Gesundheit

Essen gegen Migräne

Die Experten sind sich einig: Migräne wird davon beeinflusst, wie und wovon wir uns ernähren. Auch wenn ihre Meinungen im Einzelnen auseinandergehen: Mehr Achtsamkeit bei Tisch kann sich für Migränegeplagte durchaus lohnen.

„Im Gespräch stellte sich heraus, dass sie im Urlaub, wenn sie sich ausgiebig am Frühstücksbuffet des Hotels bedient hatte, nie Migräne bekam“, sagt Prof. Dr. Hartmut Göbel. Der Leiter der Schmerzklinik Kiel empfahl seiner Patientin, morgens in Ruhe zu frühstücken. Seit die Schülerin mit einem Müsli mit warmer Milch oder einer warmen Pellkartoffel mit Quark auf morgendliche „Energiezufuhr“ achtet, ist sie beschwerdefrei.

Reizverarbeitung braucht Energie

Die Erforschung der Migräne hat in den letzten Jahren deutliche Fortschritte gemacht: Inzwischen ist wissenschaftlich untermauert, dass es sich bei ihr um eine angeborene Besonderheit der Reizverarbeitung im Gehirn handelt. Das Gehirn des an Migräne Erkrankten reagiert empfindlich auf alle Reize, ist grundsätzlich aktiver und leistungsfähiger und kommt so auf einen konstant hohen Energieverbrauch. Wird diese Energie nicht kontinuierlich in ausreichendem Maße zugeführt und kommen zusätzliche auslösende Reize („Trigger“) wie Stress, Änderung der Hormonlage oder bestimmte Nahrungsmittel ins Spiel, wird das Gehirn binnen Kurzem von erregenden Nervenbotenstoffen überschwemmt. Sie reizen den Gesichtsnerv Trigeminus und die ihn umgebenden Blutgefäße reagieren mit einer Entzündung. Diese weitet die Gefäße, sodass der Pulsschlag einseitig am Kopf als heftig klopfender Schmerz empfunden wird. Durch die Überreaktion des Gehirns fallen körpereigene Regulationsvorgänge aus: Übelkeit und verstärkte Sinneseindrücke sind die Folge.

„Das leistungsfähigste Gehirn, das wir auf der Welt hatten, gehörte der zweifachen Nobelpreisträgerin Marie Curie, von der bekannt ist, dass sie während ihrer Studienzeit von einem heftigen Migräne-Anfall in den nächsten schlitterte“, erläutert Göbel. „Als arme Studentin hat sie von Wasser und trockenem Brot gelebt. Sie hat ihrem Hochleistungshirn viel zu wenig Energie in Form von Kohlenhydraten zugeführt.“

Futter fürs Gehirn

Dabei geht es jedoch nicht um minderwertige Kohlenhydrate aus Einfachzucker, die für den Körper durch das ständige Auf und Ab des Blutzuckerspiegels Stress bedeuten. Zucker liefert zwar schnell Energie, durch Insulinausschüttung wird er aber ebenso schnell wieder abgebaut, bis hin zum kritischen Bereich der Unterzuckerung. Dann signalisiert der Körper Heißhunger auf Süßes. Und der Griff zum Schokoriegel, auf den der Anfall folgt, ist nicht die Ursache der Migräne, sondern ihr Beginn.

Kohlenhydrate aus Vollkornprodukten, Kartoffeln, Müsli, Gemüse und Hülsenfrüchten werden langsamer abgebaut, halten länger satt und liefern zusätzlich reichlich Vitamine, Mineralien und Faserstoffe. Prof. Dr. Göbel setzt auf regelmäßige fettarme und eiweißreduzierte Ernährung und einen regelmäßigen Schlafrhythmus, um Migräneanfälle zu vermeiden - und außerdem auf die Zufuhr von mindestens zwei Litern Wasser am Tag.

Bestimmte Nahrungsmittel meiden?

Dass bestimmte Nahrungsmittel wie Rotwein, Käse, Zitrusfrüchte oder Nüsse als Ursache einer Migräne infrage kommen, glaubt der Kieler Schmerzexperte im Gegensatz zu einigen seiner Kollegen (siehe Interview) nicht.

„Natürlich gibt es nahrungsmittelbedingte Kopfschmerzen, weil es Unverträglichkeiten gegen bestimmte Inhaltsstoffe wie etwa das Nitrat im Gepökelten, das Glutamat im Essen des China-Restaurants oder das Histamin im Rotwein gibt“, erläutert Göbel. „Aber so eine Unverträglichkeit wirkt sich auf die Migräne nur in dem Sinne aus, als dass sie dem Körper durch eine Stressreaktion Energie raubt.“

Migräne als schwere neurologische Erkrankung ist als eine von 250 verschiedenen Kopfschmerzarten genau definiert. Ein Patient kann durchaus von mehreren Kopfschmerzformen - etwa „Migräne plus nahrungsmittelbedingtem Kopfschmerz“ - betroffen sein. Erst das akribische Auflisten aller persönlichen Stressfaktoren im Kopfschmerztagebuch liefert die Grundlage für eine qualifizierte Diagnose und die optimale Wahl von Medikament und Therapie.

Es bleibt das Fazit: Eine Migräne lässt sich zwar nicht allein durch das Weglassen bestimmter Lebensmittel verbessern. Aber Ernährung ist neben Entspannung und Bewegung eine der Säulen, über die wir selbst großen Einfluss auf die Erkrankung nehmen können. Heidy Thieme von der Hamburger Migräne-Selbsthilfegruppe bringt es auf den Punkt: „Man kann Migräne zwar nicht heilen, aber man kann lernen, gut mit ihr zu leben.“

Ein Leben in Balance

Entspannung

Das strapazierte Nervensystem des Migränepatienten braucht regelmäßige Ruhepausen. Bewährte Mittel gegen Stress sind autogenes Training, progressive Muskelentspannung, Qigong, Yoga und Meditation.

Bewegung

Ausdauersport wie Schwimmen, Radfahren oder Nordic Walking verbessert die Durchblutung und stabilisiert das Nervensystem. Zwei- bis dreimal wöchentlich 30-45 Minuten reichen aus. Trinken nicht vergessen!

Alternativmedizin

Akupunktur, Naturheilmittel, Homöopathie oder Schüßler-Salze haben sich bei Migräne bewährt. Es lohnt sich auch, Akupressur zu lernen und gezielt anzuwenden. Doch an erster Stelle steht der Besuch beim Facharzt.

Psyche

Negatives Denken und Überlastung fördern die Anfallshäufigkeit. Wer sich aus Angst vor dem nächsten Anfall zurückzieht, sollte sich Unterstützung bei einer Selbsthilfegruppe oder einem Therapeuten suchen.

„Migränepatienten sollten unbedingt selbst kochen!“


Dr. med. habil. Konrad Taubert ist Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin mit Schwerpunkt nichtme­di-kamentöser Schmerz­therapie bei Migräne.

Welche Rolle spielen Lebensmittel beim Auslösen der Migräne?

Studien belegen, dass bei zwanzig Prozent der Migränepatienten Lebensmittelunverträglichkeiten vorliegen. Bei Hinweisen führe ich entsprechende Tests durch. Zurzeit spielt eine Unverträglichkeit von Histamin die größte Rolle: Das ist ein körpereigener Stoff, der bei vielen Migränepatienten im Übermaß vorhanden ist. Histamin ist in verarbeiteten Nahrungsmitteln zu finden, zum Beispiel in Salami, Schinken, altem Käse, Dosenfisch, aber auch in Sauerkraut, was ja sonst sehr gesund ist.

Sie zitieren den Schweizer Arzt Naegeli, der Migränepatienten schon vor hundert Jahren die Rückkehr zur „rauen Kost“, zur naturbelassenen Alltagskost der Bauern, empfohlen hat. Gilt das heute für den Griff zu Bio-Produkten?

Die Wahl von möglichst naturbelassenen Nahrungsmitteln ist auf jeden Fall zu empfehlen. Fast Food und der schnelle Bissen zwischendurch ist bei Migräne das Schlimmste, was man machen kann. Je künstlicher die Ernährung ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Anfall ausgelöst wird. Weil der Anteil von Ersatzmitteln, Farbstoffen und künstlichen Geschmacksstoffen immer größer wird und mit ihnen das Histamin erhöht wird. Migränepatienten sollten unbedingt selbst kochen.

Sie weisen darauf hin, dass viele Migränepatienten nicht um Nahrungsergänzungsmittel herumkommen.

Studien belegen, dass in Gehirnen von Migränepatienten dreißig Prozent weniger Magnesium gemessen wird. Magnesiummangel bewirkt, dass sich die Gefäße verengen, die Muskeln und die Psyche sich verkrampfen. Bei Migränepatienten reicht es oftmals nicht, sich mit Vollkorn- oder Sojaprodukten magnesiumreich zu ernähren. Deshalb ist zu empfehlen, dass sie täglich zwei Mal 300 mg Magnesiumzitrat einnehmen.

Beim Fasten gehen die Meinungen auseinander. Was raten Sie?

Wenn man fastet, kann man anfangs Migräne bekommen. Aber es gibt Untersuchungen, die gute Ergebnisse für Migränepatienten dokumentieren. Manchmal folgt darauf ein Vierteljahr, das absolut beschwerdefrei ist. Wir kennen die Gründe dafür nicht. Eine Fastenkur sollte man immer unter ärztlicher Anleitung durchführen. Es gibt auch Untersuchungen dazu, dass akut die Umstellung auf vegetarische Kost hilft, die Anzahl der Anfälle deutlich zu senken. Aber auf die Dauer gibt es dafür keine Garantie.

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