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Dinkel: Vom Feld in die Backstube

Drei Männer und ihre Beziehungen: Dem einen ist sie ganz selbstverständlich. Der Zweite lässt lieber die Finger davon. Der Dritte liebt ihn leidenschaftlich – seinen Dinkel.

Für ihn ist Dinkel das Getreide der ökologischen Landwirtschaft – obwohl Bio-Bauer Andreas Gruel für das Urgetreide mehr rackert als für Weizen. So muss er zum Beispiel den Mähdrescher langsamer fahren: „Wegen der langen Halme.“ Bio-Dinkel kann zwei Meter Höhe erreichen. Das macht ihn sturmanfällig. Tatsächlich muss Andreas Gruel jedoch doppelt so viele Anhänger füllen wie bei Weizen – bei vergleichbarem Ertrag: Weil der Spelz bei Dinkel so fest am Korn sitzt, dass der Mähdrescher ihn nicht ablösen kann. Also landet Dinkel ummantelt auf dem Anhänger – und braucht mehr Platz. Das schlägt sich auf den Geldbeutel nieder, als Mehrkosten für die Lagerung. Doch der fest sitzende Spelz bringt auch Vorteile: Er schützt vor Verderb, Krankheiten und Umwelteinflüssen. Dinkel-Bauern können deshalb leichter auf chemische Pflanzenschutzmittel verzichten. Aber wie gesagt – das Auspacken ist ein Thema für sich. Andreas Gruel arbeitet seit 20 Jahren mit Dinkel. Er kennt sich aus und berät viele Kollegen. „Zu viel Düngen haut den Dinkel um.“ Mit einer mäßig stickstoffspendenden Vorfrucht dagegen, zum Beispiel Ackerbohnen, und ein bisschen Gülle kommt Dinkel selbst auf mageren Böden gut zurecht.

Damit es ihn nicht umhaut …

Trotzdem bauen inzwischen selbst konventionelle Landwirte wieder Dinkel an. Die von der Vollwert-Bewegung vorangetriebene Renaissance des Urgetreides – steigender Absatz mit zwischenzeitlich phänomenalen Preisen – hat wohl überzeugt. Was den Bio-Bauern ein bisschen ärgert: „Der konventionelle Dinkel läuft, weil die Leute glauben, Dinkel sei grundsätzlich bio.“ Stimmt aber nicht. Andreas Gruel verweist auf den sichtbaren Unterschied. „In meine Dinkelfelder kann ich reinlaufen und man sieht mich nicht mehr.“ Konventioneller schafft das nicht. Der wird mit Kunstdünger hochgepäppelt und mit Halmverkürzer behandelt, damit es ihn nicht umhaut. Und oft verwenden konventionelle Landwirte Saatgut, das mit Weizen gekreuzt wurde. Solche Sorten lassen sich zwar leichter pflegen und erzielen höhere Erträge, doch kleinere Erträge ergeben mehr Protein fürs einzelne Korn. Bio-Dinkelmehl lässt sich deshalb leichter backen. Außerdem vertragen Weizen-Allergiker häufig Dinkel besser, der nicht mit Weizen gekreuzt wurde. Bio-Bauern bevorzugen deshalb Ursorten.

Wenn Bio-Bäcker Bernd Sigel anruft, weil er Nachschub benötigt, füllt Bauer Andreas Gruel einen Anhänger mit Dinkel, koppelt ihn an seinen schnellsten Traktor und fährt los. Eineinhalb Stunden rattert er über die Alb, bis nach Neenstetten. Dort gibt es einen Kollegen, der sich auf das Gerben, also das Entspelzen von Dinkel, spezialisiert hat. Der Weg zu seinem Stamm-Müller, Ulrich Sting, wäre kürzer. Aber der hat so großen Respekt vor Dinkel, dass er ihn lieber anderen überlässt. 30 Prozent des Erntegewichts gehen ohnehin schon an Spelz verloren. Mehr darf das nicht werden. Und deshalb braucht es eine richtig gute Anlage, findet Ulrich Sting. Viel Aufwand, der sich für ihn nicht lohnt.

Dinkelbäcker aus Leidenschaft

Der Weilheimer Bio-Bäcker Bernd Sigel hingegen sieht in Dinkel eine Herausforderung. Er wollte immer schon mit dem Urgetreide arbeiten, das traditionell in seiner süddeutschen Heimat zu Hause ist. Diese Leidenschaft brachte ihm bei Kollegen an der Meisterschule sogar den Namen „Dinkele“ ein. Was ihn außerdem anspornte, mit Dinkel zu backen, war die Allergie seiner Frau.

Doch ganz einfach war das Backen mit dem Urgetreide anfangs nicht: Dinkelteig entwickelt zwar Volumen, geht aber nur in die Breite. Wie soll ein großes, rundes Brot daraus werden? Anfänger, denen der Teig zu weich vorkommt, versuchen, mit mehr Mehl auszugleichen. „Das gibt nur staubigen, krümeligen Kruscht“, sagt

Sigel. Daher hat Dinkelgebäck den Ruf, eine trockene Angelegenheit zu sein. Der Bio-Bäcker hat viel ausprobiert und weiß inzwischen, wie es besser geht: „Kneten, ruhen lassen, kneten – immer wieder“ und „viel Zeit zum Quellen lassen, am besten über Nacht.“ Dinkel kostet mehr Arbeit und Zeit als Weizen. Trotzdem kommt Sigel ins Schwärmen, wenn er von seinem Lieblingsgetreide erzählt: „Er schmeckt einfach lecker: nussig-mild.“ Die schwierige Seite des Dinkels nimmt er mit Sportsgeist: „Dinkel hat Charakter. Das ist wie mit einem guten Freund. Der darf auch Kanten und Ecken haben.“

Nussig, aber zickig

Bio-Bäcker lieben Dinkel, weil er nussig und aromatisch schmeckt. Bio-Bauern stehen auf ihn, weil er kaum Pflanzenschutzmittel braucht. Bio-Mütter backen mit ihm, weil er mehr wertvolle Inhaltsstoffe als Weizen hat. Doch das Urgetreide ist etwas zickig: Erstens beim Anbau und zweitens beim zusätzlichen Arbeitsgang des Entspelzens. Und auch beim Backen gilt es ein paar Dinge zu beherzigen.

Tipps fürs Backen und Kochen mit Dinkel

Hefeteig mit Dinkel ist relativ klebrig. Mit nassen Händen lässt sich der Teig leichter formen oder als Boden auf dem Blech auseinanderdrücken. Besonders große Poren und guten Geschmack entwickelt Brot, wenn der Teig über Nacht Zeit hatte, in einem kühlen Raum langsam zu gehen.

Ciabatta ist ein ideales Dinkelgebäck, denn sie verlangt eine lange Teigführung. Ebenso die süddeutschen „Dinkelseelen“: Das sind knusprige, längliche Fladen, die mit Salz und Kümmel bestreut werden.

Nudeln gelingen sogar ohne Ei. Schwaben verarbeiten Dinkelmehl gerne zu Spätzle. Diese sind allerdings ohne Ei undenkbar. Faustregel: Pro Person ein Ei und zwei gehäufte Esslöffel Mehl, etwas Milch und Salz. Dann schlagen, einige Minuten ruhen lassen, wieder schlagen – das macht gute Spatzen.

Biskuit: Für eine Biskuit-Rolle oder für einen Tortenboden Dinkel statt Weizen einzusetzen, ist gar kein Problem. Die Hauptrolle als Stützkorsett fürs Gebäck spielt hier ohnehin das Ei. Das Mehl ist Nebensache.

Hefe und Dinkel-Vollkornmehl sind ideale Gefährten, weil beide relativ viel Zeit brauchen, um sich optimal zu entwickeln. Das Backen in einer Form verhindert, dass das Gebäckauseinanderfließt.

Mürbeteig gelingt prima mit Dinkel. Der Teig wird allenfalls ein wenig klebriger. Tipp für die Weihnachtsbäckerei: Mit Dinkelmehl werden Vanillekipferl besonders locker und nussig.

Rührteig aus Dinkel schafft höchstens in Bäckereien bei größeren Mengen Probleme. Da kann es schwierig sein, einen homogenen Teig herzustellen. Bei kleineren Mengen taucht das Problem nicht auf.

Thermodinkel kann wie Reis zubereitet werden. Wer mag, produziert ihn im eigenen Herd: Körner waschen, auf einem Backblech verteilen und im Ofen 30 Minuten lang bei 60 bis 80 °C trocknen. Das Ergebnis schmeckt, hält sich besser als das rohe Korn und ist leichter verdaulich.

Grünkern ist unreif geernteter Dinkel. Darren macht die Körner lagerfähig. Sie glänzen grünlich und schmecken würzig. Backen kann man damit nicht, aber kochen: Bratlinge beispielsweise oder Aufläufe.

Dinkel: Viel Eiweiß, viele Mineralien

  • Dinkel liefert mehr Eiweiß als Weizen und mehr lebensnotwendige Aminosäuren. Außerdem überbietet Dinkel den Weizen mengenmäßig bei vielen Mineralstoffen.
  • Die Erkenntnisse zu Allergierisiken beruhen auf wissenschaftlich nicht abgesicherten Erfahrungen – man muss einfach selber ausprobieren, ob man Dinkel besser verträgt. Sicher ist jedoch, wer unter Zöliakie leidet, verträgt kein Gluten und damit keinen Dinkel.
  • Weizenallergiker, die auf anderes Eiweiß als Gluten reagieren, können möglicherweise unbehelligt Dinkel essen.
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