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Endet Bio auf dem Schlachthof?

Nicht erst seit den Corona-Infektionen in Schlachthöfen wissen wir, dass billiges Fleisch Leid bedeutet. Doch wo werden eigentlich Bio-Tiere geschlachtet?

Schnitzel, Käsestulle, Eierpfannkuchen: Für diesen Genuss sterben Tiere. Die Frage des Tierwohls diskutieren wir dabei schon (viel zu) lange. Aspekte wie rechtlose Arbeiter und Akkordarbeit rücken erst in letzter Zeit stärker in den Fokus. Es ist klar: Schlachten ist ein Geschäft ...

Einst fand das Schlachten dort statt, wo die Tiere lebten – auf dem Bauernhof. Metzger kauften einige Tiere, um sie zu schlachten und zu verarbeiten. In den Städten entstanden ab 1900 kommunale Schlachthöfe, weil die vielen Hinterhofschlachtereien zunehmend hygienische Probleme verursachten. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelten sich in Deutschland größere Metzgereien oder Viehhändler zu Konzernen, die schlachteten und die Tiere weiter verarbeiteten. Heute schlachten drei dieser Konzerne, Tönnies, Vion und Westfleisch, 58 Prozent aller Schweine und 48 Prozent aller Rinder. Die Top Ten der Konzerne kommen auf einen Marktanteil von mehr als Dreiviertel. Auch bei Geflügel teilt sich eine Handvoll Konzerne den Markt auf.

Diese Konzentration gibt es auch in anderen landwirtschaftlichen Bereichen. Sie ist das Ergebnis klassischen betriebswirtschaftlichen Denkens: Wer größer ist, kann effektiver und billiger produzieren, die Mitbewerber unterbieten und weiter wachsen. Tierwohl und Arbeitsrechte sind dabei in erster Linie Kostenfaktoren. Gemacht wird nur, was gesetzlich vorgeschrieben ist und selbst das nicht immer. Und bei Bio?

2019 wurden in Deutschland laut Statistischem Bundesamt 3,5 Millionen Rinder, 55,1 Millionen Schweine und 620 Millionen Masthähnchen geschlachtet. Zusammen ergab das 8 Millionen Tonnen Fleisch, von denen die Deutschen selbst 5 Millionen verzehrten: pro Kopf 59,5 Kilogramm.

Zum Schlachten zugelassen sind in Deutschland 4817 Betriebe, die meisten davon Metzgereien und Direktvermarkter, die selbst schlachten. Nur 163 Schlachtbetriebe haben mehr als 50 Mitarbeiter.

Nach Angaben der Agrarmarkt Informationsgesellschaft lag der Bio-Mengenanteil für Rindfleisch bei 4,4 und für Schweinefleisch sowie für Fleisch- und Wurstwaren bei 1,6 Prozent. Bio-Geflügel kam auf 1,8 Prozent Mengenanteil. Das meiste verkaufen Supermärkte und Discounter.

Wie schlachtet Bio?

Dass es Bio-Tieren während ihres Lebens besser geht als konventionellen Artgenossen, ist in der Regel unbestritten: Mehr Platz im Stall, Stroh als Einstreu, artgerechtes Bio-Futter und Auslauf an die frische Luft. Doch an das Schlachten der Tiere stellt die EU-Öko-Verordnung keine besonderen Anforderungen. Zwar müssen die Schlachthöfe bio-zertifiziert sein. Doch dabei geht es nur um die getrennte Schlachtung und Verarbeitung der Bio-Tiere. Das Wohl der Tiere und der Schlachtvorgang an sich spielen dabei keine Rolle. „Das Mehr an Tierwohl der Bio-Tiere endet häufig mit dem Schritt auf den Transporter“, schreiben deshalb drei Agrarwissenschaftlerinnen der Universität Göttingen auf agrardebatte.blog.

Gerade bei großen Fleischverarbeitern, die Bio-Produkte vor allem für Discounter und Supermärkte herstellen und Arbeiter über Subunternehmer und Werkverträge angestellt haben. Zum Tönnies-Konzern gehört beispielsweise ein Schlachthof in Schleswig-Holstein, der auch Bio-Schweine verarbeitet. Vion schlachtet Bio-Rinder im Allgäu. Aus Sicht der vielen Allgäuer Bio-Milcherzeuger ist das ein regionaler Schlachthof, auch wenn er zu einem Konzern gehört und mit 2700 geschlachteten Rindern jede Woche sicher nicht handwerklich arbeitet.

Schauen Bio-Verbände genauer hin?

Die Bio-Verbände geben zumindestens Rahmen bei der Schlachtung vor: Die meisten begrenzen die Transporte zum Schlachthof auf vier Stunden oder 200 Kilometer. Konventionell sind acht Stunden ohne Pause erlaubt. Verboten sind bei den Bio-Verbänden elektrische Treiber und Beruhigungsmittel, vorgegeben ist Einstreu für Wiederkäuer und Schweine beim Transport. Detaillierte Richtlinien für das Schlachten selbst hat 2017 der Verband Naturland erlassen. Sie regeln etwa die Unterbringung der Tiere vor dem Schlachten, ihre Betäubung oder das Ausbluten. „Im Kontrollsystem befinden sich mittlerweile bundesweit rund 60 Schlachthöfe“ sagt Christine Brenninkmeyer, die Naturland Tierwohlbeauftragte. Kontrollen hätten bisher einzelne konkrete Mängel aufgedeckt.

Mängel beim Tierschutz

Die Länderbehörden stellen bei ihren Kontrollen ebenfalls immer wieder Mängel beim Tierschutz fest, in großen und in kleinen Schlachthöfen. Etwa schlecht gewartete Geräte oder schlecht ausgebildetes Personal, das Fehler beim Betäuben macht. „Die Größe eines Schlachthofs, eine Bio-Zertifizierung oder regionale Produktionsketten lassen keine Rückschlüsse darauf zu, wie die Tiere behandelt werden", schreibt die Albert-Schweitzer-Stiftung. Auch einzelne bio-zertifizierte Schlachthöfe sind in den vergangenen Jahren durch tierquälerische Bilder in die Schlagzeilen geraten. Christine Brenninkmeyer sieht deshalb einen Schwerpunkt ihrer Arbeit darin, die kleinen, regionalen und handwerklichen Schlachtstätten zu unterstützen, damit sie bei ihrer Arbeit das Tierwohl immer im Blick haben. Denn für eine möglichst erzeugernahe Schlachtung vor Ort, die den meisten Bio-Produzenten wichtig ist, braucht es diese Betriebe. Doch sie haben es schwer.

„Beim Schlachten hat sich Deutschland zu einem Billiglohnland entwickelt und die Politiker haben weggeschaut“, sagt Rainer Breuer. Er ist Geschäftsführer der Bakenhus Biofleisch GmbH bei Bremen. Das Unternehmen verarbeitet die Bio-Tiere vom Biohof Bakenhus und von benachbarten Bio-Betrieben zu einem breiten Sortiment an Fleisch und Wurst für Bio-Läden im Norden der Republik. „Wir haben bisher alles bei einer kleinen Landschlachterei im Nachbardorf machen lassen, doch die musste jetzt den Betrieb einstellen“, berichtet Breuer. Die von der Behörde geforderten Hygieneauflagen seien zu teuer gewesen. Mit viel Mühe hat Breuer einen Ersatz in der Nähe gefunden. Die Tiere über hunderte Kilometer zu transportieren, kommt für ihn nicht in Frage.

Kleine Schlachthöfe bleiben auf der Strecke

Kleine Schlachtbetriebe sind selten geworden, weil sie weniger automatisiert arbeiten als Großbetriebe und ganz oder überwiegend mit Festangestellten. Die Gebühren für die amtliche Fleischbeschau sind bei wenigen Tieren deutlich höher, als wenn die Schweine am Fließband am Veterinär vorbeiziehen. Auch zahlen die kleinen Betriebe für ihren Strom EEG-Umlage, während die großen Schlachthöfe sich leichter davon befreien lassen können. Aus all diesen Gründen müssen kleine Betriebe fürs Schlachten mehr Geld verlangen, haben aber die gleichen teuren Hygieneauflagen zu erfüllen wie die Großen. Ihr Vorteil aus Bio-Sicht: Sie sind auch zu klein für Subunternehmer und Werkverträge, haben also beim Arbeitnehmerwohl die Nase vorn.

„Wir lassen die Bio-Schweine unserer Vertragslandwirte bei einem handwerklichen Schlachtbetrieb in der Lüneburger Heide schlachten und zerlegen“, sagt Patrik Müller, Geschäftsführer von Ökoland. „Der Betrieb arbeitet mit festangestellten Mitarbeitern, die nicht in Sammelunterkünften wohnen und tariflich bezahlt werden“, erklärt er. Auch andere Unternehmen, die den Bio-Fachhandel mit Fleisch und Wurst beliefern, arbeiten mit kleineren regionalen Partnern zusammen. Nur wenige sind reine Bio-Schlachtereien. Viele von ihnen schlachten an ein, zwei Tagen Bio-Tiere und den Rest der Woche konventionelle. Für Schlachtkonzerne, die jeden Tag Tausende Tiere töten und verarbeiten, sind diese Mengen uninteressant.

Eine handwerkliche Schlachtstätte ist die Tagwerk Bio-Metzgerei östlich von München. Dort arbeiten fünf Metzger. „Sie schlachten die Tiere, zerlegen und verarbeiten sie“, sagt Geschäftsführer Reinhard Gromotka. „Der Metzger weiß, wie wichtig stressfreies Schlachten ist, weil er das Fleisch direkt danach weiter verarbeitet.“ Doch eine solche ganzheitliche Herangehensweise kostet Geld. Auch weil das teure Schlachthaus nur zwei Mal in der Woche genutzt wird und die Obergrenze bei maximal 50 Schweinen und zehn Rindern in der Woche liegt. Doch Schlachttrupps, die nichts anderes machen, will Gromotka nicht. „Da verroht man mit der Zeit.“

Wie kann der Verbraucher sich informieren?

Die Beispiele zeigen: Die Spannweite der Schlachtstätten für Bio-Tiere ist groß. Doch wie erfahren Verbraucher, wo die Tiere geschlachtet wurden? Da hilft nur nachschauen und nachfragen. Bei lose gekauften Produkten in der Metzgerei oder an der Frischfleisch­theke im Bio-Markt kann das Fachpersonal Auskunft geben. Bei abgepackter Ware wird es etwas komplizierter: Fleischprodukte tragen auf der Verpackung eine Herstellernummer. Sie besteht aus fünf Ziffern und dem Bundesländer-Kürzel. Gibt man diese auf der Website des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit ein, erhält man den Namen des Betriebes und seine Zulassungen.

Hilfreich sind diese Angaben bei sogenannten Eigenmarken, bei denen kein Hersteller auf der Verpackung angegeben ist. So steht etwa die Nummer EV 1023 für LFW Ludwigsluster Fleisch- und Wurstspezialitäten. Das Unternehmen aus Mecklenburg-Vorpommern ist einer der größten deutschen Hersteller von Bio-Fleisch und -Wurst und beliefert fast alle großen Handelsketten. Allerdings schlachtet LFW nicht selbst. In diesem Fall hilft nur eine Nachfrage beim Händler oder Hersteller weiter.

Fazit

Bis zur Schlachtung geht es den Tieren mit Bio besser. Über das Schlachten selbst sagt das Bio-Siegel nichts aus. Hier hängt es vom Engagement der Bio-Verbände, der Produzenten und ihrer Schlachtpartner ab, welchen Stellenwert das Tierwohl beim Töten hat. Bei den Arbeitsbedingungen sind kleinere, überschaubare Strukturen im Vorteil, zumindest im Prinzip. Beim Nachfragen müssen sich die Verbraucher auf die Aussagen des Händlers oder Herstellers verlassen. Sicher sein können sie sich über eines: Ist das Fleisch besonders billig, hat irgendjemand draufgezahlt.

Mehr zum Thema

Weiterlesen: Für die Reportage „Schlachten gehört dazu“ hat Schrot&Korn-Redakteurin Gabriele Augenstein einen Bio-Schlachtbetrieb besucht.

Informieren: Das Unternehmen Innovative Schlachtsysteme informiert über mobile Schlachtung und den Kugelschuss auf der Weide.

Anschauen: In dem Beitrag „Bio-Schlachtung: weniger Leid fürs Fleisch?“ begleiten Reporter von funk.net Bio-Schweine in den Schlachthof.

Lesen: Der Roman Der Dschungel von Upton Sinclair (Unionsverlag, 2014, 416 Seiten, 16,95 Euro) ist im Original von
1906 und handelt von den Arbeitsverhältnissen in Fleischfabriken.

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