Kolumne

Auf der Suche nach der Greta in uns

Fred Grimm beschäftigt sich in seiner Kolumne damit, wie die Alten der Jugend die Zukunft versauen.

Vor einigen Jahren erschien die Magazinbeilage der britischen Sonntagszeitung „Observer“ mit einem provokanten Titelbild. Zu sehen war ein Kuchenteller, auf dem sich ein paar Restkrümel verloren: „Sorry kids, we ate it all“ – „Tschuldigung Kinder, wir haben alles aufgegessen“. Eine Geschichte darüber, wie die Alten der Jugend die Zukunft versauen. Die Staatshaushalte überschuldet, die Umwelt zerstört, die Infrastruktur verschlissen, die Schulen vergammelt, die Arten ausgerottet. Danke für nichts. Natürlich gab es wütende Leserpost. Betagte Damen und Herren schrieben, ihnen ging es doch selber auch nicht besonders gut oder sie hätten sich aufgrund ihrer „Lebensleistung“ ja wohl einen angenehmen Ruhestand verdient. Beiden Schreibergruppen fehlte jedes Bewusstsein dafür, welche Verantwortung sie für den Zustand der Welt tragen, die sie den nachfolgenden Generationen überlassen.

Ich muss in diesen Tagen oft an das Bild vom aufgegessenen Kuchen denken. Seit Greta Thunberg, eine 16-jährige Schwedin, mit ihrem „Schulstreik für das Klima“ weltweit Zehntausende junge Nachahmerinnen und Nachahmer gefunden hat, zeigt sich in den Reaktionen vieler Älterer wieder diese beleidigte Mischung aus Arroganz und Unverstand. Die sollten lieber fleißig lernen, um endlich technische Lösungen für die Umweltprobleme zu finden statt Schule zu schwänzen, hieß es. Die hätten ja keine Ahnung und überhaupt sei ja auch der Nationalsozialismus mal eine Jugendbewegung gewesen, las man in der „Welt am Sonntag“. Von „Panikmache“ war die Rede, als ob nicht jedes Kind mittlerweile verstanden haben müsste, was auf dem Spiel steht. Unter den Wissenschaftlern dieser Welt ist die Klimakatastrophe so unbestritten wie die Abfolge von Tag und Nacht. Die prognostizierten Folgen – dramatische Erderwärmung, Extremwetterlagen, Zunahme von Überflutungen einerseits und Dürren andererseits – zeigen sich bereits heute überdeutlich.

„Radikale Maßnahmen“ sind unausweichlich, schreibt der Weltklimarat. Mit „radikalen Maßnahmen“ ist nicht gemeint, dass 2023 zehn Elektroautos mehr durch München rollen oder wir irgendwann mal ein Braunkohlekraftwerk abschalten. „Radikal“ heißt: heute, jetzt. Und radikal heißt auch – warum streiken wir Eltern und Großeltern nicht einfach jeden Freitag mit?

Ein herzlicher „Fuck You“-Gruß an die Zukunft

Fred Grimm

Wir haben wie die Kleinkinder jahrelang die Decke über den Kopf gezogen und gehofft, all das werde schon irgendwie vorübergehen. Und die Zerstörer einfach weitermachen lassen. Jeder dritte Neuwagen wird heute von einem Senioren gekauft. Am beliebtesten sind übrigens SUVs, die fetten Luftverpester. Ein herzlicher „Fuck You“-Gruß an die Zukunft. Irgendwann werden die Alten, die den Kuchen aufgegessen haben, die Jungen beschimpfen, weil nichts mehr da ist. Ich wünsche den Gretas dieser Welt starke Nerven und mehr Mut, als wir ihn hatten.

Fred Grimm

Ein lächelnder Mann

Der Hamburger Fred Grimm schreibt seit 2009 auf der letzten Seite von Schrot&Korn seine Kolumne über gute grüne Vorsätze – und das, was dazwischenkommt. Als Kolumnist sucht er nach dem Schönen im Schlimmen und den besten Wegen hin zu einer besseren Welt. Er freut sich über die rege Resonanz der Leser und darüber, dass er als Stadtmensch auf ein Auto verzichten kann.

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