Essen

Zerstört Essen unsere Zukunft?

ERNÄHRUNG 10 Milliarden Menschen satt bekommen, die Klimakrise abwenden und das Artensterben stoppen. Wie können diese Herausforderungen gemeistert werden?

ERNÄHRUNG 10 Milliarden Menschen satt bekommen, die Klimakrise abwenden und das Artensterben stoppen. Wie können diese Herausforderungen gemeistert werden? Jessica Jungbauer

Unsere Ernährung macht der Welt Probleme. Denn die Art und Weise, wie wir aktuell Landwirtschaft betreiben, ist weder nachhaltig für kommende Generationen noch umwelt- oder klimafreundlich. Im Gegenteil: Die industrielle Landwirtschaft, ist eine der Hauptverursacher der beiden drängendsten Probleme unserer Zeit.Laut Weltklimarat (IPCC) ist sie für ein Drittel der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich. Und auch für das als „Zwillingskrise” geltende Aussterben von bis zu einer Million Tieren und Pflanzen gilt die intensive Landwirtschaft als wichtigste Ursache. Durch Massen an mineralischem Dünger ist nicht nur das Grundwasser vielerorts mit Nitrat verseucht, der Grundwasserspiegel sinkt immer weiter und es herrscht Wasserknappheit. Auch die Böden werden immer weiter zerstört. Was also tun? Ließe sich die Welt mit einer umwelt- und klimafreundlichen Landwirtschaft ernähren?


Düstere Aussichten

Dem Weltbiodiversitätsrat (IPBES) zufolge erlebt die Welt aktuell das größte Massensterben der biologischen Vielfalt seit dem Ende der Dinosaurier.


Das höchste Gut unser aller Lebens ist die Bodenfruchtbarkeit. Nur ein lebendiger Boden kann ausreichend Nahrung hervorbringen, Lebensraum für Tiere und Pflanzen sein und Wasser länger speichern. Der ökologische Landbau hat hier viel zu bieten. Er schützt vor Erosion, fördert das Bodenleben und die Humusbildung.

Kritiker sagen jedoch, dass der Bio-Landbau die Welt nicht ernähren kann, da er weniger Ertrag pro Fläche bringt. Das will Dr. Adrian Müller so nicht gelten lassen. Er geht am Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) in der Schweiz deshalb der Frage nach, wie eine nachhaltige Landwirtschaft die Welt ernähren kann – und ist Autor der FiBL-Studie von 2017: Dort wurde im großen Umfang nachgewiesen, dass Bio-Landbau die Welt ernähren kann. Voraussetzung dafür sind aber Veränderungen im Verhalten – vom Konsumverhalten jedes Einzelnen, aber vor allem auch der Politik.

„Wir haben jetzt schon genügend Nahrungsmittel – so viele sogar, dass ein Großteil davon weggeworfen wird. Das gibt Raum für Produktionssysteme mit weniger Ertrag wie Bio-Landbau. Der dafür dann aber auch andere gesellschaftliche Leistungen bereitstellt,” sagt Müller. Deshalb ist seiner Meinung nach nicht die Ertragsdebatte der zentrale Aspekt für nachhaltige Landwirtschaft. Vielmehr müsse man davon wegkommen, Erträge immer als erstes Ziel zu sehen.

Es kommt auch darauf an, was wir essen

Wenn wir eine nachhaltige Landwirtschaft wollen, müssen wir aber nicht nur die Lebensmittelverschwendung beenden, sondern auch unsere Ernährungsweise umstellen. Weniger tierische Produkte, dafür mehr Gemüse, Getreide und Hülsenfrüchte. Dadurch könnte die Zahl der Nutztiere reduziert und die wertvollen Ackerflächen könnten anstatt für Futtermittelanbau für den Anbau von Getreide und Nahrungsmitteln für den Menschen verwendet werden. Nach der sogenannten Oxford-Studie von 2018 hat eine überwiegend pflanzliche Ernährung zudem den größten Einfluss auf die Reduzierung des eigenen ökologischen Fußabdrucks. Denn allein etwa 15 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen werden durch Massentierhaltung verursacht: Angefangen vom Mästen der Tiere mit Kraftfutter aus Mais und Soja, für die riesige Flächen an Ackerfeldern gebraucht werden und somit immer mehr Regenwald abgeholzt wird, bis hin zu den Mengen an Lachgas, die durch die synthetische Stickstoffdüngung entstehen. Dazu kommen das von Kühen ausgestoßene Methangas sowie Umweltschäden durch zu viel Gülle und Pestizide.

Doch es ist wenig realistisch, dass die Welt von heute auf morgen deutlich weniger Fleisch isst und damit auf eine beliebte Proteinquelle verzichtet. Deshalb wird an alternativen Eiweißprodukten geforscht, die dem Fleischgenuss möglichst nahekommen sollen. Der amerikanische Anbieter „Beyond Meat” setzt dabei auf Erbsenprotein. Zusammen mit Häm (aus Hämoglobin der Roten Bete) soll daraus eine Alternative für Fleischfans werden. Tatsächlich hat die pflanzliche Alternative deutlich weniger negative Auswirkungen auf die Umwelt: 90 Prozent weniger CO₂-Emissionen sowie 93 Prozent weniger Ackerfläche und 99 Prozent weniger Wasser. Das hat die Universität Michigan für „Beyond Meat“ berechnet. Auch Insekten enthalten viel Protein. Sie gehören in vielen Kulturen der Welt bereits fest zum Speiseplan. Erforscht wird aktuell, wie man sie als Fett oder Mehl für die Zubereitung von Nahrungsmitteln wie etwa Nudeln oder Riegel verwenden kann.

Feststeht aber auch: Ohne die Politik ist eine zukunftsfähige Landwirtschaft nicht machbar, sie muss die richtigen Signale setzen. Mit 60 Milliarden Euro ist die Agrarwirtschaft der größte Posten des EU-Haushalts. Die EU-Subventionen in der Landwirtschaft werden aktuell zum größten Teil nach Größe der Anbaufläche vergeben – und nicht danach, wer eine umweltfreundliche Landwirtschaft betreibt. „In Zeiten von Klimaschutz und Fridays for Future ist die allerwichtigste Forderung zunächst einmal klimaschädliche Subventionen abzubauen. Das ist ja verrückt, dass es die immer noch gibt,” sagt Dr. Katharina Reuter von UnternehmensGrün e.V., dem Bundesverband der grünen Wirtschaft, in dem sich branchenübergreifend nachhaltige Unternehmen engagieren. Zurzeit herrsche auch ein unfaires Marktfeld, so Reuter. „Bio kostet nur deshalb mehr, weil es für konventionelle Produkte keine wahren Preise gibt. Wer Pestizide einsetzt, muss auch für die Schäden, die dadurch entstehen, aufkommen.“ Gleichzeitig sollten klimafreundliche Maßnahmen wie der CO₂-senkende Humusaufbau im Öko-Landbau finanziell belohnt werden. Reuter und ihr Team sprechen sich darüber hinaus für einen reduzierten Mehrwertsteuersatz für Produkte aus, die aus der Kreislaufwirtschaft wie beispielsweise dem Öko-Landbau stammen.

links: Nachhaltige Landwirtschaft lässt Raum für Vielfalt. rechts. Der große Fleischhunger ist ein Problem – für Umwelt, Klima und Welternährung. © Fotos: 123rf/Günter Menzl; gettyimages/Thierry Roge


Verteilung, Krieg, Verschwendung: Welthunger hat viele Gründe

Bis 2050 wird die Weltbevölkerung von aktuell rund 7,5 Milliarden auf neun bis zehn Milliarden Menschen ansteigen. Und mit ihr die Nachfrage nach Lebensmitteln und insbesondere nach Fleisch. Laut Welternährungsorganisation (FAO) produzieren wir zurzeit weltweit etwa 3000 Kilokalorien pro Kopf und Tag. Das ist rund ein Drittel mehr als das, was ein Mensch am Tag benötigt. Rein rechnerisch wäre im Moment also genug Nahrung da – für 7,5 Milliarden Menschen, aber auch für 10 Milliarden. Dennoch hungern heute mehr als 800 Millionen Menschen. Zugleich gelten etwa zwei Milliarden Menschen als übergewichtig.

„An der ungleichen Verteilung sieht man gut, dass die bloße Kalorienzahl, die weltweit geerntet wird, nur ein Faktor ist. Hunger hat viele Gründe, wie etwa Krieg und Vertreibung, kein Zugang zu Land und Armut”, sagt Dr. Felix Prinz zu Löwenstein, Agrarökonom, Vorstandsvorsitzender des Bundes Ökologischer Landwirtschaft (BÖLW) und selbst Landwirt. „Viele Kalorien landen auch nicht direkt in den Mägen, sondern im Futtertrog, weil wir in der westlichen Welt zu viel Fleisch essen. Sie landen auch im Tank, damit unsere Autos fahren können. Kurz gesagt: Wer Hunger bekämpfen will, muss an vielen Schrauben drehen: der Landwirtschaft, dem eigenen Ernährungsstil, der politischen Stabilität in vielen Ländern, dem Zugang zu Land, Bildung und der Gleichberechtigung von Frau und Mann.“

Die Lebensmittelverschwendung ist auch hier ein großer Hebel. Denn wir leben in einer Welt, in der jährlich 1,3 Milliarden Tonnen Lebensmittel weggeworfen werden – viermal so viel wie für die Bekämpfung des Hungerproblems gebraucht würde.

Kipppunkte

Der Planet hat Grenzen

2009 hat eine Gruppe aus Forschern das Konzept der „planetary boundaries“ (planetare Grenzen) veröffentlicht. Sobald
Werte für verschiedene Umweltfaktoren überschritten werden, kommt das Ökosystem aus dem Gleichgewicht – und niemand kann garantieren, was daraufhin geschieht.

Insgesamt wurden neun Grenzen definiert: Klimawandel, Versauerung der Ozeane, Ozonabbau, Aerosolbelastung, Stoffkreisläufe wie Stickstoffkreislauf, Süßwasserverbrauch, Landnutzungswandel, Biodiversität, chemische Umweltverschmutzung

Bereits heute haben wir vier von neun Belastungsgrenzen überschritten. Dazu gehören der Klimawandel, Stickstoff- und Phosphorkreislauf, Landnutzungswandel und Biodiversität.

Interview

„Berlin will mehr regionales Bio“

Wie kann ein zukunftsfähiges Ernährungssystem aussehen?

Für mich muss ein Ernährungssystem ökologisch sein – und regional verankert. Berlin ist aktuell auf dem Weg dorthin. Es soll künftig ähnlich wie in Kopenhagen mehr regionales Bio in den öffentlichen Kantinen und Verwaltungen geben. Für Brandenburg und die dort wirtschaftenden Erzeuger ist das eine große Chance, denn das Bio-Gemüse, das momentan rund um Berlin angebaut wird, deckt bei Weitem nicht die Nachfrage aus der Stadt.

Wie kann es Bauern einfacher gemacht werden, auf Öko-Landbau umzustellen?

Ein Land, Bundesland oder eine Stadt kann eine Ernährungsstrategie auflegen. Darin enthalten sind ernährungspolitische Ziele, eine Vision und konkrete Maßnahmen mit Ressourcen, also Geld. Als konventioneller Bauer sehe ich so, dass es politisch in die ökologische Richtung geht. Ein Bundesland kann auch Einsicht in die aktuelle Marktentwicklung geben, indem es statistische Öko-Marktdaten erhebt und transparent macht.

Das betrifft die finanzielle Seite, doch wie erkennt ein Bauer, ob bio zu ihm passt?

Ein gutes Instrument, den Bio-Landbau kennenzulernen sind unverbindliche Kennenlerntreffen und -veranstaltungen. Dort können sich Bauern, die umstellen wollen mit denen austauschen, die schon umgestellt haben.

Was muss sich politisch tun?

Hier an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde bilden wir Öko-Bäuerinnen und Bauern von morgen aus. Letztendlich braucht es ein Bildungssystem, das diese Art der Ausbildung fördert. Wenn wir bundesweit ökologischer werden wollen, braucht es eine ökologische Ausbildung auch im Bereich der klassischen landwirtschaftlichen Ausbildung und in den Meisterkursen.

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