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Wo der Hafer wächst

Bio aus der Region ist toll, aber nicht selbstverständlich. Nicht bei Hafer und schon gar nicht bei Quinoa. Doch experimentierfreudige Bauern machen es möglich.

Hafer ist eine tolle Frucht für den Öko-Landbau“, schwärmt Hans Reichl. Denn das Getreide stellt wenig Ansprüche an den Boden, durchwurzelt ihn gut und lässt dem Unkraut wenig Platz zum Wachsen. Der 41-jährige Naturland-Bauer steht am Rand des Ackers und streicht über die grünen Halme. „Trotzdem wäre der Hafer bei uns beinahe ausgestorben.“ Der Anbau habe sich für die Bauern in der Region südöstlich von München nicht rentiert.

Das liegt daran, dass Bio-Landwirte in Skandinavien und dem Baltikum viel Hafer anbauen, der überwiegend in andere EU-Länder exportiert wird. Die klimatischen Bedingungen dort sind günstig. Sind die Ernten in diesen Ländern gut, drückt das die Preise in der ganzen EU. Dann bekommen die Bauern hier 270 bis 300 Euro für die Tonne Hafer – zu wenig, um davon leben zu können. „Dafür bräuchten wir in unserer Region einen Preis von 400 Euro je Tonne“, rechnet Hans Reichl vor.

Trotzdem baut er seit drei Jahren Hafer an, zusammen mit inzwischen 46 weiteren Bio-Landwirten. Der Grund dafür heißt Barnhouse. Der Bio-Hersteller sitzt in Mühldorf, inmitten der Region, in der Hans Reichl und seine Kollegen ackern. Hafer ist der wichtigste Rohstoff für die Frühstücksprodukte des Unternehmens. 5 000 Tonnen davon wird Barnhouse in diesem Jahr voraussichtlich verarbeiten, ein Fünftel davon liefern die regionalen Landwirte, dazu noch 500 Tonnen Dinkel. „Darüber hinaus haben wir drei süddeutsche Mühlen, die uns mit Hafer beliefern“, erklärt Barnhouse-Geschäftsführerin Bettina Rolle. „Sie beziehen 80 Prozent des Hafers aus Deutschland, davon die Hälfte aus Süddeutschland.“ Doch einen direkten Kontakt zwischen den Landwirten und Barnhouse gab es nicht – bis 2015.

Damals begann das bayerische Landwirtschaftsministerium, Öko-Modellregionen zu fördern und bezuschusste Projektmanager, deren Aufgabe darin bestand, Landwirte und Verarbeiter, also Hersteller, an einen Tisch zu bringen. „Wir hatten nie die personellen Ressourcen, ein solches Regionalprojekt alleine auf die Beine zu stellen“, betont Bettina Rolle die Bedeutung dieser Förderung. „Bis dahin gab es unter uns Bio-Landwirten wenig verbandsübergreifende regionale Vernetzung“, fügt Hans Reichl hinzu. Doch um den Bedarf eines großen Verarbeiters zu decken, braucht es viele Landwirte, die gut koordiniert zusammenarbeiten. So nebenbei lässt sich das nicht organisieren.

Wie Bayern Bio aus der Region fördert

Etwa die Anlieferung an die Mühle, die den regionalen Hafer schält und flockt. Sie liegt ebenfalls in Mühldorf, nur einen Kilometer von Barnhouse entfernt. Die Mühle arbeitet mit Mindestmengen von 100 Tonnen. „Die rufen beim Projektmanager an und der organisiert die Landwirte, die dann in einem Zeitfenster von drei Tagen das Getreidesilo voll machen“, sagt Hans Reichl. So können sich auch kleine Landwirte, die nur ein paar Tonnen Hafer erzeugen, an dem Projekt beteiligen.

Der Preis, den Barnhouse für den Hafer zahlt, ist seit Projektbeginn stetig gestiegen, langfristig festgelegt und liegt inzwischen nahe bei den 400 Euro je Tonne, die Hans Reichl als notwendig bezeichnet. „Solche Preise müssen wir als Verarbeiter auch erst einmal stemmen können“, sagt Bettina Rolle. Der Wettbewerb insbesondere mit günstigen Bio-Handelsmarken ist hart.

Das Problem haben viele Bio-Hersteller, die auf regionale Rohstoffe setzen. Deren Anbau ist für die Landwirte aufwendiger und damit teurer als für ausländische Kollegen, bei denen das Wetter besser und die Arbeitslöhne niedriger sind. Das gilt für Sonnenblumenkerne und Sojabohnen aus Rumänien ebenso wie für Erdbeeren aus Polen oder Futtererbsen aus Litauen. Meist sind dort auch die Betriebe deutlich größer als bei uns, was einen weiteren Kostenvorteil darstellt.

Welche Vorteile regional erzeugte Lebensmittel bieten

Trotzdem setzen zahlreiche deutsche Bio-Verarbeiter auf heimische Rohstoffe. Oft starten sie sogar eigene Projekte, um Bio-Erzeugnisse aus der Region zu bekommen. Denn Bio aus der Region ist – außer beim Preis – klar im Vorteil: Die kurzen Transportwege schonen die Umwelt und erhöhen die Transparenz. Der Hersteller weiß, wo seine Rohstoffe wachsen und wer sie anbaut. Das schätzen auch viele Verbraucher: In der Umfrage Ökobarometer 2017 nannten sie die regionale Herkunft und die Unterstützung regionaler Betriebe als einen der wichtigsten Gründe, Bio-Lebensmittel zu kaufen – noch vor den Umweltvorteilen, die der Bio-Anbau mit sich bringt. Bio-Betriebe schützen das Grundwasser, erhöhen die Artenvielfalt und fruchtbare Böden. Auch das kommt der Region zugute.

Allerdings ist das Thema Regionalität für deutsche Bio-Firmen nicht neu. Bereits am Anfang der Bio-Bewegung standen regionale Kreisläufe. Müller wie Volker Krause von der Bohlsener Mühle oder Hans Spielberger verarbeiteten schon immer das Getreide der Bio-Bauern in ihrer Region und motivierten viele Landwirte umzustellen. In Norddeutschland schlossen sich Demeter-Betriebe zusammen, um ihre Erzeugnisse gemeinsam zu verarbeiten und zu vermarkten. Sie begannen damit in einer leeren Scheune auf dem Bauckhof – der sich zu einem bekannten Naturkosthersteller entwickelte. Bio-Milchbauern schlossen sich zusammen und sprachen Molkereien in ihrer Umgebung an, ob sie nicht Bio-Milch getrennt verarbeiten wollten. Einige wollten und beliefern bis heute die Bio-Läden mit ihren Molkereiprodukten.

Öle, Fruchtaufstriche, Tofu – alles aus der Region

  • Bio Planète bietet eine Serie mit Ölen „aus der Heimat“ an. Auch die Allgäuer Ölmühle hat einige Öle aus regionalen Rohstoffen im Sortiment.
  • Das Hofgut Storzeln verwendet für seine Pflanzendrinks Soja, Hafer und Dinkel aus der Bodenseeregion.
  • Das württembergische Unternehmen Naturata bezieht den Demeter-Dinkel für seine Nudeln von der nahegelegenen Schwäbischen Alb.
  • Zwergenwiese produziert Fruchtaufstriche aus regionalen Erdbeeren, Heidelbeeren und Sanddorn. „Unsere Rohstoffe haben eine Heimat“ lautet das Motto. Regionales Demeter-Obst verarbeiten auch die Beerenbauern im fränkischen Ebermannstadt.
  • Die Lifefood GmbH hat schon vor über 20 Jahren mit dem Sojaanbau in Deutschland begonnen und bezieht inzwischen einen Großteil der Bohnen für ihren Tofu aus heimischem Anbau.
  • Die neue Marke Vivasphera vereint Bio und Artenschutz. Sie vertreibt Produkte, deren Rohstoffe aus Biosphärenreservaten stammen und dort verarbeitet wurden.

Was das Problem mit Lebensmittelimporten ist

Doch die Nachfrage der Kunden nach Bio-Lebensmitteln wuchs schneller als die Zahl der deutschen Bio-Bauern. Dazu trug die zeitweise stockende und spärliche Öko-Förderung der Bauern ebenso bei wie Preise, die nur wenig über denen für konventionelle Erzeugnisse lagen. Auch der Wunsch vieler Kunden, frisches Bio-Obst und -Gemüse das ganze Jahr über zu genießen, führte dazu, dass verstärkt Bio-Lebensmittel importiert wurden. Heute kommen etwa 85 Prozent des Bio-Gemüses wie Tomaten, Paprika oder Zucchini aus dem Ausland, vor allem aus Spanien, Italien und den Niederlanden. So gibt es Tomaten, Gurken oder Kohlrabi schon im Februar und nicht erst im Sommer.

In den wenigen Monaten, in denen keine deutschen Kartoffeln oder Äpfel mehr auf Lager sind, bleiben die Regale nicht leer, sondern füllen sich mit Kartoffeln aus dem Mittelmeerraum und Äpfeln aus Neuseeland. Lücken in der Versorgung mit Getreide und Futtermitteln gibt es das ganze Jahr. Etwa ein Viertel ihres Getreidebedarfs decken die deutschen Bio-Verarbeiter durch Importe, hat die Agrarmarkt Informations-Gesellschaft AMI ermittelt. Noch viel höher sind die Importanteile bei eiweißreichen Futtermitteln wie Erbsen oder Sojabohnen. Sie wachsen vor allem in Ost- und Südosteuropa.

Wie Bauern mit regionalem Quinoa-Anbau experimentieren

Wenn Bio-Verarbeiter ein Projekt starten, um einen Rohstoff künftig regional beziehen zu können, suchen sie meist nach erfahrenen Bio-Bauern – und nicht nach Bauern, die auf Bio umstellen. So hat die Bohlsener Mühle ihre regionalen Erzeuger gefragt, wer denn Interesse hätte, Quinoa anzubauen. Bisher müssen die nährstoffreichen und glutenfreien Körner aus den südamerikanischen Anden nach Deutschland transportiert werden. Mit vier Bioland-Landwirten und einem Saatgutexperten begann die Mühle, die Gebirgspflanze im flachen Norddeutschland anzubauen. Zwei Jahre haben sie experimentiert und ausprobiert – in diesem Frühjahr kam die erste Ernte in die Bio-Läden.

Olaf Wilkens ist einer der vier Landwirte und liebt solche Herausforderungen. „Meine ersten Versuche mit Quinoa habe ich gemacht, weil ich gerne anspruchsvolle Feldfrüchte dresche.“ Die kleinen Körner mit Maschinen zu ernten, die eigentlich auf Weizen oder andere großkörnige Getreidearten ausgerichtet sind, ist eine technische Herausforderung. Doch es hat geklappt. Auch die neun Bio-Bauern, die für den Feinkostanbieter Byodo in Südostbayern Senf anbauen, probieren etwas Neues. Sie säen den Senf in Mischkultur aus, etwa zusammen mit Erbsen und Bohnen. Die Hülsenfrüchte reichern Stickstoff im Boden an, den der Senf gut brauchen kann. Zudem sichern sie den Landwirt ab, falls sich der Rapsglanzkäfer über den mit dem Raps verwandten Senf hermachen sollte. Er kann dann zumindest noch die Bohnen vermarkten.

Was heißt regional?

Für den Begriff regional gibt es keine amtliche Definition. Es kann eine geografische Region gemeint sein wie die Eifel oder das Allgäu, ein 100-Kilometer-Radius um den Betrieb oder ein ganzes Bundesland. Ehrliche Hersteller und Händler kommunizieren klar, wie sie „Region“ definieren. Hilfe beim Einkauf bieten Länder-Siegel wie Bio aus Bayern, die Logos von Regionalinitiativen wie BiOlokal in Ostwestfalen sowie Konzepteder regionalen Naturkostgroßhändler wie Bio von hier, Regional ist 1. Wahl, BioRegional oder Für Euch nah!

Hans Reichl hat in diesem Jahr Leindotter zwischen den Hafer gesät. „Zum ersten Mal. Bisher kannte ich die Pflanze nicht.“ Überhaupt seien unter den 40 Haferbauern viele Kollegen, die sich intensiv mit Bodenfruchtbarkeit, Kompostierung und anderen Themen auseinandersetzten. Deshalb haben sie auch beschlossen, die erste ökologisch gezüchtete Hafersorte anzubauen. „Wer, wenn nicht wir“, sagt Hans Reichl da nur. Entwickelt wurde die gegen die Pilzkrankheit Flugbrand widerstandsfähige Sorte am Dottenfelder Hof bei Frankfurt. Die Erfahrungen der oberbayerischen Hafer-Bauern gehen in die endgültige Sortenzulassung ein. Barnhouse fördert die aufwendige Prozedur mit 45 000 Euro.

„Das Schöne ist, dass wir nicht nur über Preise und Mengen reden, sondern über solche Projekte“, freut sich Reichl. „Wir Bauern erfahren in der Zusammenarbeit mit Barnhouse eine hohe Wertschätzung. Das tut gut und das bekommen auch die konventionellen Kollegen mit.“

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