Kolumne

Die Herrschaft der Gangster

Fred Grimm verbindet scharfsinnige Zitate von Kafka und Horkheimer mit aktuellen Entwicklungen – und spürt der Frage nach, wie Demokratie im Schatten der Präsidial-Camorra überleben soll.

Ich habe eine Schwäche für gute Zitate. Franz Kafkas Tagebücher etwa sind eine unerschöpfliche Quelle. „Die Liebe ist so unproblematisch wie ein Fahrzeug“, notierte er einmal. „Problematisch sind nur der Lenker, die Fahrgäste und die Straße.“ Besser geht es nicht. 

In meinem Regal liegen Hefte voll solcher Sätze, die ich aber nur selten lese, weil einem das eigene Schreiben danach so ungelenk vorkommt. Neulich allerdings bin ich auf eine vor Jahren abgeschriebene Textpassage des großen deutschen Sozialphilosophen Max Horkheimer gestoßen. Darin beschreibt er, wie der Kapitalismus ab einer bestimmten Entwicklungsstufe in eine Art Gangsterherrschaft umschlägt. Ich fasse hier sehr verkürzt zusammen: Der Staat als Instrument des Ausgleichs und der Sicherung elementarer Rechte hat ausgedient, weil die Konzentration des Finanzkapitals in wenigen Händen die freien Märkte aushebelt. Allein das Recht des Stärkeren zählt. Reale und gefühlte Macht legitimieren sich durch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die Logik der Mafia regiert, die Wirklichkeit wird zum Konstrukt. 

Die Unterwerfung unter die Präsidial-Camorra scheint grenzenlos.

Fred Grimm

Beinahe zeitgleich, als Horkheimer sich an seiner Gesellschaftstheorie abarbeitete, die den mühelosen Einbruch des Faschismus in die bürgerliche Ordnung erklären sollte, wurde in New York ein Baby namens Donald J. Trump geboren, das die Thesen des Professors in einen lebendigen Alptraum verwandeln sollte. Wer zum Team Trump gehört, darf alles: Luft, Wasser und Böden verseuchen, lügen, erpressen, Menschen terrorisieren und Worte wie „Klimaschutz“, „Emanzipation“ oder „Rassismus“ aus der Wissenschaft und dem öffentlichen Sprachgebrauch verbannen. 
Die Unterwerfung unter die Präsidial-Camorra scheint grenzenlos. Große Unternehmen verabschieden sich gerade schneller von ihren Klimaversprechen als Übernachtungsgäste nach einem One-Night-Stand. Man sollte die „Vorurteile“ gegenüber Investitionen in Öl oder Gas abbauen, erklärte der „Nachhaltigkeitsbeauftragte“ der britischen HSBC. Selbst Multimilliardär Bill Gates, der sich lange in der Rolle des öko-inspirierten Weltbürgers gefiel, feuerte sein Klimaschutzteam, für das er in der derzeitigen politischen Gemengelage keine Verwendung mehr sieht. Klimaschutz sei nichts anderes als eine „quasi-religiöse“ Wahnvorstellung, polterte einer von Trumps Fachministern und belegte, dass auch ein Studium an einer US-Eliteuniversität nichts an der Tristesse grenzenloser Dummheit zu lindern vermag.

Wie lange sich Politik gegen die Wirklichkeit machen lässt, ist eine der Fragen, die ich mir gern von Max Horkheimer hätte beantworten lassen. Oder noch lieber von Kafka. Ohne die beiden bleibt nur der schwache Trost, dass Donald Trump zwar gerade die Macht auf seiner Seite haben mag, aber mit der Zukunft als Gegnerin nur verlieren kann. 

Fred Grimm

Ein freundliches Männergesicht mit Glatze

Der Hamburger Fred Grimm schreibt seit 2009 auf der letzten Seite von Schrot&Korn seine Kolumne über die Wege und Umwege hin zu einer besseren Welt. Er freut sich über die rege Resonanz der Leserinnen und Leser und darüber, dass er als Stadtmensch auf ein Auto verzichten kann.

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