Gesundheit

Ruhe bitte! Kann Lärm krank machen?

Lärm kann Stressreaktionen auslösen. Wir klären, was wir unter Lärm verstehen, ab wann er uns und unsere Umwelt gefährdet und wie wir uns schützen können.

Die Musik drängt sich ungestüm in den Vordergrund, Gespräche werden zu Wortfetzen, die man sich gegenseitig ins Ohr brüllt. Die Herzen schlagen vorfreudig der Mitte der Nacht entgegen, bis das neue Jahr mit lautem Knallen, Pfeifen und Sirren willkommen geheißen wird. Ein Feuerwerkskörper explodiert nur wenige Meter entfernt. Es dröhnt in den Ohren, ein leises Piepen bleibt als Erinnerung an das Silvesterfest im Kopf zurück.

Wir leben in einer lauten Welt – selbst dann, wenn wir nichts zu feiern haben. Flugzeuge, Autos, Traktoren, Lastwagen, Züge, Baustellen, Gewerbe, die Nachbarn: Nicht nur in der Stadt, sondern auch auf dem Land lauern zahlreiche Lärmquellen, die an unseren Nerven zerren und unsere Gesundheit schädigen. Laut Umfragen des Umweltbundesamtes ist Straßenverkehr der Störfaktor Nummer eins: Rund 76 Prozent der Befragten gaben an, sich davon beeinträchtigt zu fühlen. 43 Prozent klagten über Fluglärm, 34 Prozent über Schienenverkehr. Durch den Krach ihrer Nachbarn fühlten sich 57 Prozent der Befragten gestört.

Von Umgebungslärm bis Verkehrslärm: Lärm ist subjektiv

Das Wort Lärm stammt vom Italienischen „all’arme“, was auf Deutsch „zu den Waffen“ bedeutet. Kein Wunder also, wenn sich einige von uns wegen der Bauarbeiten vor dem Haus oder dem unermüdlich kläffenden Hund der Nachbarn gelegentlich in Gewaltfantasien verirren. Waffen können hier aber nicht viel ausrichten. Denn jedes Geräusch, egal wie laut, besteht nur aus Luftschwingungen. Diese Schallwellen werden in Dezibel und Hertz gemessen.

Ab wann ein Geräusch zu Lärm wird, hat nicht nur etwas mit Dezibel zu tun. Auch Erfahrungen und Vorlieben spielen eine Rolle – nämlich dann, wenn ein Geräusch als unangenehm empfunden wird. So kommt es, dass einige wegen der dröhnenden Musik aus der Nachbarwohnung entnervt die Ordnungshüter rufen, während drinnen ausgelassene Feierlaune herrscht. Und obwohl sich drei Viertel aller Deutschen durch Straßenlärm belästigt fühlen, hat das Meeresrauschen im Urlaub auf die meisten von uns einen beruhigenden Einfluss. Dabei rauscht das Meer oft lauter als der Verkehr.

Wie beeinflusst Lärm den Körper und die Psyche?

Bei allem Ärger rund um das Thema Lärm ist die Tatsache, dass wir psychisch und physisch auf ihn reagieren, überlebenswichtig. Unser Gehör spielt eine zentrale Rolle beim Erkennen von Gefahren: ein unerwarteter, lauter Knall etwa lässt uns erschrecken. Wir schnappen nach Luft, verbessern damit unsere Sauerstoffversorgung, spannen zum Schutz unsere Muskeln an und sind innerhalb von Millisekunden bereit zur Flucht.

Im Straßenverkehr haben wir gelernt, beim Hören eines Motorengeräuschs nicht die Fahrbahn zu betreten. Daher müssen seit Juli 2021 alle neu zugelassenen Elektrofahrzeuge ein Warngeräusch von sich geben, sobald sie langsamer als 20 Kilometer pro Stunde fahren. Solche Maßnahmen sind besonders für Menschen mit eingeschränktem Sehvermögen wichtig. Im Zielkonflikt Lärmschutz vs. Verkehrssicherheit hat die Sicherheit also Vorfahrt.

Wer auf der Straße allerdings absichtlich lauter ist als nötig und rücksichtslos Bässe wummern und Motoren aufheulen lässt, muss vielleicht bald mit Konsequenzen rechnen. In Frankreich werden schon seit letztem Jahr sogenannte Lärmblitzer getestet, die zu laute Verkehrsrowdys fotografieren.

Lärmschutz: So könnt ihr Geräusche leiser drehen

  • Schaumstoff, Wachs und Silikon in oder große Kapseln auf den Ohren: Gehörschutz gibt es in allen Preisklassen, von standardisiert bis individuell angepasst.
  • Noise-Canceling-Kopfhörer nehmen Umgebungsgeräusche über Mikrofone auf und löschen sie durch Antischall aus.
  • Mit einem Schallpegelmessgerät oder einer App fürs Smartphone können Sie Lärmquellen identifizieren.
  • Ist euer Gehör schon geschädigt oder leidet ihr unter erhöhter Geräuschempfindlichkeit? Ein Hörtest bringt Gewissheit und kann motivieren, Schutzmaßnahmen zu treffen.
  • Das EU-Energielabel für Haushaltsgeräte enthält eine Angabe über die Betriebslautstärke, von flüsterleise (ca. 40 dB) bis Holzfräsmaschinen-laut (ca. 95 dB).
  • Akustik-Stellwände, Teppiche, Vorhänge, volle Bücherregale und Zimmerpflanzen können Lärm mindern.

Gesundheit: Lärm macht krank

Für den Straßenverkehrslärm hat die Weltgesundheitsorganisation WHO Empfehlungen formuliert. Tagsüber sollten die Verkehrsgeräusche im Durchschnitt nicht mehr als 53 und nachts nicht mehr als 45 Dezibel betragen. Davon können viele Menschen jedoch nur träumen – vorausgesetzt, sie finden überhaupt Schlaf. Professor Seidler vom Institut und Poliklinik für Arbeits- und Sozialmedizin der TU Dresden weiß: „Allein durch den Straßenverkehr sind 2,3 Millionen Menschen in Deutschland ganztags Pegeln von mehr als 65 Dezibel ausgesetzt. Nachts leiden 2,6 Millionen Menschen unter Pegeln von mehr als 55 Dezibel.“ Das könne zu starker Belästigung, Schlafstörungen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall führen; auch könnten psychische Erkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen die Folge sein.

Doch ist der Unterschied zwischen den von der WHO festgelegten und den vielerorts etwas höheren Messwerten wirklich der Rede wert? Leider ja, denn eine Erhöhung der Lautstärke um nur zehn Dezibel wird von uns als doppelt so laut wahrgenommen. Seidler empfiehlt bei andauernder Lärmbelastung regelmäßige Lärmpausen. Und gibt zu bedenken, dass spätestens ab 85 Dezibel auf längere Sicht eine Schädigung des Innenohrs und ab 135 Dezibel ein Knalltrauma droht. Dabei entsteht durch die mechanische Schädigung des Innenohrs und der dortigen Haarzellen ein Taubheitsgefühl, das sich nicht immer wieder zurückbildet. „Bei noch intensiverer Lärmeinwirkung kann das Trommelfell reißen“, warnt der Experte.

Umwelt: Lärm befeuert das Artensterben

Doch nicht nur für uns Menschen, sondern auch für Tiere ist Lärm eine Gefahr – an Land, in der Luft und im Wasser. Im 20. Jahrhundert hat sich der Lärmpegel der Weltmeere durch Motoren, Sonargeräte, Sprengungen und andere Aktivitäten mehr als verdoppelt. Das führt dazu, dass sich Wale und Delfine mancherorts nur noch unzureichend orientieren können. Nachtaktiven Tieren wie Mardern oder Wildkatzen erschwert ein zu hoher Geräuschpegel das Jagen. Räuber-Beute-Verhältnisse können sich innerhalb kürzester Zeit verschieben. Durch Krach verursachte Fluchtreaktionen kostet Tiere zusätzliche Energie, die ihnen anschließend zum Futtern und Balzen fehlt – vorausgesetzt sie finden bei all dem Lärm noch einen Partner. Denn bei vielen Tieren sind in Liebesangelegenheiten akustische Rufe von zentraler Bedeutung.

Der verirrte Feuerwerkskörper aus der Silvesternacht hat es vermutlich auf etwa 130 Dezibel gebracht. Der dadurch verursachte, leichte Tinnitus wird sich hoffentlich innerhalb weniger Wochen zurückbilden. Doch das zu laute Grundrauschen unserer Welt wird nicht von selbst verklingen. Die gute Nachricht: Gegen Lärm können wir einiges tun – was genau, das erfahrt ihr im folgenden Interview und in der Infobox weiter oben.

Was können wir gegen Lärmbelästigung tun?

Im Interview erzählt und Michael Jäcker-Cüppers, wie wir Lärm vermindern können.

Zur Person Michael Jäcker-Cüppers

Der Diplom-Ingenieur ist Lehrbeauftragter am Institut für Strömungsmechanik und Technische Akustik der TU Berlin.

Unsere Welt ist zu laut. Wie können wir sie wieder leiser machen?

Die drei wesentlichen Strategien sind: vermeiden, verlagern und vermindern. Am Beispiel des Straßenverkehrs bedeutet das etwa: durch weniger Autos Lärm vermeiden; Verkehr auf leise Fahrzeuge verlagern oder durch den Einbau von Schalldämpfern in Fahrzeugen Lärm vermindern. All das zielt darauf ab, den Schalldruckpegel an der Quelle zu reduzieren. Zusätzlich gibt es sekundäre Maßnahmen, um Mensch und Umwelt vor Lärm zu schützen.

Wer entscheidet darüber, welche Strategien umgesetzt werden?

Auf internationaler Ebene verhandeln die Politiker der EU über Grenzwerte für die Geräuschemissionen von Fahrzeugen. Der Bund legt die Grenzwerte für die Geräuschbelastungen bei der Verkehrsplanung fest, indem er leisere Verkehrsarten wie den ÖPNV fördert. Bei der Verkehrs- und Bauplanung müssen Lärmvorsorgemaßnahmen getroffen werden und auch Tempolimits und Fahrverbote sind sehr wirksam. Außerdem finanzieren Bund, Länder, Städte und Gemeinden Lärmsanierungsprogramme zum Bau von Schutzwänden und fördern mancherorts sogar die Schallisolierung von Fenstern.

Was können Gebäude- und Stadtplanung dazu beitragen, dass es leiser wird?

Einiges, denn schallabsorbierende, offenporige Fassaden reduzieren Lärm ebenso wie mehr Grün im Straßenraum. Leider werden akustische Aspekte bei der Gebäudeplanung noch zu wenig berücksichtigt. Stahl- und Glasfassaden mögen zwar schick aussehen, steigern jedoch den Lärmpegel, weil sie Schall reflektieren. Bei der Raumplanung empfiehlt es sich, Schlafräume in den ruhigsten Teilen eines Gebäudes unterzubringen. Und bei der Innenarchitektur können weiche und poröse Materialien Lärm reduzieren.

Mehr zu Thema Lärmbelästigung lest ihr hier:

  • Die NOISE-Karten der europäischen Umweltagentur zeigen europaweit den durch Straßen-, Schienen- und Luftverkehr sowie durch die Industrie verursachten Geräuschpegel: noise.eea.europa.eu
  • Statistiken und Analysen rund um die wichtigsten Lärmquellen in unserem Alltag: www.umweltbundesamt.de/themen/verkehr-laerm
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