Viele träumen von einer besseren Welt, der 22-jährige Joseph Wilhelm, Firmengründer von Rapunzel, krempelt 1976 seine Ärmel hoch. Will er ungeschwefelte Bio-Sultaninen fürs seine Bio-Müslis und die gibt es damals noch nicht, dann beschafft er eben welche. Und wenn er dafür 2300 Kilometer bis nach Izmir fahren muss. Er steigt in den Zug nach Athen und zieht von dort weiter mit dem Schiff und Bus.
Nun muss er „nur noch“ ein paar türkische Bauern vom Öko-Landbau überzeugen: Sie schulen, wie man auf natürliche Weise Pflanzen, Böden und das gesamte Ökosystem gesund hält, ohne Pestizide und ohne künstliche Dünger. Im ersten Jahr fällt deren Ernte noch recht mager aus, im zweiten Jahr schon etwas besser und im dritten Jahr fahren sie höhere Erträge ein als die konventionell wirtschaftenden Kollegen. Der Erfolg macht die Runde. Mehr und mehr Bauern aus der Region steigen auf Bio um.
1985 werden die ersten zertifizierten Bio-Sultaninen von Izmir nach Triest verschifft und von dort über die Alpen zur Rapunzel-Firmenzentrale ins Allgäu gebracht. Heute wirtschaften rund 80 Bauern in der Region Manisa ökologisch.
Getrocknete Trauben: die Unterschiede
Helle Sultaninen: Die weißen, reifen Sultana-Trauben werden mit Olivenöl und Pottasche „gedippt“ und trocknen in etwa fünf bis sieben Tagen an der Sonne. Durch das Dippen und die kurze Trocknungszeit behalten sie ihre helle Farbe. Sultaninen schmecken süßer und etwas feiner als Rosinen und sind weicher.
Braune Rosinen: Sie werden ebenfalls aus weißen Trauben hergestellt, trocknen aber länger, ohne Dip in etwa acht bis zwölf Tagen und werden dabei dunkler.
Dunkle Korinthen: Sie werden nicht aus weißen, sondern blauen Trauben aus der griechischen Stadt Korinth hergestellt.
Sultanas aus Manisa
50 Jahre später: Inmitten der Bio-Weingärten hängt der süße, schwere Duft von trocknenden Trauben in der Luft. Die Bauern haben tags zuvor geerntet. Nun liegen die Früchte in langen Reihen zum Trocknen in der Sonne. Zuvor haben sie sie „gedippt“, das heißt, mit einer Lösung aus Pottasche, Olivenöl und Wasser benetzt, wie die Rapunzel-Geschäftsführerin Margarethe Epple erklärt. Die Mischung mache die Haut der Weinbeeren durchlässiger. Dadurch trocknen sie schneller und bleiben schön goldgelb.
Etwa fünf bis sieben Tage dauert es, bis die kernlosen Sultana-Trauben getrocknet sind. Währenddessen wachen die Bauern bei Tag und bei Nacht über ihre Ernte, um sie vor wilden Tieren und Dieben zu schützen. Wenn es sein muss, feuern sie Schreckschüsse ab, um die ungebetenen Gäste zu verjagen. Landen dabei metallische Hülsen in den Sultaninen, haben starke Magnete später in der türkischen Rapunzel-Zentrale in Ören, nahe Izmir etwas zu tun.
Es flirrt die Luft in der trockenen Hitze des mediterranen Spätsommers. Die Bauern laden uns unter ein grünes Blätterdach in die Dorfkneipe ein. Wir trinken zusammen Tee und kühle Getränke. Wilde Hunde nähern sich neugierig, aber respektvoll. Der Muezzin ruft zum Gebet. So viel Dorfleben wirkt entschleunigend.
»Mit Olivenöl und Pottasche gedippt trocknen Sultaninen schneller und bleiben hell.«
Klimawandel setzt Feigen zu
Neben Sultaninen stammen auch die getrockneten Bergfeigen von Rapunzel aus dem Westen der Türkei, genauer gesagt aus Aydin. Hier gedeihen sie in abgeschiedenen Bergregionen ohne konventionell wirtschaftende Nachbarn, sodass sie vollkommen unbelastet wachsen können.
Die Sultaninen und Bergfeigen füllen allmählich die Lager in Ören. Die Produktion läuft auf Hochtouren. Jetzt werden die sonnengetrockneten Früchte gereinigt, gewaschen, getrocknet. Gesiebt, gerüttelt, von Steinchen, Stöckchen, Stielen und Metallteilchen befreit und sortiert.
Gleichzeitig beginnen die Preisverhandlungen. Hierzu ist die Geschäftsführerin Margarethe Epple eigens nach Ören angereist. Drei Tage lang wird kalkuliert, verhandelt und gefeilscht. Natürlich spielt dabei eine Rolle, wie die Ernte insgesamt ausgefallen ist und welche Qualität die Früchte haben. Leider war die Bergfeigenernte in diesem Jahr nicht ganz so gut. Eigentlich brauchen Feigen nicht viel Wasser, aber es habe seit März nicht geregnet, berichtet Agrar-Ingenieur Ahmed. Normalerweise fallen Niederschläge bis in den Mai hinein. Das Klima verändere sich. Auch schneie es im Winter seit einigen Jahren nicht mehr auf den Bergen. Die Bäume leiden unter dem zunehmenden Wassermangel und versuchen zu überleben. Daher bilden sie weniger, kleinere oder hohle Früchte aus. Schon vor zehn Jahren haben die Bauern tiefe Brunnen gebohrt, damit sie ihre Bäume bewässern können. Seither liegen die Gummischläuche als stille Zeugen der Klimaveränderung in den Feigenhainen. Vielleicht werden die Bauern noch tiefer bohren. Margarethe Epple sagt: „In diesem Jahr gibt es goldene Feigen.“ Damit gemeint ist, dass der Preis hoch sein wird.
»Das Klima ändert sich, seit zehn Jahren müssen wir unsere Bergfeigen bewässern.«
Bergfeigen trocknen am Baum
Ausgerüstet mit einem Stecken und einem Korb „helfe“ ich bei der Ernte. Bergfeigen trocknen direkt am Baum. An jedem Baum hängen Früchte in unterschiedlichen Reifestadien. Es wird daher in drei Etappen geerntet. Die Bauern schlagen mit Stecken auf die Äste, bis die trockenen Feigen herabfallen und man sie aufsammeln kann. Klingt ganz einfach, ist es aber nicht. Mein Korb wird und wird nicht voll. „Keine Ernte, kein Essen!“, scherzt Landwirt Yaya und lacht. Zu essen bekomme ich trotzdem.
Sobald die Feigen in der Firmenzentrale ankommen, werden sie bei minus 35 Grad Celsius schockgefrostet, um Schädlinge abzutöten. Mit giftigen Chemikalien zu begasen, ist tabu. Im Anschluss wird jede Feige drei Mal auf Aflatoxine untersucht. Befallene Früchte werden vernichtet (siehe Kasten links). Feigen, die diesen Qualitätsprozess erfolgreich durchlaufen haben, werden gereinigt und in einer Salzlösung gewaschen, damit sie eine saftige, glänzende Oberfläche erhalten. Sie werden nach Größe, Aussehen und Farbe sortiert.
Manchmal haben Trockenfeigen im Sommer einen weißen Belag. Das ist kein Schimmel, sondern das natürliche Auszuckern der Früchte, wenn die Restfeuchtigkeit sich verringert.
Die Türkei ist Exportweltmeister bei Trockenfrüchten, damals wie heute. Seit der 22-jährige Joseph 1976 mit Bio-Rosinen im Kopf nach Izmir kam, zieht die Karawane mit Trockenfrüchten in Bio-Qualität nach Deutschland. Weihnachten ist nicht mehr weit. Es darf wieder Stollen gebacken werden.
Schimmel kommt nicht in die Tüte
Aflatoxine sind hochgiftige, krebserregende Abbauprodukte von Schimmelpilzen, die in der Natur weit verbreitet sind. Kochen oder Backen zerstört sie nicht. Man schmeckt und riecht sie nicht. Sie sind farblos und mit bloßem Auge nicht zu erkennen.
Allerdings leuchten belastete Lebensmittel unter UV-Licht neongelb fluoreszierend. In der Rapunzel-Firmenzentrale in Ören wird in einem abgedunkelten Raum Feige für Feige mit UV-Licht angestrahlt und begutachtet. Neongelb schimmernde Früchte werden aussortiert und vernichtet. Jede Feige wird zusätzlich mit einem Zahnstocher durchstochen, einmal von oben nach unten, einmal von rechts nach links. Sind neongelbe Spuren am Holzstäbchen zu erkennen, wird die Feige entsorgt. Die Untersuchung erfordert viel Konzentration und ganz genaues Hinschauen. Spätestens nach zwei Stunden müssen die Mitarbeiter:innen Pause machen, um ihre Augen auszuruhen.
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Bio sind die besten
Ökotest Nov. 74:
K-Bio-Sultaninen - mangelhaft
Denree Bio Sultaninen - ungenügend