Kolumne

Begegnung auf der Bank

Fred Grimm denkt in seiner Kolumne über stille Rückzugsorte, urbane Kälte und kreative Wege aus der Isolation nach. Was helfen kann? Einfache Gesten – und eine Bank.

Alle paar Wochen lese ich von neuen beruflichen Herausforderungen, die gern als „einsamster Job der Welt“ annonciert werden. Vögel zählen auf den schottischen Hebriden zum Beispiel, wissenschaftliche Messarbeiten in der Ostantarktis oder Referentin für Klimaschutz bei Friedrich Merz. Arbeitsplätze also, bei denen menschlicher Kontakt die Ausnahme bleiben dürfte. Auf manche dieser Jobs bewerben sich Tausende. Ihnen erscheint die selbst gewählte Einsamkeit als ideale Lebensperspektive, vor allem in Verbindung mit der unberührten Natur.

Die freiwillige Isolation hat durchaus etwas für sich. Einfach mal für sich sein, in den eigenen Gedankenströmen baden und dann wieder erfrischt auftauchen, gehört für viele zum regelmäßigen Erholungsprogramm. Als generell „ungesellig“ würden sich die wenigsten von ihnen einschätzen, eher im Gegenteil. Prägender für unsere Zeit ist die unfreiwillige Einsamkeit, die Studien zufolge Millionen Menschen in Deutschland verspüren. Der Schmerz, kein Gegenüber zu haben, mit niemanden reden zu können; das Gefühl von Fremdheit, auch der unwiederbringliche Verlust, wenn im Alter die Freundschaftskapitel der eigenen Biografie nach und nach vom Tod geschlossen werden – all dies lastet unsichtbar auf viel zu vielen.

Manchmal reicht schon ein kleiner Anstoß, um aus der Einsamkeit herauszufinden.

Fred Grimm

Eigentlich wären Städte ideale Orte, diesen Schmerz zu lindern. Doch sie sind zu passiv-aggressiven Verstärkern der Einsamkeit verkommen. Für Bahnhöfe oder Einkaufsviertel wurde die „reduzierte Aufenthaltsqualität“ ersonnen. Auf den wenigen, offenbar häufig von Sadomaso-Studios inspirierten Bänken zum Beispiel soll sich ja kein Obdachloser ausruhen können. In Shoppingmalls fehlen Bänke fast ganz, weil jeder Quadratmeter monetarisiert werden muss. Die Ambitionslosigkeit der urbanen Architektur signalisiert den Vereinzelten, dass sie es nicht wert sind, sich um ihr Wohlergehen zu sorgen. 

Mit offenen Treffen etwa zu Spaziergängen oder zu „Reading Partys“, bei denen zwei Stunden gemeinsam still gelesen und – bei Bedarf – über die Bücher geredet werden kann, halten engagierte Menschen dagegen. Sie wissen, dass es manchmal nur einen kleinen Anstoß braucht, um aus der Einsamkeit herauszufinden. Mein Lieblingsprojekt sind die sogenannten „Freundschaftsbänke“. Die erste stand in einer Schule in Namibia, mittlerweile gibt es sie weltweit. Diese speziell markierten Bänke sind für alle Schulkinder gedacht, die Sprachschwierigkeiten haben oder zu schüchtern sind, Kontakt zu suchen. Setzt sich ein Kind dazu, ist die erste Hürde schon mal geschafft. Ich wünsche mir so etwas überall, auch für Erwachsene. Perfekt wäre es, spendierte man für jede fünfte Freundschaftsbank noch je eine weitere mit der Aufschrift: „Danke, aber ich brauche meine Ruhe.“ Dann wären wirklich alle Formen der Einsamkeit abgedeckt.

Fred Grimm

Ein freundliches Männergesicht mit Glatze

Der Hamburger Fred Grimm schreibt seit 2009 auf der letzten Seite von Schrot&Korn seine Kolumne über die Wege und Umwege hin zu einer besseren Welt. Er freut sich über die rege Resonanz der Leserinnen und Leser und darüber, dass er als Stadtmensch auf ein Auto verzichten kann.

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