Kolumne

Das Brokkoli-Verbot

Was hat Brokkoli eigentlich mit Politik zu tun? In seiner Kolumne findet Fred Grimm einen Zusammenhang zwischen infantilen Grundmustern und der politischen Auseinandersetzung vor der Bundestagswahl.

Unter Eltern, deren Kinder gerade lieber kiloweise Badekugeln essen würden als Brokkoli, kursiert ein Trick, der leider nur sehr begrenzte Zeit funktioniert. Einfach einen Teller mit Brokkoli auf den Tisch stellen, den Kleinen verbieten, davon zu essen und dann immer wieder mal kurz wegsehen. Erstaunlich zu sehen, wie flink das Gemüse plötzlich in Kindermündern verschwinden kann.

Verbote aller Art sind von Kindeszeiten an lustvoll aufgeladen. Denn genau das, was man nicht darf, möchten wir offenbar unbedingt tun. Allein schon, um den blöden Verbietern eins auszuwischen. Es ist erstaunlich, wie sehr sich auch die derzeitige politische Auseinandersetzung auf solche infantilen Grundmuster zurückführen lässt. Wie der Dreijährige, der sich wütend zu Boden wirft, weil er „nie was darf“, schimpfen Wahlkämpfer rechts der Mitte über die grüne „Verbotspartei“, die angeblich alles untersagen will, was angeblich Spaß macht: mit zwei Tonnen schweren Autos mit Tempo 200 über Autobahnen brettern, kopfkissengroße Steaks grillen und mit literweise Bier herunterspülen, Praktikantinnen und Kellnerinnen belästigen, ja, selbst die Eroberung und Einbetonierung der Natur, um überdimensionierte Einfamilienhäuser zu bauen und die Straßen dahin folgerichtig gleich mit, soll unter einer grünen „Gesinnungsdiktatur“ nicht mehr möglich sein. Uns droht der Rückfall in die Barbarei, geprägt von Radfahrwegen, Wohnen zur Miete, selbstbewussten Frauen und, am schlimmsten: Brokkoli.

Die Auseinandersetzung „Freiheit gegen Verbote“ entpuppt sich als Scheinkonflikt.

Fred Grimm

Egal, wie man selbst zu den Grünen steht, das Dauergezeter über sie hat sich so tief ins öffentliche Bewusstsein eingegraben, dass sie laut einer Umfrage inzwischen jeder zweite deutsche Mann tatsächlich für eine „Verbotspartei“ hält. Vor allem die Wähler von FDP und AfD sehen ihre individuelle Freiheit bedroht.

Dabei wäre es durchaus interessant, zu hinterfragen, was wirklich verboten ist in unserem Land. Dass Kinder auf den öffentlichen Flächen spielen, die für das Abstellen immer größerer Autos missbraucht werden, zum Beispiel. Verboten ist es auch, in Dörfern im rheinischen Braunkohlerevier zu wohnen, die für den Tagebau abgerissen werden sollen. Verboten ist ein menschenwürdiges Leben für Millionen alter Menschen, die von ihrer Rente kaum noch leben können. Und letztlich ist auch der Bau eines Eigenheims auf einem schönen Grundstück mit herrlichem Garten allen verboten, die eben nicht mit dem leistungslosen Wohlstand einer reichen Herkunft gesegnet sind, weil Normalverdiener sich ohnehin kein Eigenheim mehr leisten können. Und so entpuppt sich die Auseinandersetzung „Freiheit gegen Verbote“ als Scheinkonflikt, in dem es allein um die Hoheit darüber geht, jene Regeln und Interessen, für die man selber kämpft, „Freiheit“ zu nennen und all das, was diese Macht in Frage stellt, als Verbot zu schmähen.

Fred Grimm

Der Hamburger Fred Grimm schreibt seit 2009 auf der letzten Seite von Schrot&Korn seine Kolumne über gute grüne Vorsätze – und das, was dazwischenkommt. Als Kolumnist sucht er nach dem Schönen im Schlimmen und den besten Wegen hin zu einer besseren Welt. Er freut sich über die rege Resonanz der Leser und darüber, dass er als Stadtmensch auf ein Auto verzichten kann.

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