Es fällt mir gar nicht schwer, auf Fleisch zu verzichten. Ich habe sogar mehrere Jahre vegan gelebt. Aber Zucker reduzieren? Puh! Worauf habe ich mich da eingelassen? Für diesen Text habe ich eine Woche lang weniger Zucker gegessen. Das ist natürlich viel zu kurz, um einen gesundheitlichen Effekt zu bemerken, aber es ist ein Einstieg in den Ausstieg. Denn: Mit jedem Tag weniger Zucker verlernt das Gehirn, danach zu verlangen.
Warum es gut ist, Zucker zu reduzieren
Und das ist gut, denn „freier Zucker“ begünstigt zahlreiche Krankheiten: Karies, Übergewicht, Diabetes mellitus, Fettleber, Gicht, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Demenz und Depressionen. Auch für Erschöpfungszustände, chronische Entzündungen und ein geschwächtes Immunsystem wird er verantwortlich gemacht. „Personen, die zu viel Zucker zu sich nehmen, profitieren enorm von einer Reduktion“, sagt Robert Hauffe, Ernährungsphysiologe an der Universität Potsdam.
Was zählt als „freier Zucker“?
Doch welche Zucker sind eigentlich gemeint und was ist zu viel? Laut der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) zählen zu den „freien Zuckern“ alle Zuckerarten wie Glukose, Fruktose oder Saccharose, die Hersteller oder Verbraucher Lebensmitteln zusetzen. Auch in Honig, Sirup und Fruchtsäften natürlich vorkommender Zucker gehört dazu, nicht jedoch Zucker in Obst, Gemüse oder Milch.
Wie viel Zucker ist ok?
Weil Zucker im Gehirn Belohnungsgefühle auslöst, können wir bei Süßem so schlecht „Nein“ sagen. Und so isst jede:r hierzulande im Schnitt 30 Kilogramm Zucker pro Jahr – das sind rund 80 Gramm täglich. Laut DGE sollten wir aber maximal 50 Gramm freie Zucker pro Tag verzehren, was in etwa 16 Stückchen Würfelzucker oder gut 12 gestrichenen Teelöffeln entspricht.
Was nach viel klingt, ist schnell erreicht.
Versteckter Zucker: So erkennt ihr ihn
Vor allem in Fertiglebensmitteln ist viel Zucker enthalten – oft versteckt hinter Namen wie Glukosesirup, Maltodextrin, Invertzuckersirup, Gerstenmalz oder Süßmolkenpulver. Die Lebensmittelindustrie nutzt laut der Verbraucherzentrale sagenhafte 70 verschiedene Bezeichnungen für Zucker. Frühstückszerealien, Fruchtjoghurts oder Smoothies können zum Beispiel echte Zuckerfallen sein. Auch in salzigen Fertiglebensmitteln findet sich Zucker, etwa in Krautsalat oder Tomatensoßen.
Warum Zucker problematisch ist
Zucker ist besonders dann problematisch, wenn er in großen Mengen und schnell ins Blut gelangt. Das ist bei süßen Getränken der Fall, aber auch, wenn Schokolade oder Kekse auf leeren Magen gegessen werden. Dann schüttet der Körper Insulin aus, das den Zucker in die Zellen transportiert. Der Blutzuckerspiegel sinkt dadurch rapide – und das nächste Hungergefühl folgt. Ein Teufelskreis.
„Zu viel Energie in Form von Zucker speichert unser Körper sehr effizient in Form von Fett“, sagt Robert Hauffe. „Wer viel Sport macht, könnte also theoretisch mehr Zucker aufnehmen, dennoch plädiere ich dafür, dann lieber mehr von den Hauptmahlzeiten zu essen.“ Denn Zucker liefert nur leere Kalorien. Wer ein Stück Torte statt Vollkornbrot mit Käse isst, nimmt zwar eine ähnliche Kalorienmenge auf – aber deutlich weniger Nährstoffe, Vitamine und Mineralstoffe.
Zucker reduzieren: Die besten Alltagstipps

- Zuckerfallen finden: Das gelingt mit Apps wie „Code Check“ oder durch Lesen der Lebensmitteletiketten. Darauf muss der Zuckergehalt pro 100 Gramm angegeben sein. Der Hinweis „zuckerarm“ bedeutet, dass nicht mehr als 5 Gramm Zucker pro 100 Gramm Lebensmittel enthalten sein dürfen, bei „zuckerfrei“ dürfen es nicht mehr als 0,5 Gramm sein.
- Selber süßen: Müsli, Fruchtjoghurts, Eistee oder Limonaden selber zubereiten und sparsam süßen.
- Auf Süßstoffe verzichten: Aspartam, Acesulfam oder Cyclamat waren lange die Hoffnungsträger für Übergewichtige. Sie versprachen Softdrink-Genuss ohne Kalorien. Doch sie helfen nicht wirklich, Gewicht zu verlieren. Denn: Man trainiert sich den Süßgeschmack damit nicht ab, sondern verlangt ständig weiter nach Süßem – und gibt dem meist auch nach.
- Essigtrick: Vor dem Essen ein Glas Wasser mit einem Esslöffel Apfelessig trinken oder einen Salat genießen. Untersuchungen deuten darauf hin, dass Essig Blutzuckerspitzen und Heißhunger reduziert.
- Bitter hilft: Bestimmte Bitterstoffe aus Chicorée, Löwenzahn oder Artischocken lassen Süßhunger gar nicht erst aufkommen. Auch Bittersprays oder -tropfen haben diese Wirkung.
- Freunde treffen statt naschen: Wer Stress und Stimmungstiefs gerne mit Keksen, Bonbons & Co. angeht, sollte andere Strategien probieren, etwa Freunde treffen, spazieren gehen...
- Trockenfrüchte statt Schokolade: In Rosinen, Datteln oder Feigen steckt zwar ebenfalls viel Zucker, allerdings liefern sie auch wichtige Ballaststoffe, Vitamine und Mineralstoffe. Trotzdem: Nicht zu viel davon essen!
- Und was ist mit Honig, Ahornsirup, Kokosblütenzucker? Die Zuckeralternativen enthalten auch viel Zucker, haben aber einen Vorteil: Ihr Eigengeschmack erhöht den Genuss. Sparsam eingesetzt sind sie also in Ordnung.
Hohe Blutzuckerspiegel fördern zudem Ablagerungen in den Gefäßwänden und im Gehirn werden Neuronen so verdrahtet, dass sie immer mehr Zucker verlangen. Wegen dieser Mechanismen führt die tägliche Extraportion Zucker zu Fettleibigkeit und Diabetes, Herz-Kreislauf-Krankheiten, neurologischen Störungen und bestimmten Krebsarten.
Eine große Meta-Analyse von 2023 zeigt: Jedes zusätzliche Glas (250 ml) Süßgetränk am Tag erhöht das Risiko für Diabetes Typ 2 um 27 Prozent, das Risiko für Herzerkrankungen um 17 Prozent. Stark gezuckerte Getränke sind besonders problematisch, da sie keine Sättigungsgefühle auslösen, der Körper die Kalorien also praktisch nicht realisiert. Weitere Studien zeigen, dass ständig erhöhte Blutzuckerspiegel das Immunsystem schwächen, die Darmflora negativ beeinflussen und im ganzen Körper kleine Entzündungen verursachen können.
Wann Süßes am wenigsten schadet
Da ich selber viel koche, erkenne ich meine Zuckerquellen schnell: Zucker im Kaffee, süßer Brotaufstrich zum Frühstück, dazu fast täglich Schokolade oder Kuchen – und am Wochenende „Aperol Spritz“. Um ein Gefühl für Mengen zu bekommen, rät mir die Münchner Ernährungsberaterin Christina Lohwasser, ein Ernährungstagebuch zu führen. Bei Fertiggerichten und Getränken soll ich dabei auf die Verpackungsangaben achten. Letztendlich nehme ich rund 60 Gramm Zucker pro Tag zu mir. Das ist weniger als ich befürchtet hatte und dennoch zu viel!
Darum gebe ich von jetzt an nur einen gestrichenen anstatt einen gehäuften Teelöffel Zucker in den Kaffee, dazu eine Prise Zimt für mehr Geschmack. Zudem trinke ich weniger Kaffee. Und anstatt zwei süßer Toasts zum Frühstück, esse ich einen mit Käse, das klappt ganz gut. Aber die Schokolade am Nachmittag ist ein Problem, sie steuert rund 20 Gramm Zucker bei. Lohwassers Tipp: „Am besten mittags satt essen, mit viel Eiweiß, dann bekommt man nicht so schnell Gelüste.“ Zudem soll ich mir für den Notfall eine bittere Schokoladensorte aussuchen, die weniger Zucker liefert. Auch selbst gesüßter Joghurt oder sparsam gesüßte Nussriegel seien eine Alternative. Zudem sei es besser, Süßigkeiten direkt nach dem Essen zu naschen und nicht auf nüchternen Magen. Viel Wasser oder Tee trinken helfe ebenfalls, das Süßverlagen zu drosseln. Wem Wasser zu fade schmeckt, der könne es mit Obststücken, Gurke oder Minze aufpeppen.
Zuckerfrei oder weniger? Was besser ist
Warum Fruktose kein guter Zuckerersatz ist
- Fruktose (Fruchtzucker) wird in der Leber verstoffwechselt und dort bei großen Mengen als Fett eingelagert. Zudem macht Fruktose hungrig, lässt den Körper auf Sparflamme arbeiten und steigert den Blutdruck. Bären fressen vor ihrem Winterschlaf Unmengen an fruchtzuckerreichen Beeren, um so über die Hungerphase zu kommen.
- Der Mensch nimmt häufig ununterbrochen zu viel Fruktose auf, vor allem als Kristallzucker oder Fruchtsaft. Säfte sollten deshalb besser verdünnt – 1 Teil Saft, 3 Teile Wasser – und nicht in großen Mengen getrunken werden.
- Fruktose in Obst ist für gesunde Menschen unproblematisch, da die enthaltenen Ballaststoffe eine zu schnelle Zuckerwirkung verhindern und Obst auch sekundäre Pflanzenstoffe und viele Vitamine liefert.
Eigentlich bräuchte der Körper keine freien Zucker. Er gewinnt Glukose, den Treibstoff für das Gehirn, auch aus Gemüse oder Brot. Sollte man Zucker dann nicht einfach ganz meiden? Hier sind Wissenschaftler:innen uneins: Einige sagen, Zero Sugar sei das beste. Andere plädieren für einen bewussten Umgang. „Da gerade unser Gehirn hauptsächlich Zucker benötigt, würde ein absoluter Verzicht eher schaden“, sagt Hauffe. „Essen soll auch Spaß machen, man sollte also keine Angst vor Zucker haben.“ Auch die Ernährungsberaterin Lohwasser meint: „Verbote sind kontraproduktiv.“ Tatsächlich hatten Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen oder schlechte Laune, wenn sie komplett auf Zucker verzichten mussten. Das Durchhalten fiel dadurch viel schwerer.
Doch auch kleine Schritte helfen. Das zeigte eine Studie der Universität Graz. Allein die Reduktion von Zucker über vier Wochen verbesserte bei den Teilnehmenden Gesundheit, Leistungsbereitschaft, Lebenslust, Konzentration – sowie das Durchhaltevermögen. Auch bei mir zeigen sich nach einigen Tagen Zuckerreduktion erste Effekte: Das Verlangen nach Zucker ist geringer, mein Geschmacksempfinden intensiver und ich habe das Gefühl, wacher zu sein.
Kommentare
Registrieren oder einloggen, um zu kommentieren.