Essen

Wer erntet unseren Spargel ?

Spargel aus Deutschland, Tomaten aus Spanien, Mangos aus Burkina Faso. Unter welchen Bedingungen ernten die Saisonarbeiter unser Essen – und wie viel bekommen sie bezahlt?

Spargel ernten ist ein Knochenjob: Über den Damm bücken, Spitze freilegen, Spargelstecher entlang der Stange bis zur Markierung in die Erde stoßen, Stange abschneiden, vorsichtig rausziehen und in den Korb legen. Das Loch füllen und die Erde glatt klopfen. Ein, zwei Schritte weitergehen, wieder bücken ... Profis schaffen bei guten Bedingungen bis zu 200 Kilogramm Spargel am Tag. Sie kommen üblicherweise aus Rumänien, Polen, Ungarn oder der Ukraine nach Deutschland. Nicht nur um Spargel zu stechen. Sie setzen im Frühjahr Jungpflanzen aus, pflücken Erdbeeren und Kirschen oder ernten später im Jahr Gurken. 350.000 dieser Saisonarbeiter beschäftigen die deutschen Landwirte jedes Jahr – und viele beuten sie auch aus.

Wie Saisonarbeitskräfte in Deutschland leben

„Das waren 14 bis 18 Stunden Arbeit. Jeden Tag. Ich habe zwei Monate und zehn Tage gearbeitet. Wir hatten überhaupt keine Erholung“, erzählte der Rumäne Darian P. Mit 500 Euro habe der Chef sie danach nach Hause schicken wollen, berichtete er der Initiative Faire Landarbeit. Diesem Bündnis gehören die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU), das PECO-Institut und andere Organisationen an. Sie besuchen Saisonarbeiter auf den Feldern, beraten sie und betreiben Telefon-Hotlines. So kamen die Gewerkschafter auch in Kontakt mit Darian P. und halfen ihm und seinen Kollegen, ihre Rechte gegenüber dem Landwirt durchzusetzen.

Jedes Jahr berichtet die Initiative über solche Fälle: Stundenlöhne von fünf Euro. Betriebe, bei denen sich 100 Saisonarbeiter ein Bad und vier Herde teilen mussten. Bei einem anderen bekamen sie für ein Doppelzimmer in einer Baracke mit Gemeinschaftsdusche 1200 Euro Miete im Monat in Rechnung gestellt. Illegal, aber laut der Initiative durchaus üblich: Landwirte behalten die Ausweise der Arbeiter ein, damit sie nicht einfach heimfahren können. Für die IG BAU sind das keine Einzelfälle. „Ein großer Teil der rund 350.000 Saisonbeschäftigten in der Landwirtschaft arbeitet zu prekären Bedingungen“, sagt der stellvertretende IG BAU-Bundesvorsitzende Harald Schaum.

Ernte in Corona-Zeiten

Für Erntehelfer gelten strikte Corona-Regeln. So schreibt das Bundeslandwirtschaftsministerium vor, Zimmer für Saisonkräfte „möglichst durchgängig“ einzeln zu belegen. Wenn Mehrbettzimmer, dann maximal vier Personen und jeder Person müssten 12 Quadratmeter Platz zustehen. Die Betriebe sollen Gruppen mit maximal vier Arbeitnehmern bilden und müssen Reinigungs- und Hygienepläne erarbeiten. Ob diese in der Praxis eingehalten werden, hatten die Behörden im Frühjahr 2020 erst kontrolliert, nachdem es auf einigen Höfen zu Covid-Ausbrüchen gekommen war. „Die Situation ist gerade durch die deutlich ansteckenderen Corona-Mutationen heute gefährlicher als noch vor einem Jahr“, warnt die Gewerkschaft IG BAU.

Durch die Corona-Pandemie haben sich die Verhältnisse auf den Feldern weiter verschärft. Im Frühjahr 2020 waren die Grenzen dicht und nur 40.000 Saisonarbeiter reisten nach Deutschland. Auf sie wartete, trotz einheimischer Freiwilliger, mehr Arbeit denn je. „Die Regelungen zum Infektionsschutz brachten die osteuropäischen Kolleginnen und Kollegen in eine noch größere Abhängigkeit von den Betrieben“, sagt Michael Baumgarten vom PECO-Institut. „Gleichzeitig waren sie durch die Quarantäneregelungen in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt und für uns nur schwer erreichbar.“ Wie es 2021 aussehen wird? Man weiß es nicht. Im Moment sind die Grenzen für Saisonarbeiter noch offen.

Wer sticht den Bio-Spargel?

Beate Mayer plant fest mit ihren 50 rumänischen Saisonkräften, um Bio-Spargel und später auch Erdbeeren zu ernten. Zusammen mit ihrem Mann Sepp Keil bewirtschaftet sie den Bioland-Hof Keil im niederbayerischen Kelheim. Auf 25 der 120 Hektar Nutzfläche wächst Spargel, rund 100 Tonnen ernten die Arbeiter von Mitte April bis zum 24. Juni, an dem die Spargelsaison offiziell zu Ende geht.

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Wie viel verdienen Erntehelfer auf einem Bio-Hof?

Gearbeitet werde von sieben bis 17 Uhr, mit einer Stunde Mittag dazwischen, und an sechs Tagen, berichtet Beate Mayer. Sie stelle das Mittagessen und auch für Getränke sei gesorgt. „Wir zahlen den gesetzlichen Mindestlohn von 9,50 Euro in der Stunde und legen ab einer bestimmten Erntemenge noch 50 Cent für jedes Kilo drauf.“ Der Keilhof habe für alle Arbeiter eine Krankenversicherung abgeschlossen, damit sie im Notfall versorgt sind. „Das kostet nicht viel und macht Sinn, denn es passiert immer etwas“, sagt Mayer. Im letzten Jahr etwa habe ein Mitarbeiter Gallensteine gehabt und musste ins Krankenhaus. Untergebracht sind die Arbeiterinnen und Arbeiter in vier Häusern im Dorf. In der Regel in Doppelzimmern mit gemeinsam genutzten Küchen und Sanitäreinrichtungen. Fünf Euro berechnet sie pro Übernachtung.

„Die meisten kommen aus der Landwirtschaft, haben selber einen kleinen Hof oder die Eltern bewirtschaften ihn“, erzählt die Bäuerin über ihre Helfer. Viele kommen seit Jahren. „Es hat sich herumgesprochen, dass sich bei uns gutes Geld verdienen lässt.“ In Rumänien liege der durchschnittliche Lohn für einen Vollzeitjob bei 400 Euro im Monat. „Wir haben ein gutes Arbeitsklima“, sagt die Chefin und ein wichtiger Grund dafür sei die fest angestellte Mitarbeiterin im Büro. Sie stammt aus Rumänien, kann dolmetschen, Fragen beantworten, Hygieneregeln erklären, Missverständnisse bereinigen. „Ohne sie würde es nicht so gut funktionieren. Wenn du die Sprache kannst, geht vieles einfacher.“

Sind die Arbeitsbedingungen auf Bio-Höfen gesetzlich geregelt?

Das klingt deutlich anders als die Beschreibungen der Initiative Faire Landarbeit. Aber behandeln alle Bio-Betriebe ihre Saisonkräfte anständig? Die EU-Öko-Verordnung schreibt zu Arbeitsbedingungen und Entlohnung nichts vor. Von den Bio-Verbänden hatte lange nur Naturland Sozialrichtlinien, deren Einhaltung jährlich abgeprüft wird. Inzwischen hat Bioland mit fast identischem Wortlaut nachgezogen. In den Richtlinien steht etwa, dass zumindest die gesetzlichen Mindestlöhne zu zahlen sind und alle Beschäftigten, auch die Saisonarbeiter, eine Grundabsicherung bei Krankheit bekommen müssen. Der Bio-Verband Biokreis hat etwas knapper gefasste Sozialrichtlinien verabschiedet.

Die Mitgliedsbetriebe dieser drei Bio-Anbauverbände werden also überprüft. Und die anderen? „Vermutlich gibt es bei Bio wie bei konventionell große Unterschiede“, sagt Michael Baumgarten, „aber wir wissen es nicht“. Denn die Initiative Faire Landarbeit erfasst bei Vorkommnissen nicht, ob es sich um Bio-Betriebe handelt und bei den Besuchen vor Ort fallen die meisten Bio-Betriebe durchs Raster. „Wir konzentrieren uns auf die großen Betriebe mit Hundert und mehr Saisonkräften“, erklärt Baumgarten. Jörg Heinel, Abteilungsleiter Forst und Agrar bei der IG BAU, hat zu Saisonarbeitskräften auch keine bio-spezifischen Daten vorliegen.

Bio aus Spanien: Wie viel bekommen Erntehelfer bezahlt?

Diesen Kostendruck bekommen nicht nur Erntehelfer in Deutschland zu spüren. In Süditalien und Südspanien sind es vor allem illegale Arbeitsmigranten und Flüchtlinge aus Afrika, deren Notlage von vielen Unternehmen ausgenutzt wird. Sie ernten und verpacken Gemüse für Hungerlöhne von 30 Euro am Tag und leben in Slums ohne Strom und Wasser. Immer wieder machten auch die Arbeitsbedingungen in Bio-Betrieben aus diesen Regionen Schlagzeilen.

Der Bio-Sektor ist keine Insel der Seligen

Daniela Schröder, Naturland

Wie sind die Arbeitsbedingungen in Spanien?

In Spanien bietet deshalb die Öko-Kontrollstelle CAAE mit Ecovalia einen zusätzlichen Sozialstandard an. Der Bio-Importeur Schramm Naturkost, der viele Bio-Läden mit Obst und Gemüse auch aus Spanien versorgt, lässt seine dortigen Hauptlieferanten nach diesem Standard zertifizieren. Der Verband Naturland zertifiziert auch über 300 Betriebe in Spanien und Italien nach seinen Sozialrichtlinien. „Der Bio-Sektor ist keine Insel der Seligen“, weiß Daniela Schröder, die sich bei Naturland darum kümmert, dass die Sozialstandards in diesen Ländern umgesetzt und kontrolliert werden. Problematische Einzelfälle gebe es immer wieder.

Werden festgestellte Verstöße nicht abgestellt, entzieht Naturland einem solchen Betrieb das Zertifikat. „Von den Auditoren bekommen wir rückgemeldet, dass das soziale Bewusstsein bei den Bio-Betrieben im Schnitt größer ist als bei konventionellen“, sagt Daniela Schröder. Mehr Geld von ihren Kunden bekommen Betriebe, die neben ökologischen auch soziale Standards einhalten, meist nicht. Das macht es ihnen schwer, sich im Wettbewerb mit Betrieben zu behaupten, die an Löhnen und sozialem Engagement sparen.

Unter welchen Bedingungen werden Tee, Bananen und Kakao geerntet?

Das gilt auch für Lebensmittel aus Übersee, für die Teepflückerin in Assam, den Arbeiter auf der Ananasplantage in Costa Rica und die vielen Kleinbauern, die für uns Kaffee, Kakao oder Gewürze anbauen. Auch sie brauchen faire Preise und Löhne, um menschenwürdig leben zu können – und bekommen sie oft nicht. In einschlägigen Untersuchungen hat sich gezeigt, dass Bio- und Fairhandels-Unternehmen bessere Preise zahlen, doch auch diese oft noch zu niedrig sind, um den Betroffenen aus ihrer Armut zu helfen.

Mindestlohn oder existenzsichernder Lohn?

Ein Beispiel dafür sind Bananenplantagen in der Dominikanischen Republik, wo ein großer Teil der deutschen Bio-Bananen wächst. Niederländische Wissenschaftler ermittelten, dass die Arbeiter auf biofair-zertifizierten Plantagen etwas mehr als den gesetzlichen Mindestlohn bekamen. Trotzdem erreichte ihr Verdienst nur 60 Prozent des existenzsichernden Lohns. Dabei würden bereits wenige Cent pro Banane helfen. Doch bekommt der Bauer zehn Cent mehr pro Kilo, besteht die Gefahr, dass nachfolgende Stufen wie Groß- und Einzelhandel auf diese zehn Cent ihre Gewinnmarge draufschlagen – also an einem fairen Preis für die Bauern mitverdienen. Das kann dazu führen, dass der Kunde im Laden schließlich nicht zehn, sondern 50 Cent mehr zahlen muss. Das ist vielen Kunden dann zu viel. Sie greifen zu einem günstigeren Produkt und die Ware mit dem Sozialaufschlag bleibt liegen.

Interview

Vier Fragen an Friedel Hütz-Adams, Experte für Arbeitsbedingungen in Entwicklungsländern beim ökumenischen Institut Südwind.

Der existenzsichernde Lohn ist ein Menschenrecht. Aber was heißt das: „existenzsichernd“?
Der Lohn muss alles absichern, was eine Familie zum Leben braucht. Das sind Essen, Gesundheitsfürsorge, Schulbildung für Kinder, Kleidung, eine adäquate Unterkunft und Rücklagen für Ereignisse wie Hochzeiten oder Krankheiten.

Lässt sich das für alle Länder berechnen?
Es gibt dafür eine international anerkannte Methode. Mit ihr wurden für viele Länder und unterschiedliche Sektoren existenzsichernde Löhne und Preise für Kleinbauern berechnet. Doch was tatsächlich gezahlt wird, richtet sich nach der Verhandlungsmacht der Betroffenen und die ist meist gering. Eine Studie zeigt, dass sogar fairtrade-zertifizierte Kakao-Bauern in der Elfenbeinküste durchschnittlich nur 40 Prozent des berechneten Existenzminimums verdienen. Bei solchen Verhältnissen hilft auch ein Bio-Aufschlag von 10 oder 20 Prozent nicht weiter, zumal er ja geringere Erträge ausgleichen soll.

Aber viele Staaten haben doch Mindestlöhne festgelegt?
Ja, doch die sind so berechnet, dass sie Investoren nicht erschrecken und liegen oft weit unter den existenzsichernden Löhnen. Dabei ermöglichen diese sogenannten Living Wages kein Luxusleben. Im Gegenteil: Sie sind die Untergrenze dessen, was Menschen zum Leben brauchen.

Was muss sich ändern?
Wenn ein Unternehmen Löhne und Einkaufspreise erhöht, wird sein Produkt teurer und es verliert Marktanteile. Die großen Handelsketten haben sich zwar in einer Erklärung verpflichtet, langfristig existenzsichernde Preise zu zahlen. Aber sie sagen auch: „Was wir durchsetzen können, richtet sich nach dem Wettbewerb.“ Deshalb braucht es ein Lieferkettengesetz, das alle verpflichtet, die Menschenrechte einzuhalten.

So könnten faire Löhne gelingen

Dieser Effekt ließe sich vermeiden, wenn der Preisaufschlag erst im Laden erhoben und dann an die Bauern und Arbeiter durchgereicht würde. Der niederländische Bio-Großhändler Eosta erprobt dieses Konzept mit Mangos aus Burkina Faso. Zehn Cent mehr pro Kilogramm verlangt er von den abnehmenden Einzelhändlern und zahlt dafür existenzsichernde Löhne. Solche Konzepte setzen voraus, dass ein Verarbeiter oder Händler die Erzeuger seiner Rohstoffe auch kennt. „Dass muss er auch, sonst kann er in seiner Lieferkette keine Verantwortung dafür übernehmen, dass die Menschenrechte eingehalten werden“, sagt Friedel Hütz-Adams vom Institut Südwind. Verbrauchern, die etwas bewegen wollen, empfiehlt er, Fragen zu stellen, etwa: „Wer hat das geerntet – und wie viel dafür bekommen?“

Zum Weiterlesen

Im Netz

Bücher

  • Reckinger, Gilles: Bittere Orangen – Ein neues Gesicht der Sklaverei in Europa. Peter Hammer Verlag, 2018, 232 Seiten, 24 €
  • Birner, Kathrin; Dietl, Stefan: Die modernen Wanderarbeiter*innen – Arbeitsmigrant*innen im Kampf um ihre Rechte. Unrast Verlag, 2021, 160 Seiten, 12,80 €
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