Wenn man mal so den Kalender durchgeht, steht eigentlich jeder Monat für etwas Bestimmtes. Man schwärmt vom „goldenen Oktober“. Der Februar ist in den meisten Regionen für die Exzesse des Karnevals/Faschings reserviert, der November für Melancholie sowie traurige und glückliche deutsche Tage. Im Dezember stehen die Feiertage an, ab Juni ist Sommer, ab September Ernte, im Januar Winter, früher jedenfalls mal.
Der April? „Kaum ist der April vorbei, kommt auch schon der 1. Mai“, heißt es. Ein unspektakulärer Zwischenschritt auf dem Weg zum „Wonnemonat“, ein bisschen unzuverlässig („Aprilwetter“) und auf ewig mit den Aprilscherzen verbunden, die schon vor fünfzig Jahren nur selten wirklich lustig waren. Der April ist weder magisch aufgeladen, noch knüpfen sich besondere Sehnsüchte an ihn, dazu ist er einfach zu unberechenbar.
Wenn man mal durch die Wetterstatistiken der vergangenen Jahre blättert, sieht man, dass im April eigentlich immer alles möglich war. Ab und an beschenkt uns der Monat mit ein paar hochsommerlichen Tagen. Es gibt kaum etwas Besseres im Jahr als die ersten Stunden im T-Shirt: Das erste Herumdösen in bitzelnder Sonne, ein kleines Vorabgeschenk nach einem langen, grauen Winter. Ein Gefühl irgendwie unverdienter, plötzlicher Freiheit, so wie früher in der Schule, wenn die letzten beiden Stunden ausfielen, weil der Lehrer krank nach Hause musste. Schneeliebhaber durften sich dafür auch schon über einen späten Wintereinbruch freuen, für den man gern noch einmal die Schlitten herausholt und die viel zu selten getragenen dicken Daunenjacken – ein nachgereichtes Geschenk sozusagen.
Wer den April zu lieben lernt, lernt sich in der Vielfalt einzurichten.
Eine Gabe bleibt der Monat in jedem Fall, denn im April zeigt sich der Reichtum der Welt. Für mich ist das weniger ein Monat des Übergangs, den man gerne hinter sich lässt, als einer der vielfältigen Möglichkeiten. Im Prinzip erleben wir im April das ganze Jahr, komprimiert auf wenige Wochen. Die Natur, eben noch im scheinbaren Tiefschlaf, zeigt sich plötzlich wie entfesselt und malt die grünen Tupfer in unsere Tage, die man eigentlich erst im Mai erwartet. Wer den April zu lieben lernt, lernt sich in der Vielfalt einzurichten. Dass er „macht, was er will“, ist ja gerade das Schöne, denn es bildet zugleich die Vielfalt des Menschlichen ab. Ähnlich wie beim April sind im Menschen sämtliche Möglichkeiten angelegt, sämtliche Formen, Farben, Stimmungen.
Für die faszinierende Vorstellung, dass jeder von uns die Welt mit ganz eigenen Augen sieht und erlebt und wir es eigentlich nicht mit einer, sondern über sieben Milliarden Welten zu tun haben, bildet der April den idealen Rahmen. In ihm spiegelt sich die Großartigkeit des Menschen. Dessen Verschiedenheit ist ein Geschenk an uns alle – ebenso wie der letzte Schnee und die ersten warmen Tage.
Fred Grimm
Der Hamburger Fred Grimm schreibt seit 2009 auf der letzten Seite von Schrot&Korn seine Kolumne über gute grüne Vorsätze – und das, was dazwischenkommt. Als Kolumnist sucht er nach dem Schönen im Schlimmen und den besten Wegen hin zu einer besseren Welt. Er freut sich über die rege Resonanz der Leser und darüber, dass er als Stadtmensch auf ein Auto verzichten kann.
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