Kolumne

Keine Chance für die Krise

Die Krise als Chance? Wohl eher für die Verursacher als für wirklichen Wandel, findet Kolumnist Fred Grimm. Woran wir seiner Meinung nach in diesen Zeiten nicht sparen sollten.

Das Wort von der „Krise als Chance“ ist eigentlich eine Zumutung. In Krisenzeiten wie jetzt leiden meist jene, die schon vorher wenig bis nichts hatten. Zu einer satten Steuererleichterung fehlt ihnen das Einkommen, für einen „Tankrabatt“ das Auto. Wie so oft scheint auch diese Krise eher eine Chance für deren Verursacher zu sein als für einen wirklichen Wandel. Während im Klimakatastrophensommer Felder verdorrten und Wälder brannten, verdienten Gas- und Ölkonzerne, also die Erderhitzer, so viel wie noch nie. Und während gerade Millionen Menschen zusätzlich in die Hungerkrise getrieben werden, freuen sich Lebensmittelspekulanten und „Bio“sprit-Hersteller, darüber, dass sie weiter mit der Nahrungsmittelnot Milliarden scheffeln oder mit Getreide Motoren antreiben dürfen anstatt damit zumindest die Kinder vor dem Hungertod zu retten. In Krisenlagen stehen solche Zusammenhänge kristallklar vor Augen. Und ebenso die Frage, ob wir nicht wenigstens unser kleines Leben nach anderen Grundsätzen gestalten wollen als nach denen, die offenbar die Welt regieren.

Anfang der Achtzigerjahre wurden, über das ganze Land verteilt, kleine Läden eröffnet, in denen Langhaarige, Feministinnen, Gourmets und Landwirtschaftsautodidaktinnen Laboratorien eines ganz anderen, „alternativen“ Lebens einrichten wollten. Bei ihnen gab es nicht nur Getreide zum Selbermahlen, Gemüse von der Landkommune oder Solidaritätskaffee aus dem globalen Süden.

Ein ganzheitlicher Ansatz schwebte über diesen frühen Bio-Läden – Ernährung nicht gegen, sondern mit und durch die Natur; Arbeit nicht als entfremdete Buckelei, sondern als aktiver, gemeinschaftlicher Einsatz für eine bessere Welt.

„Am Ende ist es nicht nur wichtig, was man kauft. Sondern auch, wo.“

Über die Jahre übernahmen große Handels- und Lebensmittelskonzerne viele der besten Ideen und Produkte der Bio-Pioniere. Man könnte darüber vergessen, dass die sozialen und ökologischen Werte, für die der Naturkostfachhandel steht, dort noch immer am besten gelebt werden. Dass heute ausgerechnet Discounter, die mit falschen Billigpreisen die wahren Kosten ihrer Produkte verschleiern können, in der Krise profitieren, ist ein tragisches Missverständnis. Viele Menschen glauben, dort Geld sparen zu können. Doch der Preis, den Umwelt und Gemeinschaft für die immer teurere Pestizid- und Kunstdüngerabhängigkeit der Intensivlandwirtschaft zahlen müssen, wird an keiner Supermarktkasse angezeigt.

Aus Studienzeiten unter latenter Dauerpleite weiß ich, wie es ist, wenn es Ende des Monats nur noch für Pellkartoffelvarianten reicht. Aber ich weiß auch, dass man nicht ärmer wird, wenn man die Zutaten dafür in einem Bio-Laden kauft. Dass die Besitzerfamilien von Aldi oder Lidl Milliardäre sind, erzählt alles, was Sie vor Ihrem nächsten Einkauf wissen müssen. Die brauchen Ihr Geld nicht. Am Ende ist es nicht nur wichtig, was man kauft. Sondern auch, wo.

Fred Grimm

Der Hamburger Fred Grimm schreibt seit 2009 auf der letzten Seite von Schrot&Korn seine Kolumne über die Wege und Umwege hin zu einer besseren Welt. Er freut sich über die rege Resonanz der Leserinnen und Leser und darüber, dass er als Stadtmensch auf ein Auto verzichten kann.

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