Leben

Jung, Öko, motiviert

Klimakrise, Artensterben, Umweltkatastrophen – für junge Menschen sieht die Zukunft alles andere als rosig aus. Warum sich viele von ihnen gerade deshalb für ein besseres Morgen stark machen.

Die Zukunft galt lange Zeit als Verheißung, die der jungen Generation ein besseres und längeres Leben versprach. Wie es scheint, ist hier ein Kipppunkt erreicht. Mehrere Studien legen nahe, dass unter Jugendlichen die Angst vor einer Zukunft immer größer wird, in der Krisen unseren Alltag bestimmen. Dabei gilt: je jünger, desto pessimistischer. Fast 80 Prozent der 14- bis 22-Jährigen blicken ängstlich in die Zukunft. Das hat die gemeinsame Studie von Bundesumweltministerium und Umweltbundesamt „Zukunft? Jugend fragen“ herausgefunden. Wer kann es ihnen verdenken, angesichts sich häufender Krisen wie Klimakrise, Umweltkrise, Biodiversitätskrise und seit Corona auch noch der Gesundheitskrise. Neben ihren Möglichkeiten zu protestieren wie Fridays for Future, haben sie zum Glück auch Vorbilder, junge Berufstätige, die in ihrer Arbeit direkt der indirekt bei der Rettung des Planeten mithelfen.

Warum Jugendlichen ökologische Nachhaltigkeit wichtig ist

Verena etwa, die in ihrer Küche gerade ihr neuestes Zero-Waste-Rezept fotografiert, oder Paul und Leon, die bei einem Glas Kombucha ihren nächsten Online-Fermentierungskongress besprechen. Auch Stephanie geht mit gutem Beispiel voran, wenn sie an flacheren Unternehmenshierarchien für das Bio-Unternehmen Byodo feilt, ebenso wie Jörg und Anna, die die Eier ihrer 6000 Bio-Hühner einsammeln. In den Generationen Praktikum, Y, Z und Greta tummeln sich zahlreiche junge Leute, die öko und motiviert sind. Und daran glauben, dass die Welt noch zu retten ist, wenn alle ihren Teil dazu beitragen. Damit treffen sie den Nerv ihrer Generation, denn laut einer weiteren Studie „Junge Deutsche 2021“ ist für 73 Prozent der Befragten ökologische Nachhaltigkeit wichtig oder sogar sehr wichtig. Was macht Menschen wie ihnen Mut, wenn sie an ihre Zukunft denken?

Was die Angst vor dem Klimawandel bewirkt

„Es ist unbestreitbar, dass der Klimawandel spätestens seit der Fridays-for-Future-Bewegung von jungen Menschen als ein konkretes Risiko wahrgenommen wird, das sie ganz unmittelbar betrifft“, sagt Alexander Fink. Der Zukunftsforscher analysiert Trends und entwickelt anhand von Szenarien die unterschiedlichsten Schauplätze, auf denen sich künftig das Leben der heutigen jungen Erwachsenen abspielen könnte. Er findet es beeindruckend, dass die Generation Greta die Klimakrise derart ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerufen hat – gewaltfrei, digital vernetzt und kreativ. „Gleichzeitig ist für die Digital Natives ein hohes Tempo in Sachen technologischer Fortschritt eine Selbstverständlichkeit. Deshalb vertrauen viele von ihnen darauf, dass sich auch große Probleme mit Technik, Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz innovativ lösen lassen“, ergänzt Fink.

Ist das „junge Gemüse“ also digital naiv? Immerhin geben 77 Prozent der 12- bis 26-Jährigen an, dass ihr Smartphone ihr Leben wesentlich prägt – und dieses sollte bevorzugt immer das neueste Modell sein, Nachhaltigkeit hin oder her. Die Bereitschaft, etwa durch den Kauf von gebrauchten Produkten Ressourcen zu schonen, ist unter ihnen vergleichsweise niedrig. Ihr Glaube, dass technische und digitale Innovationen zur Rettung unseres Planeten beitragen, ist stärker als der Wille, insgesamt weniger und bewusster zu konsumieren.

Wie Corona das Bewusstsein für die Zukunft stärkt

Was Hoffnung macht: Corona hat viele junge Menschen wachgerüttelt und ihnen sowohl die Grenzen der digitalen Glückseligkeit aufgezeigt als auch ihre Wertschätzung für die Natur gestärkt, denn in der durften sie sich in den vergangenen Monaten wenigstens einigermaßen frei bewegen.

Die Junglandwirte Anna und Jörg Ostermaier vom Hasenberghof wünschen sich, dass in Zukunft noch mehr junge Leute auf ihren Hof kommen und den respektvollen Umgang mit Natur und Tieren im „real life“ mit allen Sinnen erleben. Ihre Hühner haben nicht nur rund 30 Prozent mehr Platz als es die EU-Bio-Verordnung vorschreibt, sondern dürfen auch jederzeit auf die Weide, wo sie flattern und herumlaufen, sandbaden, scharren und picken können, wie es ihr Hühnerherz begehrt. „Wir leisten hier Aufklärung vor Ort, ohne zu belehren. Wer zu uns kommt, sieht und spürt einfach, dass das, was wir tun, richtig und zukunftsweisend ist“, sagt Anna.

Die Öko-Bauern

Während Anna schon immer fasziniert von der Landwirtschaft war, wollte Jörg früher alles, bloß kein Bauer werden. Nach ihrem Agrarstudium fasste Anna rasch Fuß in der Bio-Branche, Jörg hingegen studierte zunächst Elektrotechnik. Als das Thema Nachfolgeregelung für den Milchvieh-Betrieb seiner Eltern näher rückte, war seine Landwirtschaftsverdrossenheit jedoch längst Geschichte. 2015 verbrachte das Paar einige gemeinsame Wochen auf einer Alm – jenseits von Technik, Zivilisation und Ablenkung. Und hier beschlossen sie, den Hof zu übernehmen und einmal komplett auf den Kopf zu stellen. Legehennen statt Milchkühe, bio statt konventionell, raus aus der Dorfmitte hinein in neue, großzügige Stallungen mit viel Platz für die Tiere. Seit 2017 sind bei den Ostermaiers nun die Bio-Hühner los – und zwar 6000 an der Zahl. Besonders wenn Familien und Schulklassen kommen, um zu sehen und zu erleben, wie Bio-Landwirtschaft mit Respekt vor Tier und Natur funktioniert, wissen Anna und Jörg: Damals auf der Alm haben sie die richtige Entscheidung getroffen. bio-hasenberghof.de

Auch Paul von Fairment ist überzeugt, dass man für ein besseres Morgen schon heute damit anfangen muss, Dinge anders zu machen. Obwohl sich ein großer Teil seiner Arbeit online abspielt, etwa bei seinen Online-Fermentierungskongressen, hat er Tag für Tag ganz unmittelbar mit der Herstellung lebendiger Lebensmittel zu tun. Dabei steht er mit beiden Füßen fest auf dem Boden, um den er sich große Sorgen macht: „Mich beunruhigt die Vorstellung, dass die Lebensmittelherstellung irgendwann komplett zentralisiert, in der Hand weniger großer Konzerne liegen könnte, die dann diktieren, was wir essen sollen und wie es angebaut wird – und damit unsere Umwelt, inklusive der Artenvielfalt und vor allem unsere Böden unumkehrbar zerstören“, sagt er. Deshalb verarbeiten er und sein Team nur fair gehandelte Bio-Zutaten.

Die Start-up-Gründer

Paul Seelhorst war gerade Anfang 30, als er gemeinsam mit seinem Freund Leon Benedens das Start-up Fairment gründete. Schon vorher hatten sich die beiden als Blogger und Influencer mit gesunder Ernährung beschäftigt und erkannt: Ein gesunder Darm kann helfen, ein längeres, glücklicheres Leben zu führen. Mit Fairment lassen sie heute Mikroben toben. Ihr Start-up produziert fermentierte Lebensmittel wie Kombucha, Kefir und Sauerteig in Rohkost-Qualität. Die verwendeten Zutaten sind fast alle fair gehandelt und bio. Außerdem definiert sich Fairment als „Educational Business“: Mit viel Aufklärungsarbeit, einer lebendigen Online-Community und dem Veranstalten großer Fermentationskongresse online animieren Paul, Leon und ihr Team Menschen über die Grenzen Deutschlands hinaus, ihre Darmgesundheit in die Hand zu nehmen und in ihren eigenen Küchen gesunde Lebensmittel selbst herzustellen. fairment.de

Was Jugendliche motiviert

Laut Alexander Fink stellt sich jungen Erwachsenen heute und in Zukunft mehr denn je die Frage nach der Work-Life-Balance. „Welches Gewicht das Arbeitsleben im Vergleich zur Freizeit hat, wie viel Schnittmenge man zulassen möchte und wie viel Abgrenzung sein muss – das sind für junge Erwachsene essenzielle Fragen“, so der Zukunftsforscher.

Die Studie „Junge Deutsche“ bestätigt: Geld und Spaß als Motivationsfaktoren sind den 14- bis 39-Jährigen ungefähr gleich wichtig. – Ackern nur für Kohle und Lorbeeren war gestern. Mehr als die Hälfte aller Befragten legt stattdessen großen Wert auf eine gute Arbeitsatmosphäre mit einer gesunden Balance zwischen Arbeit und Freizeit und der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Etwa ein Drittel gibt an, dass der Sinn der eigenen Tätigkeit ausschlaggebend für ihre Leistungsbereitschaft ist. Die Wichtigkeit, gute Vorgesetzte zu haben, nimmt derweil immer mehr ab. Dessen ist sich auch Stephanie Moßbacher bewusst, die 2022 die alleinige Geschäftsführung des Naturkostunternehmens Byodo übernehmen wird. Ihr Vater hatte die Firma 1985 gegründet und als Bio-Pionier stark geprägt. „Für mich ist nun die größte Herausforderung, das Unternehmen erfolgreich in die Zukunft zu führen. Das bedeutet Strukturen zu schaffen, die auf zukünftiges Wachstum ausgelegt sind. Dazu gehören agiles und interdisziplinäres Arbeiten, flexible Arbeitszeiten und viel Raum für eigenes Gestalten in einer modernen Führungskultur. So entsteht ein Ort der stetigen Weiterentwicklung, wo sich jeder und jede einbringen kann“, sagt die 31-Jährige. Mit den Byodo-Produkten will sie auch in Zukunft Genuss und Nachhaltigkeit verbinden. „Für uns ist Panikmache oder ein moralisch erhobener Zeigefinger der falsche Weg, um für Nachhaltigkeit zu werben. Wir wollen zeigen, dass Kochen mit hochwertigen Bio-Produkten ganz einfach sein kann und Spaß macht. So wollen wir positiv zu einer nachhaltigen und genussvollen Lebensweise inspirieren.“

Die Unternehmerin

Vielleicht Sprachen – oder doch lieber Psychologie studieren? Für Stephanie Moßbacher war keinesfalls schon immer klar, dass sie in die Fußstapfen ihres Vaters treten und eines Tages das Naturkostunternehmen Byodo übernehmen würde. Erst während eines Praktikums in der Firma merkte sie, dass sie hier, wo sich alles um genussvolle Bio-Lebensmittel dreht, einfach richtig war. Während ihres Studiums legte sie ihre Schwerpunkte auf Nachhaltigkeit, Marketing und Führung; inzwischen ist sie 31 und wird ab 2022 die alleinige Geschäftsführerin des Familienbetriebes sein. Ihren Drang, gemeinsam mit anderen Menschen etwas Sinnvolles zu tun, kann sie in dieser Rolle voll ausleben: Sie steht vor der Herausforderung, die Werte des Bio-Unternehmens in einem hart umkämpften Markt weiter hochzuhalten und gleichzeitig innerhalb der Firma neue Strukturen zu schaffen, in denen die Mitarbeitenden ihr Potenzial noch besser entfalten können. byodo.de

Warum Ernährung ein Zukunftsthema ist

Knapp die Hälfte der jungen Erwachsenen kauft nach eigenen Angaben regelmäßig biologische und regionale Produkte ein, obwohl sie nur mit eher geringer Kaufkraft ausgestattet sind. Ein Drittel hat darüber hinaus bewusst den Konsum tierischer Produkte reduziert. Und 70 Prozent sind der Meinung, dass der Staat die Bürger bei einer klimafreundlicheren Ernährung unterstützen sollte, etwa durch steuerliche Anreize.

„Auch unter den jüngeren Generationen lässt sich klar ein Trend hin zu einer bewussteren Ernährung feststellen“, bestätigt Alexander Fink. In welcher Geschwindigkeit und Breite sich dieser jedoch fortsetzen wird, ließe sich nur schwer vorhersagen – und das obwohl sich die Digital Natives im Web alle Informationen für nachhaltigen Konsum beschaffen können. Der Hebel beim Thema Ernährung ist jedenfalls groß, hier fallen laut Umweltbundesamt rund ein Drittel der gesamten CO2-Emissionen an. Das Tempo des gesellschaftlichen Wandels treibt auch Bio-Bloggerin Verena Hirsch um. „In der Land- und Ernährungswirtschaft gibt es so viele tolle Konzepte und Menschen mit Visionen und dem nötigen Ansporn, etwas zu verändern. Aber es geht so langsam vorwärts“, findet sie. Mit ihren Zero-Waste-Rezepten und Artikeln rund um Bio und nachhaltige Ernährung möchte sie ihre Community dazu motivieren, Lebensmittel wieder mehr wertzuschätzen. „Denn auch das tollste, plastikfreie Bio-Produkt bringt am Ende nichts, wenn es in der Tonne landet“, so Verena. Genau wie Paul, Leon, Anna, Jörg und Stephanie ist sie überzeugt, dass Bio die Welt ernähren kann und Antworten auf ihre ganz persönlichen Zukunftsfragen gibt. Resignation und Schulterzucken kommen für diese jungen Menschen nicht infrage.

Die Bloggerin

Im Hofladen aushelfen, bei der Ernte mit anpacken, viel frische Luft schnappen, aber nie mal so richtig Urlaub machen: Verena Hirsch wuchs auf einem Bio-Bauernhof in Niederbayern auf. Und obwohl ihr als Heranwachsende so manches an ihrem Öko-Landleben gegen den Strich ging, wurde ihr nach dem Auszug von Zuhause schnell klar, wie kostbar und rar ihre Wertschätzung für gute Lebensmittel ist – vor allem im Vergleich zu vielen Gleichaltrigen. Schon während ihres Jurastudiums startete sie ihren Blog allmydeer.com, auf dem sie Ideen und Inspirationen rund um nachhaltige Landwirtschaft und saisonales Zero-Waste-Kochen teilt. Ihr Studium hing sie nach dem ersten Staatsexamen an den Nagel, sammelte stattdessen Redaktionserfahrung in einem Verlag und kehrte dann in ihre Heimat zurück, wo sie einige Jahre ihren Blog befüllte, Texte schrieb und in einem Bio-Laden jobbte. Inzwischen ist das Schreiben ihr Hauptberuf, mit dem sie möglichst viele Menschen zu einem wertschätzenden, bewussten Umgang mit Lebensmitteln anregen möchte.

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