Leben

Die Mistel

Es wäre vermessen, die Mistel als Schmarotzer, als Parasit zu bezeichnen. Sie ist lediglich ein Halbparasit, ein so genannter Satrophyt - sie entzieht ihrem Wirt, dem Baum nur Wasser und Nährsalze, aber ihre Photosynthese bewerkstelligt sie allein.

Viscum album L.

Albranken, Donnerbesen, Drudenfuß, Heiligkreuzholz, Heil aller Schäden, Hexenbesen, Kenster, Nistel

Es wäre vermessen, die Mistel als Schmarotzer, als Parasit zu bezeichnen. Sie ist lediglich ein Halbparasit, ein so genannter Satrophyt - sie entzieht ihrem Wirt, dem Baum nur Wasser und Nährsalze, aber ihre Photosynthese bewerkstelligt sie allein. Bevorzugt befällt sie Pappeln, Apfelbäume und Tannen. Die strauchartige immergrüne Mistel kann bis zu einem Meter Durchmesser und eine Höhe von immerhin einem knappen halben Meter erreichen. Charakteristisch sind der kugelförmige Wuchs des Strauches - der an ein überdimensionales Vogelnest erinnert - und der gabelige Bau des Spross-Systems.

Die Bezeichnung "Mistel" kommt übrigens aus dem Altgermanischen, wobei hier das Wort "Mist" im Sinne von "körperverlassenden Stoffwechselprodukten" von Lebewesen durchaus namensbildend war. Für ihre Verbreitung ist die Pflanze nämlich auf ganz bestimmte Vogelarten (Amsel, Misteldrossel, Mönchsgrasmücke und Seidenschwanz) angewiesen. Haben sie im futterarmen Winter die Beeren erst verkonsumiert, sorgt der zähe Beerenschleim dafür, dass die Keimlinge, vom Schnabel des Vogels abgestreift oder mit dem Kot (also Mist!) ausgeschieden, an Ästen und Zweigen des Nährbaums angeheftet werden. Im April bilden die an den Zweigen festgeklebten Samen eine Haftscheibe, aus denen der "Senker" (Saugorgan) hervorgeht. Nachdem er die Rinde durchwachsen und das Innere des Wirts erreicht hat, stoppt sein Wuchs, die Pflanze lässt ihn passiv einwachsen. Erst nach zwei Jahren bilden sich die ersten Blätter, ab dem dritten Jahr kommt es zur typischen Gabelung, die Blüte setzt nicht vor dem fünften Jahr ein.

Weshalb die Mistel ausgerechnet auf Bäumen und nicht in der Erde gedeiht, wussten die alten Germanen: Freyja, die Göttin der Liebe und Fruchtbarkeit verlor ihren Sohn Baldr durch einen Pfeil aus Mistelholz, worauf Freyja den Strauch verfluchte. An keinem Ort der Welt sollte er mehr wurzeln dürfen. Die hohen Bäume aber überhörten den Fluch der Göttin und gewährtem dem Samen Obdach.

Außer in Europa findet sich die Mistel vor allem in Afrika und Asien. Weltweit gibt es über Tausend Pflanzenarten, die als Misteln bezeichnet werden. Einigen werden psychoaktive oder halluzinogene Eigenschaften nachgesagt, sie werden und wurden unter anderem im Voodoo-Kult angewendet, oder beispielsweise in Australien als Rauschmittel geraucht.

Die abendländische Naturheilkunde nutzt nur die auf Laubholz wachsenden weißbeerigen Arten. Die Blätter und zarten Ästchen wurden vor der Fruchtbildung im Herbst gesammelt, in der Sonne oder im Backofen bei mäßiger Wärme getrocknet und dann in einem Leinensäckchen verwahrt.

An Inhaltsstoffen wären Viscotoxine, Alkaloide (über halluzinogene Eigenschaften der einheimischen Mistel ist nichts bekannt), Cholin, Aminosäuren, Lektine und Zucker nennenswert. Misteltee wird zur Blutdruckregulierung empfohlen. Er soll weiterhin die Drüsen stimulieren, den Hormonhaushalt in Ordnung bringen, Stoffwechselstörungen beseitigen, desgleichen die Beschwerden der Wechseljahre lindern. In der ganzheitlichen Medizin werden Mistelpräperate in Form von Spritzen in der Neural- und Segmenttherapie eingesetzt, zum Beispiel bei Kniegelenksarthrosen. In den letzten Jahren mehren sich die Studien, die eine antikarzinogene Wirkung beobachten. Sogar die Schulmedizin nutzt die Mistel mittlerweile für die Nachbehandlung Krebsoperierter.

Schon früher wurden der Mistel vielfältige Heilwirkungen zugesprochen, wobei die Phantasie allerdings genau so heftig rankte wie die Pflanze. So sollten um den Hals gehängte Zweige Gespenster vertreiben, in die Hand genommen sollen sie Nasenbluten stillen. Beeren in Silber gefasst und um den Hals getragen sollen ein sicheres Mittel wider den bösen Hexen darstellen. Mistelrinde in Milch soll Spulwürmer in neun Stunden töten. Kräutervater Bock gab ihr deswegen wohl auch den lateinischen Namen "omnia sanatem", zu Deutsch: "Heil aller Schäden". Albertus Magnus empfiehlt gar Pulver von Eichenmisteln in Bier, morgens und abends genossen, als sicheres Mittel gegen die Pestilenz, dabei wusste er sicherlich, dass es sich bei den Misteln der Eichen um ganz besondere Arten handelt, stellten sie doch bei den Druiden ein Heiligtum dar, das man mit einer goldenen Sichel erntete und dem zwei weiße Stiere geopfert wurden. Auch in Hexensalben und/oder zu Orakelräucherungen wurden Misteln verwendet.

Noch heute kursieren seltsame Geschichten um die Mistel. Dass sie gegen Erd- oder radioaktive Strahlung schützt, wurde noch nicht bewiesen, doch der Glaube soll ja wohl Berge versetzen können. Des Weiteren, so wollen es die Überlieferungen, sollte bei Spaziergängen in der Natur auf Weißdorn- oder Haselsträucher geachtet werden, die eventuell von der Mistel befallen sind. Eine Mistel im Geäst eines solchen Strauches verrät einen Schatz unter dessen Wurzeln.

In einigen Gegenden Deutschlands hingegen gilt die Mistel jedoch als unheilvolles Gewächs. Dort wird sie auch "Drudenfuß" genannt, oder aber es heißt, dass dort, wo die Mistel gedeiht, der "Nachtmahr" sich zum Ausruhen niedergelassen hätte. Anders in England. Hier wird speziell zur Weihnachtszeit die Mistel verehrt, sie verziert die Türrahmen. "On Christmas Day" darf jede Frau geküsst werden, die unter einem Mistelzweig angetroffen wird.

Für private Zwecke dürfen die wild wachsenden Misteln übrigens "beerntet" werden, nur die kommerzielle Nutzung ist reglementiert. Doch apropos "Sammeln". Das ist einfacher gesagt, als getan; Misteln halten sich mit Vorliebe in schwindelnder Höhe der Baumkronen auf, so dass das Risiko beim Klettern schmerzhaft abzustürzen recht hoch ist. Kletterunbegabten sei daher der Gang zum Wochenmarkt angeraten.

Heide Haßkerl

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