KolumneTierärzte aus der Natur

Fred Grimm erzählt in seiner Kolumne über Tiere in der Natur und ihr medizinisches Wissen. Was wir von ihnen lernen können? Unglaubliches!

Ich muss zugeben, mit meinen Fähigkeiten als Tierbeobachter ist es nicht weit her und das liegt nicht nur an meinen schlechten Augen. Umso leichter bin ich zu beeindrucken, wenn ich lese, was Forschende dabei herausbekommen haben. Offenbar gibt es jede Menge von Tieren zu lernen. Mir war zum Beispiel neu, welche medizinischen Fähigkeiten etwa in Affen, Bären oder Haussperlingen stecken. So weben letztere beim Nestbau Fasern aus Zigarettenkippen in ihre Behausungen, weil ihnen das Gift blutrünstige Läuse und Zecken vom Halse hält. Von Würmern befallene Affen zerkauen spezielle Blätter. Sie enthalten Substanzen, die helfen, die ungebetenen Gäste auszuscheiden. Schafe und Ziegen nehmen gegen Parasiten gerbstoffhaltige Pflanzen zu sich. Auch Bären greifen zu Medizin, sobald sie Kopfschmerzen oder Entzündungen plagen. Genauer: Sie fangen an zu knabbern. Von irgendwoher wissen sie, dass Weiderinde Salicylsäure enthält, die wir Nicht-Baumbekauer als Grundstoff für Aspirin kennen.

Der niederländische Biologe Jaap de Roode hat diese und andere wundersamen Erkenntnisse in einem Buch zusammengetragen, das kürzlich auf Englisch erschienen ist. „Doctors by Nature“ ist eine Hommage an die medizinischen Naturtalente aus der Tierwelt und an die Forschenden, die sie entdeckt haben. De Roode hat die intensive Beschäftigung mit Monarchfaltern auf das Thema gebracht. Wenn deren Weibchen bestimmte Infektionskrankheiten bekommen, legen sie ihre Eier auf Seidenpflanzen ab. Die enthalten für Schmetterlinge eigentlich giftige Stoffe, schützen aber den Nachwuchs, ebenfalls krank zu werden. Impfen light also. 

Im Prinzip haben Bären die Kopfschmerztablette erfunden.

Fred Grimm

De Roode vermutet, dass unsere Urahnen sich in der Tierwelt vieles abgeschaut und so letztlich die moderne Medizin begründet haben. Je mehr er über Tiere lerne, erklärte der Wissenschaftler in einem Interview zu seinem Buch, umso größer werde sein Respekt.

Von den auf Gesundheit und Vorsorge bedachten Schmetterlingen und Bären ist es ein weiter Weg zu unserem neuen Landwirtschaftsminister, der laut Parteifreund Markus Söder endlich mit der „Tofu-Tümelei“ Schluss machen soll. Alois Rainer, der mit fünfzehn sein erstes Schwein schlachtete, verwahrte sich denn auch gleich nach seiner Berufung gegen Ideen, die Tierquälerei in der deutschen Fleischindustrie durch eine Sondersteuer zu beenden, mit der ein tierfreundlicherer Umbau finanziert werden könnte. Ob er tatsächlich in die traurige Parade vieler Amtsvorgänger passt, die sich Tiere nur als Rohmaterial für – möglichst billige – Schnitzel oder Wurst vorstellen konnten, lässt sich noch nicht beurteilen. Umso schöner wäre es, würde Minister Rainer bei seiner Arbeit genau jene Demut und jener Respekt leiten, mit denen Forschende wie de Roode auf unsere Mitgeschöpfe blicken.

Fred Grimm

Ein freundliches Männergesicht mit Glatze

Der Hamburger Fred Grimm schreibt seit 2009 auf der letzten Seite von Schrot&Korn seine Kolumne über die Wege und Umwege hin zu einer besseren Welt. Er freut sich über die rege Resonanz der Leserinnen und Leser und darüber, dass er als Stadtmensch auf ein Auto verzichten kann.

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