Leben

Klopfen gegen Lampenfieber

Es klingt seltsam: Sanftes Klopfen bestimmter Punkte an Gesicht und Körper soll Angst vertreiben. Doch es scheint zu wirken.

Es klingt ein bisschen nach Zauberei. Aber es wirkt. Bevor die Weltklasse-Schwimmerin Britta Steffen ins Wasser springt, klopft sie sich gerne dreimal ab und spricht dabei ihren persönlichen Satz, der ihr Kraft und Sicherheit gibt. Nur wenige Minuten Klopfen mit Methode und Britta Steffen fühlt sich wohl in ihrer Haut und kann ungehindert zeigen kann, was sie kann.

Zum Beispiel an jenem Wettkampftag, als die Schwimmerin kurz vor dem Startschuss entdeckt, dass sich die Naht an ihrem Badeanzug aufzulösen droht. Sofort klopft sie ihre Handballen gegeneinander und sagt: „Ich liebe und akzeptiere mich, auch wenn ich nackig auf dem Startblock stünde.“ Und dann? „Dann war alle Nervosität weg. Krass, wie effektiv diese einfache Übung ist!“

Die „einfache Übung“, die die Weltklasse-Schwimmerin beschreibt, ist eine relativ leicht erlernbare, emotionale Selbsthilfetechnik, die unter der Bezeichnung Klopfakupressur zunehmend Verbreitung findet. Immer mehr Psychotherapeuten erwärmen sich dafür und setzen sie als Zusatzmethode ein. Zu verdanken ist diese Erfolgsgeschichte vor allem dem Psychiater und Auftrittscoach Dr. Michael Bohne. Er holte die Klopfakupressur aus der Esoterikecke, befreite sie von Ballast und kleidete sie in ein neues Gewand mit Namen PEP, Prozess- und Embodimentfokussierte Psychologie. Auf gut Deutsch heißt das so viel wie Klopftechnik, die an der akuten Situation ansetzt (= Prozess) und den Körper miteinbezieht (= Embodiment).

Klarer Denken dank Klopfen

Michael Bohne erklärt ihre Wirkung mit neurophysiologischen Vorgängen im Gehirn: „Durch das gleichzeitige Konzentrieren auf das Problem, das Klopfen sowie das Aussprechen eines selbstwertstärkenden Satzes kommen in unserem Gefühlshirn, dem limbischen System, neuronale Veränderungen in Gang. Belastende Denk-, Fühl- und Verhaltensmuster lösen sich auf, Stress und Ängste nehmen ab, man kann wieder klarer denken.“

Ihre Wurzeln hat die Klopfakupressur in der Traditionellen Chinesischen Medizin. Die alten Chinesen glaubten, dass unsere Lebensenergie in bestimmten Bahnen, den Meridianen, verläuft. Dass körperliche und seelische Probleme durch Störungen im Energiefluss entstehen. Und dass es hilft, dort wo die Meridiane nah an die Körperoberfläche kommen, zu reiben, zu drücken oder klopfen (= Akupressur).

Dass Michael Bohne für das Klopfen die Akupunkturpunkte aus der Traditionellen Chinesischen Medizin beibehalten hat und nicht irgendwelche Körperstellen zum Klopfen empfiehlt, erklärt der Arzt, der auch als Auftrittscoach arbeitet, mit Rücksicht auf unsere traditionelle Scheu vor Selbstberührung: „Sich selbst anzufassen ist in unserem Kulturkreis immer noch ein Tabu. Erst recht in der Öffentlichkeit. Für die Berührung von Akupunkturpunkten dagegen haben die meisten Menschen Verständnis, denn die Akupunktur genießt mittlerweile einen guten Ruf.“ Neben der Selbsthilfe in akuten, emotionalen Stresssituationen hat PEP zusätzlich einen nachhaltigen Effekt. Denn das wiederholte Entkräften negativer Muster und die gleichzeitig selbstwertstärkenden Sätze verankern im Gefühlshirn eine immer positivere Haltung. Die Selbstbeziehung verbessert sich. Das heißt, die Zuneigung zu sich selbst wächst.

Mit Akupressur souverän in stressigen Situationen

Anwälte vor dem Plädoyer, Fahrschüler vor der Prüfung, Kranke vor einer entscheidenden Untersuchung, Verliebte vor dem ersten Date – Menschen vor den unterschiedlichsten Herausforderungen wenden sich hilfesuchend an Michael Bohne. Am häufigsten arbeitet der Arzt und Auftrittscoach jedoch mit klassischen Musikern und Opernsängern. Nicht, weil diese ganz besonders unter Aufregung und Lampenfieber leiden, sondern weil ihm Musik und Gesang so sehr am Herzen liegen. Dass ein Musiker oder Sänger wegen seiner Auftrittsangst unter seinen Möglichkeiten bleibt, ist für Bohne eine schreckliche Vorstellung.

Auch Thomas Pachwald (Name von der Redaktion geändert) wendet die Klopftechnik an, bevor er den Chor, den er seit Kurzem leitet, dirigiert. Als der 23-jährige Musikstudent vor einem Vierteljahr erfuhr, dass er seinen erkrankten Lehrer und Mentor als Chorleiter vertreten sollte, brach ihm der Angstschweiß aus. Er einen 50-köpfigen Chor leiten? Erst in den Proben, später im Konzert? Unmöglich! Zum Glück ahnte sein Vorgänger, weshalb Thomas so zögerte, und empfahl ihm einen Psychotherapeuten, der sich mit Prozess- und Embodimentfokussierter Psychologie auskennt. Dieser brachte ihm die Technik des Klopfens bei und erarbeitete mit ihm verschiedene, auf die Arbeit mit dem Chor bezogene positive, selbstannehmende Sätze. Zum Beispiel: „Auch wenn ich mich damit unter Druck setze, dass mich andere für einen super Chorleiter halten, liebe und akzeptiere ich mich, so wie ich bin.“ Oder: „Auch wenn ich ab und zu einen falschen Einsatz gebe, achte und schätze ich mich, so wie ich bin.“

Seit Thomas Pachwald vor jeder Chorprobe – und ab und zu auch im Alltag – die Klopftechnik anwendet und seine Affirmationen spricht, macht ihm die Arbeit als Chorleiter zunehmend Spaß. Und dem abschließenden Konzert sieht er mit Zuversicht entgegen.

Die PEP-Methode lernen

Die Methode macht Schule. Längst wenden mehr und mehr Ärzte, Psychologen, Coaches und Heilpraktiker PEP an. Denn von unangenehmen Gefühlen geplagte Menschen finden im Klopfen eine wertvolle Hilfe. Am besten, man lässt sich die Klopfakupressur von einem Experten zeigen. Wenn man mal verstanden hat, wie die Methode funktioniert, ist PEP eine simple Selbsthilfetechnik, von der nicht bloß Musiker oder Weltklasseschwimmerinnen profitieren. Auch ganz normale Leute haben Lampenfieber – und wollen trotzdem zeigen, was sie können.

Die Klopfpunkte

Sechs der Klopfpunkte liegen an der Hand. Mit dem Klopfen des Integrationspunktes (1) endet die Übung. Insgesamt werden 16 Akupunkturpunkte geklopft: Zuerst die Punkte an der Hand, dann die an Gesicht und Oberkörper. Das Klopfen braucht nicht punktgenau zu sein. Hauptsache, man trifft ungefähr. Viel wichtiger ist die Reihenfolge. Behalten Sie Ihre Reihenfolge bei, für die Sie sich einmal entschieden haben, damit Sie im akuten Fall nicht lange herumsuchen müssen. Während des Klopfens sprechen oder denken Sie Ihren Selbstakzeptanzsatz.

Klopfen mit PEP – so geht es!

  1. Sich auf das zu verändernde Gefühl konzentrieren:
    Welches unangenehme Gefühl möchten Sie verändern? Formulieren Sie einen Satz der Selbstakzeptanz, der zum Gefühl und der Situation passt, nach folgendem Muster:
    „Auch wenn …
    ... ich mir Vorwürfe mache, weil meine Mutter im Pflegeheim ist ...
    ... ich bei Konferenzen nicht den Mund aufmache ...
    ... mein Freund mich wegen meiner Figur unter Druck setzt ...
    ... liebe und akzeptiere ich mich, so wie ich bin.“ Sprechen Sie den Satz zweimal aus.
  2. Gefühlsstärke auf einer Skala von 0 bis 10 einschätzen:
    Wie unangenehm fühlt es sich auf einer Skala von 0 bis 10 jetzt an?
  3. Die Überkreuzübung:
    Sie fördert die Zusammenarbeit der Hirnhälften. Sitzend Füße und Hände überkreuzen. Finger greifen ineinander, Hände zur Brust führen und in geschlossener Formation von unten nach oben drehen. In der Position drei tiefe Atemzüge.
  4. Finger berühren:
    Fingerspitzen beider Hände aneinander legen. Drei tiefe Atemzüge.
  5. Selbstakzeptanz üben:
    Sprechen Sie zweimal Ihren Selbstakzeptanz-Satz. Reiben Sie dabei den Selbstakzeptanz-Punkt.
  6. Akupunkturpunkte klopfen:
    Denken Sie an die unangenehmen Dinge und klopfen Sie die 16 Punkte.
  7. Erneutes Einschätzen:
    Wiederholen Sie die Punkte 1 bis 6, bis der Stress auf der Skala noch höchstens bei 3 liegt. Dann schließen und öffnen Sie abwechselnd die Augen und beklopfen dabei den Integrationspunkt an der Hand.

Mehr zum Thema

Bohne, Michael: Bitte klopfen! Anleitung zur emotionalen Selbsthilfe. Carl-Auer Verlag; 71 Seiten; 9 Euro

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