Leben

So gesund ist Gartenarbeit

Gartenarbeit ist anstrengend, mitunter frustrierend – und dennoch eine Wohltat für Körper und Geist. Warum uns Unkrautjäten & Co. glücklich machen.

Die Welt? Bleibt draußen. Ich schließe die gläserne Schiebetür des Gewächshauses von innen und bin allein. Inzidenzwerte, Homeschooling und die Frage der Fragen „Was kochen wir heute?“ – all das hat hier drinnen keinen Platz. Was hier zählt, sind Hacke, Schaufel, Gießkanne. Hier im Beet ist die Welt überschaubar. Statt um bedrohliche Viren kreisen die Gedanken um den richtigen Zeitpunkt für die Aussaat der Petersilie. Keine Frage: Ohne meinen Garten und ohne mein Gewächshaus hätte ich die Corona-Zeit weit weniger gut überstanden.

Im Garten nebenan höre ich meine Nachbarin Rosi fluchen und weiß: Ihr geht es genauso. Obwohl sie schimpft wie ein Rohrspatz und Engerlinge und Gierschwurzeln zum Teufel wünscht, ist das Gärtnern für die 67-Jährige durch nichts zu ersetzen. „Hier draußen krieg ich meinen Kopf frei“, sagt sie. Selbst Unkraut­rupfen empfindet sie als Entspannung. „Das Schöne ist: Man sieht immer ein Erfolgserlebnis.“

Warum Gartenarbeit gut für die Psyche ist

Buddeln, jäten, hacken und graben machen uns glücklich – aber warum eigentlich? In einem Interview mit der Zeitschrift „Psychologie heute“ liefert der australische Neurowissenschaftler Stan Rodski einen Erklärungsansatz. Ihm zufolge verankern wir bei Freizeitaktivitäten wie dem Gärtnern oder dem Töpfern unsere Gedanken im Hier und Jetzt. Dadurch dass wir die Tätigkeit bewusst und aufmerksam ausführen, geraten wir laut Rodski in einen sogenannten „Flow“, einen besonderen energiesparenden Modus des Gehirns. Ähnlich wie bei Achtsamkeitsübungen flauen unschöne Emotionen ab. Rodski: „Die Anstrengung und der Stress der letzten Stunden verblassen. Wir finden zu unserer Mitte zurück.“

Stimmt – und trotzdem scheint dem Gärtnern noch ein größeres Geheimnis innezuwohnen als anderen Hobbys. Eines, das offenbar immer mehr Menschen für sich entdecken wollen: Die Nachfrage nach Kleingärten wächst seit Jahren. In der Corona-Zeit hat das Interesse nochmals deutlich zugenommen. Nach Angaben des Bundesverbandes deutscher Gartenfreunde gibt es vor allem in Großstädten mittlerweile bis zu viermal so viele Anfragen wie vor der Pandemie.

Gartenarbeit befriedigt viele Bedürfnisse

Das Bedürfnis an der frischen Luft zu sein, erkläre diesen Trend nur zum Teil, glaubt Ulrike Kreuer. Sie ist Diplom-Ingenieurin für Gartenbau und bildet Gartentherapeuten aus. „Ein Garten“, sagt sie, „ist unschlagbar, weil er ganz unterschiedliche Bedürfnisse befriedigt.“ Eine wichtige Rolle nach den Erfahrungen der vergangenen Monate spielt Kreuer zufolge die Sehnsucht nach Weiterentwicklung – sie lasse sich im Garten gut stillen.

Meine Pfingstrose fällt mir ein: Lockdown und Kontaktbeschränkungen, die uns Menschen monatelang in Stillstand versetzen können, beeindrucken die Staude kein bisschen. Jedes Jahr ab März ragen zuverlässig die ersten grünen Spitzen zwischen den grauen Stoppeln vom Vorjahr hervor. Bis Mai ist ein prächtiger Busch mit Blüten herangewachsen. „Die Natur lehrt uns runterzukommen und Vertrauen zu haben, dass es immer weitergeht“, so Kreuer.

Lust auf Arbeiten im Garten bekommen? Wusstet ihr, dass jeder noch so kleine Naturgarten das Klima schützen kann? Lest unser Plädoyer für grünere Gartengestaltung. Mit vielen Tipps für Einsteiger.

Naturnah gärtnern: So geht's

Hinzu kommt beim Gärtnern noch ein weiterer fürs Wohlbefinden wichtiger Aspekt: die Erfahrung von Selbstwirksamkeit. Aus dem Samenkorn, das ich im Frühjahr säe, wächst eine Tomatenpflanze heran, die mir ab Juli meinen Mittagssnack liefert. „Ein Garten nährt Herz und Bauch“, sagt Ulrike Kreuer. Um seine wohltuende Wirkung zu entfalten, sollte ein Garten die Sinne berühren. Das funktioniert über den Geschmack von selbstgepflücktem Obst oder Gemüse. Ebenso über Duftpflanzen. Auch Geräusche, zum Beispiel Gräser, die im Wind rascheln, können Ulrike Kreuer zufolge ein Gefühl von Heimat und Geborgenheit hervorrufen. „Wir sind oft viel zu geizig damit, unsere Sinne anzuregen“, sagt sie.

Gärtnern als Therapie

Die positiven Wirkungen des Gartens und des Gärtnerns macht sich die Gartentherapie zunutze: Gezielt wird dabei die Natur eingesetzt, um das psychische und physische Wohlbefinden von Menschen zu steigern. Dabei spielen zwei Dimensionen zusammen: das (aktive) Tun und das (passive) Wahrnehmen.

Die Einsatzgebiete und Methoden sind vielfältig. Während Patienten mit Schädel-Hirn-Traumata in der Gartentherapie ihre Feinmotorik trainieren, können Burnout-Geplagte üben, loszulassen und anzunehmen, was ist. Suchtkranke können lernen, Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen. Depressive entdecken unterstützt von Gartentherapeuten, dass es auf jede Situation verschiedene Blickwinkel gibt. Menschen mit Demenz leben Erinnerungen aus.

Über die Internetseite der Internationalen Gesellschaft Gartentherapie lassen sich Experten finden.

Grün fördert die Gesundheit

Dass Grün die Gesundheit fördert, ist wissenschaftlich belegt. Schon der Blick ins Grüne, zum Beispiel aus einem Krankenzimmer, kann laut Untersuchungen den Heilungsprozess fördern. Studien zeigen auch: Aufenthalt und Arbeit im Garten sorgen dafür, dass das Stresshormon Cortisol verringert wird. Den langfristigen Effekt des Grüns auf Menschen haben Forscher der University of East Anglia 2018 in einer Meta-Studie untersucht. Demnach reduzieren ein naturnahes Leben und viel Zeit im Freien unter anderem die Risiken für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes Typ II. Die Ursachen dieser positiven Effekte können die Forscher bisher noch nicht ganz genau erklären. Neben anderen Faktoren spiele jedoch die Möglichkeit, im Grünen körperlich aktiv zu sein, eine entscheidende Rolle, vermuten sie.

Eine Annahme, die meine Nachbarin Rosi ebenso wie wohl alle Hobbygärtner sofort unterschreiben würde. Auch wenn ihr die Gelenke und das Kreuz immer wieder Malheur bereiten, verzichtet sie nicht auf den oft anstrengenden Einsatz im Beet. „Ich brauche die Bewegung an der frischen Luft und das gute Gefühl, etwas blühen zu sehen oder ernten zu können“, sagt sie. „Meistens verschwinden beim Gärtnern auch die Schmerzen – und wenn sie’s mal nicht tun, habe ich wenigstens eine Erklärung dafür, woher sie kommen.“

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