- Schenken: Beziehungsarbeit im Kleinen
- Wenn das Schenken doch nur leichter wäre! Kann man schenken lernen?
- Wie eine Theorie beim Schenken hilft: Der sichere Bindungsstil
- Der unsichere Bindungsstil und das Schenken
- Der Moment des Auspackens: Ganz schön aufregend!
- Sicher oder unsicher gebunden? Wie die frühe Kindheit prägt
- Interview mit der Psychologin Elfriede Dinkel-Pfrommer: Wie man passende Geschenke findet
- Interessierte Gespräche über irritierende Geschenke
- Alles darf, nichts muss
- Buchtipp: Bindung, Regulation und Resilienz
Schenken: Beziehungsarbeit im Kleinen
Glaubt man den schillernden Versprechen der Werbewelt, ist der Austausch von Gaben reine Freude. Geschenke werden gehandelt und sind die Trophäen einer aufregenden Jagd durch Innenstädte und das Internet. Der Lohn dieser Jagd ist Liebe, Glück und Glanz in aller Augen. – So die Mär. Man wäre mit weniger zufrieden, zum Beispiel wäre weniger Stress beim Schenken schön. Tatsächlich gibt es beneidenswerte Mitmenschen, die die Vorweihnachtszeit bei Gebäck und Glühwein genießen, weil sie schon das ganze Jahr über wahnsinnig aufmerksam ihre Augen und Ohren offen gehalten haben. Sie dürfen sich entspannt zurücklehnen. Die anderen würden gerne dasselbe tun, doch es rennt ihnen die Zeit davon, und sie hinterher, weil die Weihnachtstage näher rücken und es bald wieder ansteht: Das Schenken, diese Beziehungsarbeit im Kleinen, mit der man den Lieben zeigt, wie sehr man sie mag.
Wenn das Schenken doch nur leichter wäre! Kann man schenken lernen?
Wenn das Schenken doch nur einfacher wäre! Der viel zitierte Spruch, man könne Wünsche von den Augen ablesen, scheint nicht für alle zu gelten, sondern nur für ein paar Glückliche, die über einen siebten Sinn verfügen, der ihnen stets mitteilt, womit sie anderen eine Freude machen könnten. Andere fühlen sich beim Schenken unbehaglich, oft sogar dann, wenn sie selbst etwas geschenkt bekommen. Warum ist das so? Warum fällt es manchen leicht und anderen schwer? Und kann man Schenken lernen?
Wie eine Theorie beim Schenken hilft: Der sichere Bindungsstil
So banal ist Schenken nicht. Geben und Nehmen in Beziehungen hat mit Kontakt, Nähe und der Bindungsfähigkeit zwischen Menschen zu tun. Fällt Schenken schwer, könnte man dort einen Zusammenhang suchen. Der britische Psychoanalytiker John Bowlby (1907–1990) beschreibt in seiner Bindungstheorie verschiedene Bindungsstile, einen sicheren und drei unsichere: den vermeidenden, den ambivalenten und den desorganisierten Stil. In Bowlbys Theorie bildet sich der persönliche Bindungsstil am Anfang des Lebens durch Erfahrungen, die man als Kind mit seinen wichtigsten Bezugspersonen macht, heraus. Wer etwa erlebt, dass Mama und Papa oder andere wichtige Bezugsperson vertrauenswürdig und zuverlässig sind, Nähe, Trost und Schutz geben können, entwickelt einen sogenannt „sicheren“ Bindungsstil und kommt in der Regel als Erwachsener mit Nähe, Bindung, Geben und Nehmen gut zurecht. Wer früh erfahren hat, im Kontakt gesehen, gehört und getröstet zu werden, ist offener für Menschen, geht leicht auf andere zu und kann Nähe zulassen, ohne sich zu verausgaben.
Der unsichere Bindungsstil und das Schenken
Wenn allerdings die Lebensumstände anders sind, wenn das sichere Rundum-Wohlfühlpaket, das kleine Menschen bräuchten, um sich optimal entwickeln zu können, anders geschnürt ist, Kinder zum Beispiel häufig die Erfahrung machen, dass sie ignoriert oder abgewiesen werden. Wenn ihr natürliches Bedürfnis nach Nähe, Trost und Schutz nicht angemessen beantwortet wird, dann stehen die Chancen gut, dass sie einen „unsicheren“ Beziehungsstil entwickeln. Sie lernen, dass sie allein zurechtkommen müssen, machen sich emotional unabhängig und fühlen sich auch als Erwachsene in distanzierteren Beziehungen wohler. Nähe kann ihnen leicht zu viel werden, sogar ein Geschenk eine Bedrohung darstellen: zu intim, zu viel Verpflichtung. Ein Dankessatz wie: „Das wäre doch nicht nötig gewesen!“, ist durchaus ernst gemeint.
»Ein gutes Geschenk nimmt Bezug auf die Interessen des Beschenkten.«
Der Moment des Auspackens: Ganz schön aufregend!
Tatsächlich reagieren viele Menschen ziemlich ambivalent aufs Schenken oder Beschenktwerden. Die Psychologin Elfriede Dinkel-Pfrommer aus Rottenburg erklärt: „Wer schenkt, der zeigt auch immer etwas von sich und geht das Risiko ein, dass das Geschenk nicht ankommt.“ Da könne es helfen, sich klarzumachen, dass es beim Schenken und Beschenktwerden nicht um das perfekte Geschenk geht, sondern um die Geste, die Beziehung, das gemeinsame Lachen beim Auspacken, um den Moment, in dem man spürt: Jemand meint mich. Jemand mag mich. Jemand hat an mich gedacht.
Sicher oder unsicher gebunden? Wie die frühe Kindheit prägt
Sind mit dem Schenken sehr hohe Erwartungen verknüpft, kann es für alle Beteiligten schwierig werden. Denn es gibt sie eben, die mal mehr, mal weniger gelungenen Geschenke. Für „sicher gebundene“ Menschen ist das keine große Sache, wenn ein Geschenk mal nicht ganz passt. Dagegen Menschen mit einem „unsicher-ambivalenten Bindungsstil“ bringt ein unpassendes Geschenk in innere Not. Denn sie fürchten ohnehin, die Menschen, die sie lieben, zu enttäuschen.
Menschen mit „unsicher-ambivalentem“ Bindungsstil haben laut Bowlby als Kind die Erfahrung gemacht, dass Mama, Papa oder andere Bezugspersonen unzuverlässig sind. Mal sind sie da, mal sind sie weg. Unter diesen Vorzeichen aufzuwachsen, legt den Samen dafür, dass ein Kind schwankt zwischen der Sehnsucht nach Nähe und der Angst vor Zurückweisung. Es wünscht sich Verbindung und zweifelt zugleich: Bin ich gut genug? Oder enttäusche ich? Da dieser Zweifel sich nicht so einfach ablegen lässt, tendieren „unsicher-ambivalent“ gebundene Menschen zu übergroßen Geschenken, um ja nicht zu enttäuschen. Sie stehen unter Druck, etwas Besonderes schenken zu wollen, um zu zeigen, wie wichtig jemand ist. Für sie kann es sehr heilsam sein, mit zuverlässigen, zugewandten Menschen zusammen zu sein und zu erleben, dass Höchstleistungen etwa in Form riesiger Geschenke nicht nötig sind. Dann kann innere Sicherheit und Vertrauen wachsen. – Wie man entspannt ein passendes Geschenk finden kann, erklärt die Psychologin Dinkel-Pfrommer im Interview.
Interview mit der Psychologin Elfriede Dinkel-Pfrommer: Wie man passende Geschenke findet
Wie bist du denn auf dieses Geschenk gekommen?
Elfriede Dinkel-Pfrommer.
Psychologin und körperorientierte Traumatherapeutin
Warum ist Beschenktwerden so schwierig?
Es muss nicht schwierig sein, es kommt immer darauf an, welche Erfahrungen wir gemacht haben. In meiner Kindheit zum Beispiel war die soziale Erwartung, dass man sich bedankt und zeigt, dass man sich freut, ganz egal ob man sich freut oder nicht. Man sollte nett und angepasst sein. Solche Erfahrungen können dazu führen, dass man mit Vorbehalt Geschenke entgegennimmt und sich dabei fragt: Was wird jetzt von mir erwartet? Dann ist man nicht mehr im Kontakt. Weder mit sich selbst, noch mit dem anderen.
Wie könnte man auf ein Geschenk reagieren, das einen nicht freut?
Man könnte würdigen, dass sich jemand Gedanken gemacht hat und eine Idee hatte und dann fragen: Wie bist du denn auf dieses Geschenk gekommen?
Und warum ist Schenken so schwer?
Es ist schwer, solange wir uns Druck machen. Wenn wir uns entspannen und eine empathische Haltung einnehmen, ist es viel leichter, Ideen für passende Geschenke einzufangen.
Wie gelingt es, ganz entspannt Geschenkideen zu bekommen?
Zunächst sollen wir bewusst unseren Körperspürsinn anknipsen, dann entspannen wir uns ganz automatisch. Orientiere dich im Hier und Jetzt, schau dich langsam im Raum um, in dem du dich gerade befindest und nimm dir wirklich Zeit, deinen Körper zu spüren. Dann denke an schöne, gemeinsame Momente, die du mit der Person erlebt hast, die du beschenken möchtest. Diese Momente sind die Verbindung zwischen euch. Docke dich daran an. Bestimmt fällt dir dann etwas ein.
Interessierte Gespräche über irritierende Geschenke
Doch was tun, wenn man ein großzügiges Geschenk erhalten hat, das einem gar nicht gefällt? Man will den Schenkenden ja nicht vor den Kopf stoßen oder undankbar erscheinen. Auch Beschenktwerden ist Beziehungsarbeit. Wenn beim Auspacken etwa ein teures Hutschenreuther Teeservice zum Vorschein kommt – eine Überraschung, die nicht nötig gewesen wäre –, wie reagieren? Kommunikationsprofis würden dazu sagen: Es zählt die Geste! Hier wollte jemand eine Freude machen, aber wusste nicht so recht, wie.
Die Psychologin Dinkel-Pfrommer rät in solchen Situationen neugierig zu bleiben und freundlich nachzufragen: „Wie bist du auf dieses Geschenk gekommen?“ Die Frage könne den Auftakt bilden für ein Gespräch, in dem mehr Beziehung und Kontakt entstehen. Man könne etwa nachfragen, was vor dem biografischen Hintergrund des anderen ein Hutschenreuther Teeservice bedeutet. Das könnte einen interessanten Gesprächsstoff abgeben. Und falls nicht, dann lacht man eben zusammen und findet danach einen Menschen, der sich ganz sicher freut über ein Hutschenreuther Porzellan. Wenn klar ist, dass es sowieso nur um Beziehung geht, dann schadet es nicht, wenn die Geschenke wieder in Umlauf kommen. Irren ist eben menschlich, auch beim Schenken.
»Wer schenkt, zeigt etwas von sich und geht damit ein Risiko ein.«
Alles darf, nichts muss
So schön Schenken sein kann, niemand muss mitmachen. In aller Regel reichen auch kleine, freundliche Gesten, die zeigen, dass wir einander mögen und wertschätzen. Und wenn es doch ein Geschenk sein soll, muss es weder originell noch teuer sein. Es reicht völlig, wenn es ehrlich gemeint ist. Denn letztlich beruht die Magie des Schenkens allein darauf, dass Menschen sich wahrnehmen, jenseits einer irrealen Werbewelt.
»Irren ist menschlich, auch beim Schenken.«
Buchtipp: Bindung, Regulation und Resilienz
Kathy L. Kain & Stephen J. Terrell: Bindung, Regulation und Resilienz. Körperorientierte Therapie des Entwicklungstraumas. Junfermann Verlag, 42 €
Dieses Buch ist ein Augenöffner. Wenn in der Kindheit Sicherheit und Geborgenheit gefehlt haben, hat das Folgen für das weitere Leben und für den Alltag in nahen Beziehungen. Die Autor:innen liefern Hintergrundinformationen wie Entwicklungstraumata entstehen und wie sie sich behandeln lassen. – Für alle, die privat und beruflich mit Menschen zu tun haben.
Kommentare
Registrieren oder einloggen, um zu kommentieren.