in Berlin. Dort entstehen die Ideen für ihren Coaching-Podcast ebenso wie ihre Bestseller über Persönlichkeitsentwicklung. In den sozialen Netzwerken verfolgen Hunderttausende Follower:innen ihre Arbeit. Wir haben mit ihr über Achtsamkeit im stressigen Alltag, den gesunden Umgang mit Gefühlen und die Kritik an der Coaching-Industrie gesprochen.

Wann hast du begonnen, dich mit Achtsamkeit zu beschäftigen?
Als ich 21 war, hat mir meine Patentante ein Coaching-Seminar geschenkt. Ich war erst total skeptisch – und dann begeistert. Denn ich habe zum ersten Mal in meinem Leben meine Gedanken bewusst beobachtet und mir klar gemacht, dass nicht alles, was ich denke, wahr sein muss. Das war für mich revolutionär. Denn meine Grundüberzeugungen vorher waren zum Beispiel: „Ich bin falsch“ oder „Ich bin nicht gut genug“ und das hat sich überall in meinem Leben widergespiegelt.

Wie kann man aus diesem inneren Gedankenkarussell aussteigen?
Der erste Schritt ist kurz innezuhalten, tief einzuatmen, den eigenen Körper wahrzunehmen, Gefühle und Gedanken zu beobachten und sich zu fragen: Tut mir dieser Gedanke gut? Und was brauche ich gerade wirklich? Das kann etwas Kleines sein, zum Beispiel in diesem Moment etwas Positives zu finden wie „Ich bin stolz auf mich, innegehalten zu haben“.

Du hast selbst einen Vollzeitjob und zwei Kinder. Wie gelingt dir Achtsamkeit im stressigen Alltag?

Ein Beispiel ist das ständige Beeilen im Alltag mit meinen Kindern. In stressigen Momenten versuche ich deshalb immer wieder, kurz innezuhalten und mich zu fragen: Wie eilig habe ich es gerade wirklich? Habe ich Zeit, mich kurz mit meinen Kindern zum Spielen auf den Boden zu setzen? Auch wenn es nur ein paar Minuten sind. Das ist für mich der erste Schritt und der zweite zielt auf die Frage ab, was sich hinter dem Gefühl verbirgt: Was stresst mich wirklich gerade? Was ist mein innerer Antreiber und woher kommt er? Das kann zum Beispiel ein Leistungsgedanke sein, sodass ich mir nicht erlaube, auszuruhen.

Stichwort Toxic Positivity: Immer positiv und achtsam zu sein ist nicht gesund. Gibt es auch die Laura, die nicht nur guter Dinge ist?

Auch ich bin nicht immer positiv, das geht gar nicht. Ich fühle mich auch traurig, nachdenklich oder frustriert. Gerade im letzten Jahr war ich häufig wütend und in diesen Momenten war es total wichtig, mir zu erlauben, genau das zu fühlen. Aber dadurch, dass ich schon seit vielen Jahren selbst bei Bedarf therapeutische Hilfe in Anspruch nehme, kann ich inzwischen schneller wieder aus solchen Gefühlen aussteigen.

Wann ist es besonders wichtig, den Gefühlen genug Raum zu geben?
Traurigkeit zum Beispiel kommt in Wellen, und wenn die Welle kommt, sollten wir sie auch da sein lassen, denn es bringt nichts, gegen sie anzuschwimmen. Gerade Weinen hilft dem Körper, Dinge loszulassen. Das Problem ist, dass wir oft Angst haben, bestimmte Gefühle zu fühlen oder in Konflikte reinzugehen. Dabei bietet das ein enormes Potenzial. Denn es geht darum, mit den Gefühlen zu arbeiten, damit diese auch wieder gehen können. Es hilft, sich zu fragen: Was sagt mir die Traurigkeit und die Wut? Wo ist vielleicht gerade jemand über meine Grenze gegangen? Dieser Prozess braucht viel Zeit.

Zur Person

Laura Malina Seiler wurde 1986 in Überlingen am Bodensee geboren und hat nach ihrem Bachelor-Studium eine Life-Coaching- Ausbildung bei Dr. Petra Bock sowie eine Hypnose-Ausbildung absolviert. Die Influencerin wurde bekannt mit ihrem Coaching-Podcast „Happy, Holy & Confident“, der inzwischen über 55 Millionen Downloads vorweist. Sie hat drei Bestseller zu den Themen Achtsamkeit und Persönlichkeitsentwicklung geschrieben und lebt aktuell mit ihren beiden Kindern in Berlin.

Wie kann man trotz der vielen Krisen in den letzten Jahren zuversichtlich bleiben?
Ein erster Schritt könnte sein, die eigenen Ängste anzuerkennen und zu versuchen, regelmäßig das Nervensystem zu beruhigen – zum Beispiel durch tiefes Atmen oder Meditation. Eine Übung, die ich gerne nutze, ist EFT (Emotional Freedom Technique), bei der man an verschiedenen Stellen auf den Körper klopft. Ein weiterer Schritt ist es, liebevoll auf sich selbst zu blicken, anzuerkennen, dass es gerade herausfordernd ist und sich zu überlegen: Wie kann ich selbst auf eine Art mit mir sprechen, die mir Kraft gibt und die mich stärkt?

Nicht alle haben die Voraussetzung, ein glückliches Leben zu führen. Wie stehst du dazu?
Wir alle haben komplett unterschiedliche Ausgangspunkte und das ist nicht fair. Es ist wichtig, traurig oder wütend darüber sein zu dürfen und sich gleichzeitig zu erlauben, eine liebevolle Beziehung zu sich selbst aufzubauen, mit dem, was einem zur Verfügung steht – möglichst unabhängig von dem Vergleich, wo jemand anderes steht. Sich zu fragen: Wie kann ich mich bestmöglich unterstützen? Wo erhalte ich Hilfe?

Der beliebte Coaching-Satz „Du kannst alles schaffen“ trifft für benachteiligte Menschen nicht zu ...
Gerade für Menschen aus Bereichen struktureller Diskriminierung ist das Leben oft schwer. Ich finde es wichtig, dass diese Menschen Ressourcen bekommen, um ihre Identität zu stärken. Coaches sollten ihre Privilegien nutzen, um Türen zu öffnen für alle, die diese Privilegien nicht haben. Deshalb arbeite ich zum Beispiel mit einer Organisation zusammen, die sich für Kinder mit Migrationshintergrund einsetzt und biete Coaching-Content kostenlos an. Wir können nicht alles schaffen. Aber ich glaube, dass wir meistens viel mehr können, als wir denken.

„Ich wünsche mir, dass Bio für jeden zugänglich wird.“

Laura Malina Seiler

Engagierst du dich für die Umwelt?
Ja, ich setze mich vor allem für den Tierschutz ein. Schon seit meiner Kindheit habe ich eine starke Verbindung zu Tieren und ernähre mich deshalb auch seit vielen Jahren zum großen Teil vegan. Vegane Ernährung hat einen enormen Effekt – nicht nur auf das Glück der Tiere und unsere Gesundheit, sondern auch auf das Klima und den ganzen Planeten.

Wie wichtig sind dir Bio-Produkte?
Ich frage mich oft, warum das überhaupt eine Diskussion ist. Müssen wir wirklich darüber reden, ob es gut für Pflanzen ist, wenn wir Gift darauf sprühen? Und glauben wir wirklich, dass das Gift nicht mehr im Gemüse ist, wenn wir es essen? Ich hoffe, dass in den nächsten Jahren viel passiert – vielleicht in Form von staatlicher Subvention. Ich wünsche mir, dass Bio-Lebensmittel für jeden Menschen zugänglich werden und das unsere Normalität wird, denn das sollte jedem Menschen zustehen.

Redaktioneller Hinweis:
Bei seelischen Problemen erhaltet ihr Hilfe bei eurem Hausarzt – dieser kann zum Beispiel eine Psychotherapie verschreiben, deren Kosten von der Krankenkasse übernommen werden.
Wenn ihr euch anonym Hilfe suchen möchtet, könnt ihr verschiedene Hotlines kostenlos anrufen, zum Beispiel die Telefonseelsorge oder die Deutsche Depressionshilfe.


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