Interview

Karoline Herfurth: „Viele Familien zerreiben sich“

Karoline Herfurth dreht gesellschaftskritische Filme. Ein Gespräch über Care-Arbeit, überlastete Familien und den Dreh zu „Eine Million Minuten“.

Karoline Herfurth spielt im neuen Kinofilm „Eine Million Minuten“ eine Frau, die sich zwischen Beruf und Familie aufreibt. Ein Motiv, das sich in Herfurths Filmen immer wieder zeigt. Im digitalen Interview spricht die Schauspielerin über die Hintergründe, ihren eigenen Umgang mit Stress und was sich in der Gesellschaft ändern muss.

Der Film „Eine Million Minuten“ basiert auf einer wahren Geschichte. Hast du eine Erklärung dafür, dass Familien so überlastet sind?
Ich glaube, dass sich viele Familien zerreiben, weil sie in den Strukturen, in denen wir leben, überlastet und isoliert sind. Im Film kann die Familie Küper ihr Leben nicht mehr genießen, weil sie nur noch gestresst ist von ihren drei Jobs, nämlich Familie, Haushalt und Beruf. Dazu kommt, dass die Tochter eine Diagnose erhält, die so schwierig zu bewältigen ist.

Spürst du auch den Druck zwischen Job, Leistungsdruck und Familie?
Wie jeder andere Mensch auch spüre ich den Konflikt zwischen Privat- und Berufsleben. Ich glaube, es gibt niemanden, der ihn nicht spürt. Besonders weil der Workload zu Hause nicht als Arbeit anerkannt wird. Ich finde es verheerend, wenn so getan wird, als wäre Care-Arbeit keine große Leistung. Dadurch verstehen viele Menschen gar nicht, warum sie so überlastet sind und geraten in einen Konflikt mit sich selbst.

Wie gehst du persönlich mit diesem Druck um?
Ich denke, es darf auch mal stressig und anstrengend sein. Aber trotzdem sollte es sich nach Leben anfühlen. Wenn ich merke, dass ich nicht mehr dazu komme, die Dinge, die ich tue, auch wirklich zu erleben, dann muss ich die Bremse ziehen und versuchen, etwas auszusortieren. Aber natürlich ist es auch ein Privileg, dass ich mir das erlauben kann.

Zur Person

Karoline Herfurth lachend im Portrait

Karoline Herfurth wurde 1984 in Berlin geboren und absolvierte ihr Studium an der Ernst Busch Schauspielschule. Mit 15 Jahren wurde sie fürs Kino entdeckt, seitdem spielt sie in erfolgreichen Filmen wie „Crazy“, „Das Parfum“ oder „Traumfrauen“ mit. Als Regisseurin hat sie inzwischen fünf Filme verwirklicht, darunter „SMS an dich“ und „Wunderschön“, für den sie auch das Drehbuch schrieb. Karoline Herfurth wurde 2023 mit dem Bambi als beste nationale Schauspielerin ausgezeichnet. Sie ist verheiratet, hat zwei Kinder und lebt mit ihrer Familie in Berlin.

Im Film bricht die Familie aus dem Alltag aus und reist in die Ferne. Was hast du beim Dreh erlebt?
Wir waren in Thailand auf derselben Insel und in demselben Häuschen, in dem die Familie Küper auch gewohnt hat. Das war großartig! Ich konnte anfangs gar nicht schlafen, wegen der ganzen ungewohnten Naturgeräusche. Die echte Vera Küper war in Gedanken beim Dreh die ganze Zeit an meiner Seite. Das war für mich eine der schönsten Dreherfahrungen und eine der tollsten Rollen, die ich je spielen durfte, weil Vera so ein lebensfroher Mensch ist. Ich hatte das Gefühl, sie tankt mich von innen mit Sonne auf.

Im Alltag sind lange Reisen schwierig umzusetzen. Was würdest du dir für Familien wünschen?
Dass sie mehr Unterstützung bekommen. Und dass Familien-, Erziehungs- und Hausarbeit als Leistungen anerkannt werden. Ich halte es politisch für eine absolute Bankrotterklärung, dass Kinder nicht stärker finanziell gefördert werden. Dabei hängt unsere Zukunft davon ab, für Kinder Chancengleichheit herzustellen und eine Zukunftsperspektive zu schaffen. Außerdem wünsche ich mir für Familien größere kollektive Zusammenschlüsse von Menschen.

Wie könnte das aussehen?
Indem eine Familie nicht nur das klassische Modell umfasst, sondern ganz unterschiedliche Formen annehmen darf. In Wien zum Beispiel hat man tolle Häuser gebaut: In der Architektur wurde schon mitgedacht, dass das ganze Gebäude viele verschiedene Familien beherbergt, die sich alle gegenseitig unterstützen. Das Haus, in dem ich wohne, hat mehrere leerstehende Wohnungen und wenn ich es mir leisten könnte, dann würde ich dieses Haus kaufen und es voll machen mit meinen Freunden, die alle keine bezahlbare Wohnung mehr finden in Berlin.

Bei deiner Danksagung für den Ernst-Lubitsch-Preis hast du Kritik am Patriarchat geübt. Was müsste sich zugunsten von Frauen ändern?
Zugunsten von allen, nicht nur von Frauen, muss das Patriarchat abgeschafft werden. Vor allem, wenn wir als Gesellschaft wollen, dass alle Menschen selbstbestimmt leben. Außerdem müssen härtere Maßnahmen gegen Gewalt an Frauen und Kindern ergriffen werden. Die Toleranz und der Täterschutz sind hier viel zu hoch.

In deiner Regiearbeit „Wunderschön“ setzt du dich kritisch mit Schönheitsidealen auseinander. Wie kam es dazu?
Ausschlaggebend war der Dokumentarfilm „Embrace“ – weil er mir verdeutlicht hat, wie lange ich Zeit und Kraft verschwendet habe, um eine bestimmte Körperform zu bekommen und das nichts mit meinem eigenen Lebensgenuss zu tun hatte. Ich finde es sehr traurig, dass kleine Jungs und Mädchen damit aufwachsen, etwas sein zu müssen, was sie nicht sind oder dass sie so wie sie sind, nicht ausreichen. Deshalb war es mir wichtig, Schönheitsideale in einem Film kritisch zu thematisieren.

Wie gehst du persönlich mit Schönheitsidealen um?
Es wird so viel Geld damit verdient, dass Menschen sich unzureichend finden. Diese Maschinerie ist brutal und funktioniert verdammt gut. Ich finde es viel verlangt, dagegen anzukommen. Inzwischen richte ich meinen Fokus stärker auf andere Dinge, aber ich kann nicht verhindern, dass es mich immer mal wieder unzulänglich fühlen lässt. Gestern habe ich eine Folge „The Marvelous Mrs. Maisel” gesehen, wo Tänzerinnen ganz normale Oberschenkel haben. Da war ich richtig erleichtert und dachte: Ach ja, guck mal, die hat auch so Oberschenkel wie ich.

„Ich kaufe alles immer Bio ein und achte sehr darauf“

Karoline Herfurth

Du zeigst dich überzeugt von Naturkosmetik. Warum?
Ich finde es toll, dass man sich mit der Kraft der Natur Gutes tun kann. Das ist für mich liebevolle Selbstfürsorge und lässt mich zu Hause fühlen. Denn ich möchte auf keinen Fall erzählen, dass ich durch ein Produkt glücklich werde, sondern, dass ich glücklich und stark bin und deshalb weiß, was mir guttut.

Welche Rolle spielen Bio-Produkte in deinem Leben?
Ich achte sehr darauf und kaufe generell alles immer Bio ein. Und ich finde es wichtig, dass Bio-Lebensmittel für alle Menschen gleichermaßen zugänglich werden.

Veröffentlicht am

Kommentare

Registrieren oder einloggen, um zu kommentieren.

Das könnte interessant sein

Unsere Empfehlung

Ähnliche Beiträge