Leben

Pollen: Mehr Allergien und Heuschnupfen durch Klimawandel

Mit dem Klima verändert sich auch der Pollenflug – zum Leidwesen von Allergiegeplagten. Höchste Zeit für geeignete Strategien.

Sie werden mehr, aggressiver und sorgen für Stress über einen immer längeren Zeitraum hinweg: Die Rede ist von Pollen, also dem Blütenstaub von Bäumen, Sträuchern, Gräsern und Kräutern. Nasen laufen, Augen tränen, Niesattacken – die klassischen Symptome einer Pollenallergie machten Betroffenen früher vor allem im Frühjahr und Sommer zu schaffen. Etwa ab August konnte wieder frei durchgeatmet werden. Doch die Klimakrise hat diese Gesetzmäßigkeit außer Kraft gesetzt.

„Bei fast allen Pollen sehen wir momentan eine Verschiebung auf früher in der Saison“

Jeroen Buters von Helmholtz Munich

Immer häufiger fliegen die ersten Hasel- und Erlenpollen bereits im Dezember oder Januar. Wenig später folgen Birkenpollen und spätestens im April blühen erste Gräser. „Bei fast allen Pollen sehen wir momentan eine Verschiebung auf früher in der Saison“, sagt der Pollen-Experte und Toxikologe Jeroen Buters von Helmholtz Munich und der Technischen Universität München.
Im Spätjahr dann verlängert sich die Heuschnupfensaison durch eingeschleppte Arten. Ein prominenter Vertreter dieser Neophyten ist das hochallergene Traubenkraut oder Ambrosia. Ursprünglich nur in Nordamerika beheimatet, blüht Ambrosia länger als heimische Arten – und lässt die pollenfreie Zeit weiter schrumpfen. Dazu kommen andere allergene Arten wie die Olive. Sie war bisher einer der Hauptallergieauslöser in Südeuropa, steht aber mittlerweile hierzulande in immer mehr Gärten.

Hitzeresistente Gräser breiten sich aus

Mit der interaktiven Karte www.klimapollen.de haben Forscherinnen und Forscher von Helmholtz Munich Prognosen für die Pollenbelastung durch Birke und Gräser in Bayern bis 2085 modelliert. Demnach wird die Birkenpollenbelastung abnehmen und die Birke bei weiter steigenden Temperaturen mittelfristig nur noch in höher gelegenen, kühleren Gebieten zu finden sein. Gleichzeitig dürften sich jedoch vermehrt hitzeresistente Gräser in Deutschland ausbreiten.

Das Risiko, eine Allergie zu entwickeln wächst

Auch wer bislang nie ein Problem mit Pollen hatte, ist nicht vor einer Allergie gefeit. Selbst im Erwachsenenalter kann sich eine Allergie entwickeln. Und das Risiko, dass dies geschieht, wächst. Die Europäische Akademie für Allergie und Klinische Immunologie schätzt, dass bis 2050 rund jeder zweite Mensch in Deutschland an einer Allergie leiden wird. „Allergien nehmen aus vielfältigen Gründen zu – der Klimawandel ist ein entscheidender Faktor. Hinzu kommen Dinge wie Lebensstil, Ernährung und auch der Wegfall von schützenden Umweltfaktoren wie der Artenvielfalt“, sagt die Allergologin Claudia Traidl-Hoffmann.

Allergien: Unterschätzte Volkskrankheit

Laut Robert-Koch-Institut (RKI) sind rund 20 bis 30 Millionen Menschen in Deutschland von Allergien betroffen. Am weitesten verbreitet ist der Heuschnupfen (Pollenallergie). Unter ihr litten nach RKI-Angaben 2019 knapp 15 Prozent der Erwachsenen. Bei den Betroffenen nimmt das Immunsystem eigentlich harmlose körperfremde Partikel aus der Umwelt (Allergene) als Bedrohung wahr und reagiert mit Abwehrmechanismen, etwa anschwellenden Nasenschleimhäuten.

Die Vorstufe einer Allergie ist die Sensibilisierung: Bei manchen Menschen, die wiederholt Allergene eingeatmet haben oder Hautkontakt mit ihnen hatten, schafft das Immunsystem die Voraussetzungen für eine Abwehrreaktion. Kommt es erneut zum Kontakt, „erinnert“ sich der Körper an die vermeintliche Bedrohung. Er kann dann auf Abwehr schalten, also allergisch reagieren. Das kann dauern: Zwischen Sensibilisierung und dem Auftreten allergischer Symptome können Jahre liegen.

Pollen werden allergener: Klimastress ist eine Ursache

Sorge bereitet Fachleuten auch, dass Pflanzen mehr Pollen als früher freisetzen und diese eine höhere Allergenität aufweisen. Ein Grund dafür ist offenbar die gestiegene CO2-Konzentration. „Kohlendioxid ist ein Wachstumsfaktor für Pflanzen“, sagt Traidl-Hoffmann. Konsequenz: Die Pflanzen werden größer und blühen intensiver. Klimastress, ausgelöst zum Beispiel durch lange Trockenperioden, führt laut der Umweltmedizinerin außerdem dazu, dass Pflanzen ihren Stoffwechsel anpassen und ihre Pollen mehr von den Eiweißen enthalten, die allergische Entzündungsreaktionen auslösen.

Besonders in Großstädten kommt dazu die Belastung durch Feinstaub und andere Umweltschadstoffe, die an den Pollen andocken und ihre allergieauslösende Wirkung verstärken. „Die Proteine in den Pollen können unter anderem die Schutzbarriere der Haut angreifen. Neue Daten zeigen, dass Pollen in besonders hoher Konzentration sogar die Schleimhäute lähmen können, sodass diese nicht mehr in der Lage sind, Viren abzuwehren“, so Claudia Traidl-Hoffmann.

Pollenallergie: Was können Betroffene tun?

Eine symptomatische Behandlung der Pollenallergie kann auf schulmedizinischem Weg zum Beispiel mit Antihistaminika oder Kortison erfolgen. Allerdings werden damit nur akute Beschwerden gelindert. Naturheilkundliche Verfahren wie Akupunktur und Eigenbluttherapie nehmen eine ganzheitlichere Sicht ein.

Für Claudia Traidl-Hoffmann ebenso wie für ihren Kollegen Jeroen Buters besteht der „eleganteste“ Weg, um eine Allergie loszuwerden, in einer Hyposensibilisierung. Bei dieser Langzeittherapie bekommen Betroffene in der Regel über drei Jahre hinweg sehr geringe Dosen des Allergens gespritzt oder in Tablettenform, um einen Gewöhnungseffekt zu erzielen.

Ebenso schlicht wie wirksam ist ein weiterer Rat der Umweltmedizinerin: „Sowohl Allergikerinnen und Allergikern als auch Nicht-Betroffenen rate ich, bei extremem Pollenflug drin zu bleiben. Im Freien hilft eine FFP2-Maske, wenn die Pollenbelastung sehr stark ist.“ Diese Vermeidungsstrategie setzt jedoch voraus, dass die Betroffenen genau wissen, wann die Pollen fliegen, die sie krank machen. Und das ist nicht so einfach.

Pollenkalender helfen nicht

Durch den Klimawandel ist der althergebrachte Pollenkalender nicht mehr aussagekräftig. Und auch die meisten Apps liefern keine zufriedenstellenden Ergebnisse. Wer mit Allergiegeplagten spricht, hört oft: „Die Angaben in der App passen nicht zu meinen Symptomen.“ Für Jeroen Buters ist das nicht überraschend. „Pollen-Apps benutzen keine aktuellen Daten, sie geben also nicht an, wie viele Pollen tatsächlich in der Luft sind. Sondern sie ermitteln aus historischen Daten, wie viele Pollen an einem bestimmten Tag fliegen sollten.“ Exakt Auskunft geben können automatische Pollenmonitoring-Systeme.

Künstliche Intelligenz soll Allergikern helfen

Dabei misst und analysiert eine Künstliche Intelligenz, wie viel und welcher Blütenstaub gerade in der Luft ist. Während bei manuellen Pollenfallen die „Ausbeute“ händisch unter dem Mikroskop analysiert werden muss, steht bei den elektronischen Fallen das Ergebnis fast unmittelbar zur Verfügung. Allerdings sind diese Pollenfallen noch nicht flächendeckend im Einsatz. Eine Vorreiterrolle nimmt Bayern ein. Das Bundesland hat 2017 begonnen, ein elektronisches Polleninformationsnetzwerk (ePIN) mit acht Pollenmonitoren zu etablieren. Mit der Plattform pollenscience.eu will Jeroen Buters den Ansatz dieses elektronischen Pollen-Services ausbauen. Hier fließen unter anderem Werte aus Leipzig, Paris, Luxemburg, Cordoba und von der Zugspitze ein – und der Forscher hofft auf weitere Daten, damit möglichst bald Betroffene in ganz Europa von einer verbesserten Pollenflugauskunft und damit von mehr Lebensqualität profitieren.

Prof. Claudia Traidl-Hoffmann warnt vor einem Allergie-Tsunami

„Wir brauchen einen nationalen Aktionsplan Allergie“

Prof. Claudia Traidl-Hoffmann ist Direktorin der Umweltmedizin am Universitätsklinikum Augsburg und dem Helmholtz Zentrum München sowie stellvertretende Direktorin des Zentrums für Klimaresilienz der Universität Augsburg.

Werden nur Pollenallergien häufiger?
Es werden auch andere Allergien stärker, insbesondere Nahrungsmittelallergien. Und es treten neue Allergien auf. Eine davon ist die Fleischallergie, auf Englisch red meat allergy, die durch einen Zeckenbiss entsteht. Hier spielt der Klimawandel eine Rolle, weil Zecken sich mit steigenden Temperaturen immer mehr ausbreiten.

Kann man einer Allergie vorbeugen, indem man sich Pollen gezielt aussetzt?
Pollen verursachen nicht umsonst Allergien, sie sind extrem aggressiv. Sich ihnen gezielt auszusetzen, ist daher kontraproduktiv. Wichtig um vorzubeugen ist, dass man die Gesundheit stärkt, also viel Sport treibt und sich gesund ernährt: pflanzendominiert, faserreich und vollkornbasiert. Und wir wissen, dass vielfältige Ernährung in den ersten zwei Lebensjahren vor Allergien und Asthma schützt.

Sie warnen vor einem Allergie-Tsunami, der auf das Gesundheitswesen zurollt. Wie können wir den verhindern?
Allergien sind schon jetzt die häufigste Erkrankung in Deutschland und Europa, das wird aber von der Politik völlig missachtet. Es müsste endlich ein nationaler Aktionsplan Allergie ausgerufen werden. Es gibt viele Maßnahmen, um Allergien vorzubeugen – die Erkenntnisse kann man bei U-Untersuchungen von Kindern einbeziehen. Vielfältige Ernährung ist eine davon. Außerdem müssen wir Neurodermitis nachhaltiger behandeln, weil sie ein Einfallstor für Allergien ist.

Sie unterstützen den „Health in all policies“-Ansatz der WHO. Was ist das?
Gesundheit sollte in allen Politikbereichen mitgedacht werden. Zum Beispiel Städteplanung: Mehr Bäume in die Innenstädte zu pflanzen ist gut, aber nicht unbedingt Birken, gegen die viele allergisch sind. Hier ist es sinnvoll, Umweltmediziner ins Team zu holen.

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