Kolumne

Vom Trecker überfahren

Mit dem Abschied vom Sommer kommen die Trecker zurück auf die Straße. Fred Grimm fällt es in diesem Jahr allerdings schwer, die Maschinen nur als Erntehelfer zu sehen.

Der Abschied vom Sommer fällt mir jedes Jahr schwer. Es gibt untrügliche Zeichen für das nahende Ende: Morgens grüßt die Herbstkälte, zur „Tagesschau“ am Abend ist es wieder dunkel und auf dem Lande regieren die Trecker den Straßenverkehr.

Nach den Eindrücken vom Beginn des Jahres hätte man beinahe vergessen können, dass Traktoren nicht in erster Linie dazu da sind, Städte lahmzulegen und Plakate zu transportieren, auf denen Regierende an den Galgen gewünscht werden. In der Erntezeit leisten sie den Job, für den sie eigentlich da sind. Aber die Trecker, wie sie in Norddeutschland genannt werden, sind mittlerweile eben auch Symbole einer eigenwillig rücksichtslosen Protestkultur. Fasst man mal zusammen, was bei diesen „Bauernprotesten“ zu hören war, so erwarten viele Landwirte vom Rest der Bevölkerung offenbar, dass diese weiterhin die von ihnen verursachten Umwelt- und Klimaschäden klaglos hinnimmt, die Gülle und Pestizide in Böden, Grund- und Trinkwasser anrichten. Allein die übermäßige Düngung kostet uns Nicht-Bauern jährlich mindestens drei Milliarden Euro und damit so viel wie die Finanzierung des Deutschland-Tickets. Dazu sollen wir Tierquälerei in der Massentierhaltung ebenso ignorieren wie den Niedergang der Artenvielfalt. Mehr als die Hälfte Deutschlands sind Agrarflächen. Auf 60 Prozent davon wird „Nutztier“futter angebaut. Rund 17 Prozent des angebauten Getreides landen entweder im Tank oder als Rohstoff in der Industrie. Obst, Gemüse und Kartoffeln wachsen auf gerade mal 2,8 Prozent der Agrarfläche.

Vielleicht sollten auch Altenpfleger:innen auf Treckern protestieren.

Fred Grimm

Neben den Bio-Bauern und -Bäuerinnen verzweifeln auch viele konventionelle Höfe an einem System, das Naturschutz und Ethik unterhöhlt, Agrarkonzerne begünstigt und mit irrsinnig komplexer Bürokratie die Arbeit erschwert. Aber die lautstarke Minderheit der Wutbauern kämpft eben nicht gegen dieses System, sondern für ihr vermeintliches Recht, weiter Wasser vergiften und Muttersäue in den Kastenstand sperren zu dürfen – um nur zwei Beispiele zu nennen.

Es ist erstaunlich, wie willig sich politisch Verantwortliche der Treckermacht immer wieder fügen. Einschränkungen beim Pestizideinsatz sind vom Tisch, ebenso die Pflicht, auf einem winzigen Teil der Nutzflächen Natur „zuzulassen“. Gerade erst kippte der Bundesrat eine Neuauflage der Düngeverordnung, zu der Deutschland nach EU-Recht eigentlich verpflichtet ist. Die Bauern, die „aus Protest“ in Brandenburg große Mist- und Güllehaufen auf die Autobahn geschüttet und schwere Unfälle verursacht hatten, wurden nie ermittelt. In diesem Winter sind neue Treckerblockaden angekündigt. Vielleicht ist ja etwas dran an dem Vorschlag, künftig auch andere Protestgruppen mit Traktoren auszustatten. Krankenschwestern und Altenpfleger aus völlig überlasteten Einrichtungen oder Mitarbeitende aus überfüllten Schulen und Kindertagesstätten fänden als Treckerfahrende vielleicht doch mal Gehör.

Fred Grimm

Ein freundliches Männergesicht mit Glatze

Der Hamburger Fred Grimm schreibt seit 2009 auf der letzten Seite von Schrot&Korn seine Kolumne über die Wege und Umwege hin zu einer besseren Welt. Er freut sich über die rege Resonanz der Leserinnen und Leser und darüber, dass er als Stadtmensch auf ein Auto verzichten kann.

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Kommentare

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Petra Feucht

Spät aber besser als nie, möchte ich mich für Ihre Kolumne zum Thema Bauernproteste bedanken.
Erwähnenswert wäre in diesem Zusammenhang noch die Rolle der Konsumierenden. Zu viele verlangen nach billigen Lebensmitteln und es schert sie überhaupt nicht, wie diese produziert werden.
Oft sind es gerade diejenigen die sehr wohl über ausreichende finanzielle Mittel verfügen die am lautesten jammern, man könne sich Bio nicht leisten. Für ein schickes Auto reicht es dann aber schon.
So tickt leider der Mensch.
Viele Grüße und nochmals danke für Ihren Beitrag,
Petra Feucht

Friedhelm Winter

Herr Grimm, Sie sprechen mir aus dem Herzen !
Ich würde das mit den Treckern aber andersrum machen wollen, um "Waffengleichheit" herzustellen : auch die Bauern dürften nicht mit Treckern demonstrieren, unsere Innenstädte mit billigem Agrardiesel verpesten und den Verkehr lahmlegen, sondern müßten genauso zu Fuß protestieren, wie alle anderen Berufsgruppen auch. Dann würde man auch besser sehen, wie überschaubar die Demo ist. Soweit ich mitbekommen habe, waren bei der größten Treckerdemo im letzten Winter 8.500 Leute. Demos dieser Größenordnung gibt es in Berlin jedes Wochenende...

Saskia Keller

Danke für diesen wichtigen Beitrag! Es ist erschreckend, wie viele Leute immer noch die romantisierte Vorstellung des netten und kleinen Bauerns nebenan haben. Bauernverband und Co. tun aber auch ihr Bestes, um diese Vorstellung aufrecht zu erhalten, während sie allein für Großbetriebe kämpfen. Dabei müssen Klein- und Ökobauern ihr Höfe oft schließen. Von den ganzen negativen Umweltauswirkungen mal ganz zu schweigen. Und die Regierung beugt sich dem immer wieder. Das kann einen nur wütend machen!

Saskia Keller

Deutschland ist 2024 übrigens drittgrößter Agrarexporteur (Quelle: Agrarheute). Offensichtlich bekommen die großen Landwirte den Rachen nicht voll genug und die Allgemeinheit muss drunter leiden.

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