Kolumne

Leben mit dem Alltagsunterschied

Muss es Ende Januar im Schlafzimmer wirklich 25 Grad warm sein? Ab wann tötet unnötiger Verpackungsmüll die Leidenschaft? Unser Kolumnist Fred Grimm hat über den Alltagsunterschied in Liebesbeziehungen nachgedacht.

Ich habe leider ziemlich schlechte Augen. Dafür funktioniert mein Gehör so gut, dass ich ungewollt Gespräche mitbekomme, die mich eigentlich nichts angehen. In der Regel gehört nicht viel dazu, vor allem in Cafés oder der Bahn reden manche derart laut, dass man versucht ist, das Gesagte zu kommentieren. Insbesondere, wenn sich die Gesprächspartner am anderen Ende einer Handyverbindung befinden und den übermittelten Informationen ein wenig mehr Diskretion guttun würde („Ich habe schwarz gekotzt, so etwas hast Du noch nicht gesehen!“). Aber alles ist verziehen, seit mich ein Dialog zwischen zwei jungen Frauen mit einem neuen Wort beglückte. Die beiden sprachen in der Warteschlange eines Cafés über die neue Liebe einer gemeinsamen Freundin, die sie beide nicht recht überzeugte. Vor allem der „Altersunterschied“ war es, der sie störte.

Verstanden hatte ich allerdings „Alltagsunterschied“ und freute mich über eine völlig neue Kategorie zur Beurteilung von Liebesbeziehungen. Denn tatsächlich scheitern viele Romanzen an der brutalen Wirklichkeit des täglichen Miteinanders. Oft geht es dabei genau um die Fragen, die ökologisch bewussten Menschen nun einmal besonders wichtig sind: Muss es Ende Januar im Schlafzimmer wirklich 25 Grad warm sein? Ab wann tötet unnötiger Verpackungsmüll die Leidenschaft? Ist es „eklig“ aus Essensresten etwas Neues zu zaubern? Braucht man eigentlich 27 verschiedene Putzmittel oder reichen zwei, um die Wohnung sauber zu halten? Und so weiter und so fort – viele Leserinnen und Leser werden wissen, was ich meine, vor allem nach unserer Titelgeschichte im Augustheft „Wie öko muss mein Partner sein?“.

„Oft geht es um Fragen wie: Braucht es 27 verschiedene Putzmittel?“

Fred Grimm

Ungerechterweise eilt jenen, die sich Gedanken über bewusste Ernährung und Konsum sowie eine möglichst klimafreundliche Lebensweise machen, der Ruf voraus, sie wollten ihre Nächsten und die nicht ganz so nahen Menschen am liebsten umerziehen. Dabei gibt es kaum etwas Zärtlicheres in der Haltung zur Welt als das Bemühen, ihr so wenig zu schaden wie nur möglich.

Wer die ganz banalen Herausforderungen des Alltags unter der Lupe der Behutsamkeit betrachtet und versucht, danach zu handeln, taugt auch sonst zur Empathie. Ein gemeinsamer Alltag, der die Gaben der Natur achtet, sich auf die Momente des Glücks konzentriert, die man nun mal nicht kaufen kann, und in dem man an- und miteinander wächst, dürfte über kurz oder lang frühere „Alltagsunterschiede“ verwischen.

Ich habe jedenfalls noch niemanden kennen gelernt, die oder der zum Beispiel darunter leidet, auf einmal gesünder zu essen, weil die neue Liebe einfach nicht so auf das tägliche Schnitzel steht. Und ähnlich wie beim „Altersunterschied“, bei dem fünf Jahre im Teenageralter eine Welt ausmachen, schleifen sich die Differenzen in der gemeinsamen Bewältigung des Alltags im Alter ohnehin ab – wenn man erst mal das Glück gefunden hat. Hörte ich jedenfalls.

Fred Grimm

Der Hamburger Fred Grimm schreibt seit 2009 auf der letzten Seite von Schrot&Korn seine Kolumne über die Wege und Umwege hin zu einer besseren Welt. Er freut sich über die rege Resonanz der Leserinnen und Leser und darüber, dass er als Stadtmensch auf ein Auto verzichten kann.

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Andrea Tripmacker

Herrlich erfrischend und voll aus dem Leben. Was Hörfehler doch bewirken können. 

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