Leben

Mit leichtem Gepäck

In ihrer Kolumne „Mit leichtem Gepäck“ reflektiert Jutta Koch über den Wert von Minimalismus im Alltag und die Bedeutung von Leichtigkeit – sowohl im physischen als auch im metaphorischen Sinn.

„Wow“, dachte ich, als ich meine Kollegin und ihr Gepäckstück sah. Wir gingen gemeinsam auf Recherchereise, sie und ich. Unterwegs sollten Fotos für eine Reportage gemacht werden – auch von uns. Ich hatte lange überlegt und schließlich meinen mittelgroßen Koffer mitgenommen. Darin: Gepäck für vier Tage. Plus Ersatz-Outfits für Unvorhergesehenes wie Wetterumschwünge, Vogelkackeattacken, Knitterfalten. Meine Kollegin dagegen stand da mit nichts als einem Lächeln. Und mit einem Köfferchen, kaum größer als die Tasche, die ich an einem normalen Arbeitstag im Verlag dabei habe.

Kein Firlefanz, nur das Nötigste

Das hat Stil. Menschen, die minimalistisch unterwegs sind, imponieren mir. Zumal mein Vater früher mit dem kompletten Inhalt seines Kleiderschranks zu verreisen pflegte. Der Einfachheit halber, wie er sagte. Schließlich muss man sich nicht für eine Hose entscheiden, wenn man alle einpackt. Es hat in meinen Augen etwas Weltläufiges, nur ein leichtes Gepäckstück über die Schulter zu werfen und sich – frei von Ballast – ins Abenteuer zu stürzen. Damit kein falscher Eindruck entsteht: Ich brauche fern von Zuhause keinen Firlefanz. Aber das Allernötigste läppert sich doch immer sehr voluminös zusammen. Ähnlich ist das bei meiner Tochter. Wenn wir verreisen, packt die Zwölfjährige ihre Basis-Büroausstattung für unterwegs ein: Vom Miniatur-Tacker bis zum Tesafilmabroller ist alles dabei – und der Rucksack kurz vor dem Platzen. Ich ermahne sie dann, loszulassen. „Man kann auf Reisen niemals für alle Eventualitäten gewappnet sein“, höre ich mich sagen. Während meine innere Stimme mir einflüstert, doch besser noch die Regenjacke einzupacken.

Minimalismus mit Dampfbügeleisen

Umso mehr bewunderte ich im Stillen meine furchtlose Kollegin. Sicher hatte sie am frühen Morgen leichten Herzens ihre Siebensachen ins Köfferchen geworfen und war losgezogen. Herrlich. So lässig wäre ich auch gerne. Auf der Zugfahrt erzählte sie mir dann, wie es wirklich war: Dass sie am Tag vor der Abreise in der Nachbarschaft fieberhaft nach einem Reisebügeleisen gefragt hatte, weil sie ihr Leinenkleid fürs Foto knitterfrei halten wollte. Nachdem sie keines ergattern konnte, packte sie beherzt das familieneigene Dampfbügeleisen ein. In dem Trolleychen steckte also wirklich nur das Allernötigste – und ein riesiges Bügeleisen. Seitdem sehe ich kleines Gepäck mit anderen Augen. Was mag da drin sein? Ein zusammenklappbarer elektrischer Wäschetrockner? Ein Smoothie-Mixer? Denn klar ist jetzt: Firlefanz passt in den kleinsten Koffer.

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