Leben

Heilerde: Wie sie wirkt

Eintauchen, sich einpacken lassen oder nur das Gesicht einreiben: Schlick, Lehm und Moor bringen den Stoffwechsel auf Trab, entfalten heilende Kräfte und pflegen die Haut.

Emil sieht aus, als wäre er versteinert. Er hat sich von oben bis unten mit grauem Schlamm eingeschmiert und in der Sonne trocknen lassen. Der 41-Jährige macht gerade Urlaub an der türkischen Ägäis und hat etwas nördlich von Izmir ein Thermalbad entdeckt, das Schlammkuren anbietet. Die würden seiner Haut guttun, hat ihm der türkische Bademeister versichert. Und der Frankfurter, der eine leichte Schuppenflechte hat, will das jetzt ausprobieren.

Wie gesund ist Heilerde wirklich?

So ähnlich wie er das macht, kuren die Menschen seit mehr als Hundert Jahren auch in Bad Sobernheim. Hier wirkte zu Beginn des 20. Jahrhunderts der „Lehmpastor“, wie Emanuel Felke im Volksmund hieß. Zur „Felkekur“ gehören Schlammbäder, außerdem Lichtbäder, Bewegung und vegetarisches Essen. Auch Sebastian Kneipp setzte auf das Naturprodukt Lehm als Arzneimittel zur äußerlichen Anwendung, etwa bei Wunden, Geschwüren, Ausschlägen und schmerzenden Gelenken. Adolf Just, noch ein bekannter Naturheilkundler dieser Zeit, schwor auf Lösslehm, eine Tonerde, die vor Jahrmillionen während der letzten Eiszeit entstand. Er nannte diesen Lehm Heilerde.

Dass Erde heilt, wissen Naturvölker seit jeher. Sie haben Tiere beobachtet und es ihnen nachgemacht. So wälzen sich etwa Elefanten und Nilpferde in Schlamm, um ihre Haut vor Parasiten oder Sonnenstrahlen zu schützen. Im alten Ägypten verordneten Heilkundige mineralstoffreichen Nilschlamm, zu Zeiten Homers galten Erdpackungen als ein Mittel gegen Pest und Gift. Die heilkundige Klosterfrau Hildegard von Bingen setzte bei Lepra Erde von Ameisenhügeln ein. Während unsere Vorfahren meist Erde aus der unmittelbaren Umgebung benutzten, können wir uns heute die heilenden Erden aus der ganzen Welt aussuchen, um unsere Beschwerden zu lindern. Experten sprechen übrigens von Peloiden. Das Wort kommt aus dem Griechischen und bedeutet Schlamm.

Wofür ist Heilerde gut und welche Produkte gibt es?

Fango und Co.: Packungen und ihre Wirkung

Wohl mit am bekanntesten sind die mineralhaltigen Fangopackungen aus Vulkangestein, die zur Linderung von rheumatischen Beschwerden und Muskelverspannungen eingesetzt werden. Schlick aus dem Meer fördert die Heilung kleiner Wunden und wirkt hautfreundlich, ebenso Ton- oder Mineralerden wie Kreide, Lehm oder Löss, die auch bei Muskel- und Gelenkbeschwerden zum Einsatz kommen. Es gibt sie in Braun, Grün, Gelb, Rot, Weiß oder Rosa; die Farbvariationen entstehen durch Eisen-, Kupfer- und Magnesiumanteile. Weiße Tonerde etwa ist hell, weil sie viel eisenfreies Kaolin, eine spezielle Tonerde, enthält.

Je nachdem, welche Wirkung die heilende Erde erzielen soll, kommt sie warm oder kühl auf die Haut. Bei Muskelverspannungen und rheumatischen Erkrankungen helfen warme Umschläge. Fangopackungen, die der Arzt verordnet, entfalten ihre optimale Wirkung bei etwa 45 Grad. Die intensive, langanhaltende Wärme entspannt und regt die Durchblutung und den Stoffwechsel an. Kühle Lehmpackungen hingegen lindern Beschwerden bei entzündeten Gelenken, Prellungen, Verstauchungen und Venenproblemen.

Tonerden haben eine weitere positive Eigenschaft: Wenn der feuchte Brei auf der Haut trocknet, bindet er abgestorbene Hautschuppen und Hauttalg. Das kann das Hautbild bei Akne verbessern, den typischen Juckreiz bei Neurodermitis lindern sowie fettige Haut ins Gleichgewicht bringen.

Die Grenzen zwischen medizinischer und kosmetischer Anwendung sind manchmal fließend. Speziell für kosmetische Zwecke bieten Bio-Läden verschiedene Mineralerden an. Es gibt puderfein gemahlenes Pulver zum Selbstanrühren oder gebrauchsfertige Pasten. Mit etwas Wasser zu einem Brei vermischt entwickelt das Produkt eine gelartige Konsistenz. Es reinigt Haut und Haare gründlich ganz ohne Tenside, Chemie und Zusatzstoffe. Daher gelten sie als besonders verträglich, gerade bei sensibler Haut.

Wascherde, Peelings und Masken

Die Reinigung funktioniert durch mikrofeine Tonpartikel, die Schmutz, Staub, abgestorbene Hautschuppen und überschüssiges Fett wie ein Löschblatt aufsaugen und binden. Relativ bekannt ist etwa Glassoul-Wascherde aus dem marokkanischen Atlas-Gebirge. Einheimische nutzen sie seit vielen Jahrhunderten. Früher transportierten Kamelkarawanen diese Tonerde in den gesamten Nahen Osten.

Neben den Wascherden gibt es auch Peelings und Masken auf Erdebasis. Damit feuchtigkeitsarme, trockene Haut nicht zu stark austrocknet, setzen die Hersteller rückfettende Pflanzenöle zu. Für Körperpackungen bieten einige Firmen auch größere Packungen bis zu einem Kilo an.

So eine will sich Emil demnächst kaufen, wenn die Plastikdosen verbraucht sind, in die er sich den Heilschlamm aus dem türkischen Thermalbad abgefüllt hat. Seine Haut fühlt sich jetzt viel weicher an. Und er freut sich schon auf das nächste Schlammbad.

Heilende Erden im Überblick

Ton- oder Mineralerden

Sie enthalten Löss, Sand und Schluff in unterschiedlicher Zusammensetzung. Umschläge und Packungen lindern Muskel- und Gelenkbeschwerden und reinigen die Haut. Lavaerde ist eine lehmfarbene Wascherde für Haut und Haar.

Schlick

An Meeresküsten wird nährstoffreicher Schlick mit Sedimenten, Schwebeteilchen und Algen gewonnen. Das im Schlick enthaltene Salz wirkt leicht desinfizierend und durchblutungsfördernd.

Moorerde

Moorerde entsteht aus organischen Substanzen, zum Beispiel Moosen, die unter Luftabschluss verrotten. Als warme Packung löst sie Verspannungen – die in ihr enthaltene Huminsäure soll entzündungshemmend wirken.

Heilkreide

Von den Rügener Kreidefelsen wird schneeweißes Kreidepulver gewonnen. Das feine, kalkhaltige Pulver enthält Silicium, das eine straffende Wirkung auf die Haut hat.

Lehmbäder: Was sagt der Experte?

Der Allgemeinmediziner und Naturheilarzt Dr. Matthias Menschel leitet die medizinische Abteilung von Menschels Vital-Resort. Das Bio-Hotel in Bad Sobernheim führt Felke-Kuren durch.

Früher saßen die Menschen im Freien in der Lehmgrube. Heute auch noch?

Im Sommer machen wir das noch genauso. Da baden die Kurgäste im Freien im Lehm. Das möchte aber nicht jeder. Alternativ kann man sein Lehmbad auch drinnen in einer Halle nehmen, in der kühlen Jahreszeit sowieso. Dort sind Wannen in den Boden eingelassen und auf 28 Grad temperiert. Männer und Frauen haben getrennte Bereiche.

Wie läuft so ein Bad ab?

In der Nähe unseres Grundstücks liegt unsere Lehmgrube. Dort wird der Lehm für jedes Lehmbad frisch gestochen, mit Wasser zu einem zähen Brei verrührt. Es kommt soviel davon in die Wanne, dass der Lehm beim aufrechten Sitzen bis zum Rippenbogen reicht. Der Oberkörper sinkt nicht im Schlamm ein, damit kein Gefühl von Enge entsteht. Der Lehm selbst ist eher kühl, die Temperatur liegt etwa acht bis neun Grad unter Körpertemperatur. Doch das Naturmaterial nimmt Körperwärme rasch auf und speichert sie. Sie können lange darin sitzen, ohne dass Ihnen kühl wird.

Im Sommer baden die Kurgäste im Freien im Lehm.

Matthias Menschel, Allgemeinmediziner und Naturheilarzt

Was sollen die Lehmbehandlungen bewirken?

Lehm ist basisch, er kann daher saure Stoffwechselprodukte, die über die Haut ausgeschieden werden, aufnehmen. Die Therapie hilft bei Arthrose- und Wirbelsäulenbeschwerden und auch bei Erschöpfungszuständen. Wissenschaftlich eindrucksvoll nachgewiesen ist eine Steigerung des Immunsystems. Gute Erfahrungen machen wir auch bei Venenproblemen. Lehm ist schwer, ein zehn Liter Eimer wiegt 19 Kilo. Im Lehmbad werden die Gefäße zusammengedrückt, es bewirkt also eine gute Kompression. Einige Gäste, die regelmäßig zur Kur kommen, hat das vor einer Venen-OP bewahrt.

Wie wirkt der Lehm auf die Haut?

Nach dem Bad schabt man sich den Lehm grob vom Körper ab, dann soll der Rest antrocknen. Anschließend reibt man sich den dünnen Lehmfilm mit den Händen ab und duscht mit kühlem Wasser. Das Abrubbeln regt Durchblutung an und fördert die Entgiftung und Entsäuerung über die Haut. Stoffwechselprodukte werden schneller abtransportiert, Nährstoffe gelangen wieder besser an den Knorpel. Außerdem entsteht nebenbei ein Peelingeffekt auf der Haut.

Könnte man das auch zu Hause machen?

Sicher. Aber Sie brauchen dafür rund 240 Kilo frischen, humusfreien Lehm. Wo bekommt man so viel Lehm her und wer soll diese schwere Arbeit machen?

Für wen ist das Lehmbad nicht geeignet?

Akute Infekte sprechen dagegen, ebenso starke körperliche Erschöpfung. Ich rate auch davon ab, wenn jemand sich nicht mehr gut bewegen kann, also nicht mehr alleine aus dem Bad aussteigen kann.

Weiteres rund um Heilerde

  • Mayer, Monika:
    Natürlich gesund mit Heilerde.
    AT-Verlag, 2008,
    144 Seiten, 17,90 Euro
  • Zimmermann, Gabriele:
    Heilerde für ein gesundes Leben.
    Herbig Verlag, 2010, 174 Seiten, 14,99 Euro
  • www.die-neue-kur.de
    Heilende Erden in der Kur – wer bietet sie an, wie kann ich eine Bäderkur beantragen? Der Deutsche Heilbäderverband e.V. hilft weiter.
  • www.bad-sobernheim.de
    Licht, Luft, Wasser und Erde sind die Säulen der Felke-Kur. Interessantes über den Lehmpastor und seine Therapie erfahren Interessierte auf der Internetseite des Kurortes Bad Sobernheim.
  • www.bad-camberg.de
    Kneipp setzte nicht nur auf Wassergüsse, sondern auch auf die heilende Wirkung von Lehm. Im anerkannten Kneipp-Kurort Bad Camberg ist Lehmtherapie ein Schwerpunkt der Kur. Die Webseite von Bad Camberg informiert über Kurmöglichkeiten.
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