Kolumne

Tiny Forests: Klein, aber fein

Wie kleine Wälder in der Stadt uns dazu motivieren können, die großen Wälder besser zu schützen.

Wälder haben das ganze Jahr über ihren Reiz. An Sommertagen bieten sie Schatten und kühlen die Nerven. Im Herbst schenken sie uns erdige Düfte und einen Rausch der Farben. Im Winter lassen sie unter einer frischen Schneedecke noch die kältesten Tage strahlen. Vom Frühling, der gerade übernimmt, brauchen wir nicht zu reden. Es liegt ein ewiger Trost im Wiedererwachen der Natur mit ihrem zarten Grün, dem Sprießen der Blätter und dem fröhlichen Zwitschern der Waldvögel.

Eigentlich ist echtes Waldgefühl etwas, das Zeit braucht: ein paar Stunden Spaziergang durch dicht bewachsene Baumreihen, die einen zu verschlucken scheinen, wie die Kinder in gruseligen Märchengeschichten. Insofern passen die Ideen, die der japanische Forstwissenschaftler Akira Miyawaki in den Siebzigerjahren entwickelt hat, eher so gar nicht zu diesen Emotionen. Miyawaki trieb die Frage, wie sich Urbanität und Natur verbinden lassen und ob das Ökosystem Wald nicht auch in Städten funktionieren könnte. Er experimentierte auf Flächen, kaum größer als ein, zwei Tennisplätze, und pflanzte unterschiedliche Baumarten dicht nebeneinander. Im Kampf um das Licht setzten sich in Rekordgeschwindigkeit pro Quadratmeter jeweils zwei, drei Arten durch, die bis zu zehnmal schneller wuchsen als Bäume in herkömmlichen Wäldern. So entstanden binnen weniger Jahre auf begrenzter Fläche vielfältige Ökosysteme mit Bäumen, Sträuchern, Gräsern, artenreichen Böden und wesentlich mehr Tieren und Tierchen als in den öden Monokulturwäldern, wie wir sie aus Europa kennen. Die Idee der „Tiny Forests“, der Miniwälder, war geboren. 

Die kleinen grünen Oasen wirken, als walte hier eine höhere Gerechtigkeit.

Fred Grimm

Heute wachsen weltweit Hunderte solcher Winzwälder mitten in den Städten, kühlen ihre Umgebung, speichern das Wasser und erfreuen das Auge. In Deutschland wurde der erste Tiny Forest vor fünf Jahren in Darmstadt angelegt. Mittlerweile wuchert es in Berlin ebenso wie in Hamburg, in Griesheim oder Bad Zwischenahn. Nach etwa drei Jahren Pflege werden die kleinen Wälder sich selbst überlassen. Die Natur weiß dann schon, wie es geht.

Die Idee vom Instantwald hat durchaus etwas Konsumistisches, das zu unserer Leistungsgesellschaft passt. Maximaler Ertrag auf kleinster Fläche für das gute Gefühl. Und doch wirkt es in diesen kleinen grünen Oasen, als walte hier eine höhere Gerechtigkeit, die den menschlichen Irrtum korrigiert, alles Unberechenbare aus seinem Umfeld verbannen zu wollen. In 
jedem Miniwald steckt auch die Botschaft, dass der Mensch sein Glück nicht finden wird, wenn er sich von der Natur entfremdet. Das friedliche Nebeneinander von Baum und Beton mag sich wie eine schräge Vision anhören, aber selbst das kleinste Stückchen Wald verleitet dazu, sich endlich Gedanken darüber zu machen, was wir gerade den großen Wäldern antun. 

Fred Grimm

Ein freundliches Männergesicht mit Glatze

Der Hamburger Fred Grimm schreibt seit 2009 auf der letzten Seite von Schrot&Korn seine Kolumne über die Wege und Umwege hin zu einer besseren Welt. Er freut sich über die rege Resonanz der Leserinnen und Leser und darüber, dass er als Stadtmensch auf ein Auto verzichten kann.

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