Kolumne

Nüsse und Kaffee für alle

Sind Eichhörnchen wirklich vergesslich? Fred Grimm zeigt, warum ihr Vorratsverhalten eher kluges Teilen als Schusseligkeit ist.

Unter den Freunden und Freundinnen der Eichhörnchen – zu denen wohl alle gehören, die diese Tiere schon mal gesehen haben – wird eine Geschichte besonders gern erzählt. Die wuseligen Nager hätten zwar einen phänomenalen Geruchssinn, sind aber vergesslich und finden daher einen Großteil der von ihnen vorsorglich versteckten Nüsse nicht mehr wieder, heißt es. Eine Studie der Universität von Richmond in Virginia beziffert die Menge der verloren gegangenen Nahrung auf bis zu 74 Prozent. Was aber nicht ganz so dramatisch ist, weil Eichhörnchen eben wirklich sehr, sehr viele Eicheln und Nüsse im Boden verbuddeln. 

Als ich zum ersten Mal davon gehört habe, konnte ich mich sofort mit den fleißigen, aber vermeintlich gedächtnisschwachen Tieren identifizieren. Ich finde ja regelmäßig nicht mal meinen Schlüssel wieder. Und wie oft habe ich zu viele Kartoffeln gekauft, weil ich nicht mehr wusste, dass zu Hause noch zwei Kilo liegen. Und doch ziehe ich die Theorie von der Vergesslichkeit der Eichhörnchen in Zweifel. 

Teilen ist wahrscheinlich ohnehin die klügste Überlebensform.

Fred Grimm

Mit Blick auf das Weiter-So in der Klimakrise und der ungebrochenen Naturvernichtung zweifle ich zunehmend an der geistigen Überlegenheit eines leider noch entscheidenden Teils der Menschheit gegenüber den meisten Tieren, denen Selbstzerstörung fremd ist. Ich vermute eher, dass die Eichhörnchen sogar ganz bewusst mehr Vorräte anlegen, als sie selbst verspeisen können und nicht etwa vergessen, wo diese liegen. Sie denken bei ihrer rastlosen Nahrungssuche eben nicht nur an sich, sondern auch an ihre Artgenossen, die mit ihrem feinen Geruchssinn sehr wohl in der Lage sind, auch jene Nüsse zu finden, die sie nicht selbst versteckt haben. Warum das Essen dann überhaupt versteckt wird? Auch das ein genialer Zug, denn jedes Gramm vergrabener Eichhörnchennahrung, das nicht aufgespürt wird, dient dem Erhalt des Bodens und damit letztlich dem der Bäume als Nahrungsquelle.

Wahrscheinlich ist das Teilen ohnehin die klügste Überlebensform. Ameisen teilen sich hochkomplexe Aufgaben, Schimpansen oder Fledermäuse ihr Futter. Und bei den Menschen, jedenfalls beim sympathischeren Teil dieser Spezies, erleben Traditionen wie der Café Sospeso, der „aufgeschobene Kaffee“, gerade eine Renaissance. Dabei zahlt der Gast, mit dem es das Leben etwas besser gemeint hat, für den Kaffee, den er selbst trinkt, aber eben auch noch für einen zweiten, den dann ein Fremder bekommt, der knapp bei Kasse ist. Das Konzept funktioniert sogar in manchen Restaurants, wo an der Wand die Zettel hängen, auf denen Gerichte stehen, für die bereits jemand anderer die Rechnung beglichen hat und die gratis bestellt werden können. Ein wunderbares Prinzip. Eben ganz so, als hätte ein menschgewordenes Eichhörnchen vorsorglich einen kleinen Vorrat für alle angelegt. 

Fred Grimm

Ein freundliches Männergesicht mit Glatze

Der Hamburger Fred Grimm schreibt seit 2009 auf der letzten Seite von Schrot&Korn seine Kolumne über die Wege und Umwege hin zu einer besseren Welt. Er freut sich über die rege Resonanz der Leserinnen und Leser und darüber, dass er als Stadtmensch auf ein Auto verzichten kann.

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