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Tierschützer vor Gericht

Immer wieder filmen Aktivisten in Ställen Tierquälerei, die es eigentlich nicht geben dürfte. Manche stehen dafür sogar vor Gericht. Was läuft da schief?

Der Stall war riesig, seine Ausmaße konnte man im Licht der Taschenlampe nur ahnen. „Von der Decke hingen gewaltige Spinnweben, es war dreckig und auf den Wegen lagen tote Ratten und Mäuse“, erinnert sich Sandra Franz. „Überall schwirrten Fliegen und es stank extrem. Es war die Hölle.“

Die Hölle, von der die Tierrechtsaktivistin spricht, liegt in Sandbeiendorf in Sachsen-Anhalt. Dort hält ein niederländischer Agrarindustrieller 65 000 Schweine. Eine Fabrik, in der Sauen, in enge Kastenstände gezwängt, als Gebärmaschinen Ferkel werfen. Sandra Franz war 2013 dort, bei Nacht und mit einer Kamera in der Hand. Sie fotografierte kranke und verletzte Tiere in verkoteten Buchten, die Spaltenböden mit ihren zu breiten Spalten und darunter die Gülle, in der sich Milliarden von Maden tummelten.

Tierschutz oder Hausfriedensbruch?

„Ich will die Menschen aufklären, sie mit der Wirklichkeit in der Nutztierhaltung konfrontieren“, sagt die Aktivistin. Die Bilder gab sie an Animal Rights Watch (Ariwa) weiter. Die Tierrechtsorganisation vermittelte die Fotos an das ARD-Magazin Brisant und stellte Strafanzeige gegen den Betreiber. Doch vor Gericht landete nur Sandra Franz. Denn auch der Betreiber hatte Anzeige erstattet, wegen Hausfriedensbruch, gegen unbekannt. Die Staatsanwaltschaft forderte Ariwa auf, die Namen der Aktivisten zu nennen. Um eine drohende Hausdurchsuchung bei der Organisation zu verhindern, bekannten sich Sandra Franz und ihre beiden Mitstreiter zu der Tat und wurden prompt angeklagt. Hausfriedensbruch kann mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe geahndet werden.

Bundesregierung will härtere Strafen

Der Bundesregierung reicht das nicht. „Wir wollen Einbrüche in Tierställe als Straftatbestand effektiv ahnden“, steht im Koalitionsvertrag. 2018 sprach Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner von „selbsternannten Stallpolizisten“, von „Selbstjustiz“ und kündigte härtere Strafen an. Damit wollte sie vor allem aufgebrachte Landwirte beruhigen. Denn in den Monaten zuvor hatten Tierrechtsaktivisten gezielt Ställe besucht, die Verbandsfunktionären oder Politikern gehörten, und die Tierquälerei dort öffentlich gemacht. Wer die Filmer waren, konnte die Polizei – wie meistens in solchen Fällen – nicht herausfinden. Verhandlungen vor Gericht, wie die gegen Sandra Franz und ihre Mitstreiter sind daher eher selten.

Wir sind frei, aber die Schweine in diesem Stall leiden weiterhin.

Sandra Franz, Tierschützerin

Gericht spricht Tierschützerin frei

Sandra Franz und ihre Mitstreiter wurden von der Richterin am Amtsgericht Haldensleben freigesprochen. Sie stellte in ihrem Urteil fest, dass das staatliche Veterinäramt seine Kontrollpflichten nicht erfüllt hatte und das Rechtsgut Tierschutz in Gefahr war. Ein Notstand also, der den Hausfriedensbruch rechtfertigte. „Der Einstieg, das Filmen, die Strafanzeige und die Veröffentlichung des Bildmaterials waren die geeigneten Mittel, um die Missstände abzustellen“, schrieb die Richterin in ihrer Begründung. Das Oberlandesgericht Naumburg bestätigte 2018 in letzter Instanz den Freispruch. „Das Urteil war klasse, wir fühlten uns von der Richterin gewürdigt“, sagt Sandra Franz. Dass es durch alle Instanzen bestätigt wurde, nennt sie einen „Sieg für den Tierschutz“. Richtig freuen kann sie sich dennoch nicht. „Wir sind frei, aber für die Schweine in diesem Stall und in vielen anderen hat sich kaum etwas geändert. Sie leiden weiterhin.“

Gegen Landwirte wird zur selten ermittelt

Die Staatsanwaltschaft hatte trotz der detaillierten, mit Beweisbildern ausgestatteten Strafanzeige die Ermittlungen gegen den niederländischen Schweinebaron eingestellt und das Verfahren an das Veterinäramt zurückgegeben. Dieses verhängte ein hohes Ordnungsgeld und verlangte einige bauliche Änderungen. Das war alles, die Anlage ist weiterhin in Betrieb.

Dass die Justiz nur selten gegen Straftaten von Landwirten in Ställen vorgeht, hat System. Schon 2015 stellte das bundeseigene Thünen-Institut fest, dass viele Staatsanwälte und Richter wenig Interesse am Tierschutz haben und entsprechend geringe Fachkenntnisse. Da Staatsanwaltschaften und Gerichte personell schlecht ausgestattet sind, hätten dann andere Themen Priorität. Die Rechtsanwältin Davina Bruhn hat für Greenpeace Bescheide analysiert, mit denen Staatsanwaltschaften Anzeigen von Tierschützern abgewiesen und ihre Ermittlungen eingestellt hatten. „Die Staatsanwaltschaften verletzen ihre Ermittlungs- und Verfolgungspflichten“, schreibt die Anwältin. Zudem würden die Staatsanwälte häufig zugunsten der Tierhalter annehmen, dass diese ohne Vorsatz gehandelt oder sich in einem Irrtum befunden hätten.

Der Mannheimer Strafrechtsprofessor Jens Bülte argumentiert, dass das Tierschutzstrafrecht auf Fehlverhalten im Einzelfall ausgelegt sei, etwa auf den im heißen Auto eingesperrten Hund oder ein geprügeltes Tier. Systematische Verstöße durch Massentierhaltung, etwa durch zu enge Kastenstände für Schweine oder zu viele Hühner im Stall, würden dagegen selten strafrechtlich verfolgt, „obwohl gerade auch in diesem Bereich viele Misshandlungen stattfinden“, so Jens Bülte.

Aufnahmen aus dem Stall - Was darf ins TV?

Dürfen TV-Magazine illegal entstandene Videos überhaupt ausstrahlen? Ein Bio-Legehennenhalter hatte gegen den Sender MDR geklagt, weil dieser 2012 Aufnahmen aus seinen Ställen mit toten und kranken Tieren gesendet hatte. Der Bundesgerichtshof entschied im April 2018, dass illegal entstandene Videos aus Ställen im Fernsehen gezeigt werden dürfen. Zwar könnten die Bilder „das Ansehen und den wirtschaftlichen Ruf der Klägerin in der Öffentlichkeit beeinträchtigen“, schrieben die Richter. Doch das Interesse der Öffentlichkeit an den Informationen sei größer. Dies gilt nach Ansicht der Richter auch dann, wenn die Bilder selbst keine Straftaten zeigen, sondern nur die Diskrepanz zwischen den „herausgestellten hohen ethischen Produktionsstandards einerseits und den tatsächlichen Produktionsumständen andererseits“.

Veterinäramt und Tierärzte schauen weg

In Deutschland wurde erstmals 2019 ein Nutztierhalter wegen Tierquälerei zu einer Haftstrafe verurteilt. Drei Jahre sollte er ins Gefängnis, weil er über vier Jahre hinweg Schweine unter katastrophalen Zuständen in zwei völlig überfüllten und verdreckten Ställen gehalten hatte. Die Berufungsinstanz verringerte die Strafe im Februar 2020 auf zwei Jahre auf Bewährung.

Staatsanwälte werden meist erst tätig, wenn Bilder aus Ställen Belege für Verstöße gegen das Tierschutzrecht liefern. Doch eigentlich dürfte es diese Bilder gar nicht geben, schließlich sollten die Ställe und Betriebe durch Veterinärämter kontrolliert werden. Doch diese sind chronisch unterbesetzt. „Es gibt 3900 Amtstierärzte in ganz Deutschland, wir bräuchten 2000 mehr, um alle uns zugewiesenen Aufgaben erfüllen zu können“, sagt Holger Vogel, Präsident des Bundesverbandes der beamteten Tierärzte. Die Folge des Personalmangels: Bundesweit bekommt ein tierhaltender Landwirt im Schnitt alle 17 Jahre Besuch vom Amtsveterinär. Und sogar dann sieht mancher Kontrolleur das Offensichtliche nicht.

So wie im Landkreis Schwäbisch Hall. Dort stiegen 2015 Tierrechtler in einen Putenmastbetrieb ein und dokumentierten Verstöße gegen das Tierschutzgesetz: Auf engstem Raum zusammengepferchte Tiere, die auf stark verschmutzter Einstreu im eigenen Kot standen und von denen viele sichtbar krank waren. Aufgrund dieses Materials wandte sich der Verein „Menschen für Tierrechte Baden-Württemberg“ an das zuständige Veterinäramt und forderte, die Behörde solle die Zustände abstellen und die Tierhaltung untersagen. Das Veterinäramt kontrollierte den Betrieb und befand, „dass es sich um eine verhältnismäßig gute Putenhaltung handle und keine Maßnahmen notwendig seien“, zitiert Stephanie Kowalski von Menschen für Tierrechte aus einer Stellungnahme des Amtes. Ihr Verein beschloss daraufhin, das Veterinäramt wegen Untätigkeit zu verklagen.

Die Staatsanwaltschaften verletzen ihre Ermittlungs- und Verfolgungspflichten.

Davina Bruhn, Rechtsanwältin

In Baden-Württemberg darf für Tiere geklagt werden

Das war möglich, weil Baden-Württemberg eines von sieben Bundesländern ist, in dem Tierschutzorganisationen ein Verbandsklagerecht haben. Sie können dadurch im Namen der Tiere in Verwaltungsverfahren Stellung beziehen und vor Gericht ziehen, wenn Behörden nichts tun oder falsch entscheiden. Bundesweit fehlt eine solche Regelung. Das Verwaltungsgericht Stuttgart lehnte die Klage jedoch ab, woraufhin der Verein den Verwaltungsgerichtshof (VGH) in Mannheim anrief. Ende Januar 2020 reichten die Tierrechtler dort ihren Schriftsatz ein. Zwar betrifft die Klage nur einen einzelnen Betrieb. „Aber wir gehen davon aus, dass der VGH mit Gutachtern beider Seiten diskutieren wird, inwieweit die Putenhaltung mit ihren überzüchteten Tieren auf engstem Raum grundsätzlich gegen das Tierschutzrecht verstößt“, erklärt Kowalski. Endgültig wird das vermutlich das Bundesverwaltungsgericht klären müssen.

Tierschützerin: „Tierschutz braucht viel Kraft“

Das wird noch einige Jahre dauern und bis dahin wird es auch aus Putenställen immer wieder Bilder geben, die das Leid der Tiere zeigen und politisches Handeln anmahnen. Sandra Franz geht nicht mehr in solche Ställe. Die promovierte Biochemikerin ist inzwischen Pressesprecherin von Ariwa. „Ich habe das nicht gepackt“, sagt sie. Es brauche viel Kraft, diese Bilder zu verarbeiten. „Im Stall bist du im Arbeitsmodus, du hast einen Auftrag zu erledigen“, beschreibt sie diese Arbeit. „Du darfst die einzelnen Tiere nicht an dich ranlassen, einem Schwein in die Augen schauen. Sonst ist die Distanz weg und die Emotionen kommen hoch.“ Im Stall von Sandbeiendorf ist ihr das passiert. „Ich sah ein gerade zur Welt gekommenes Ferkel, es war schwächlich, konnte nicht zur Wärmelampe kommen. Deshalb habe ich es darunter gelegt. Da packte mich mit krasser Wucht der Gedanke, dass ich all diesen Ferkeln nicht helfen kann. Das hat mich ziemlich fertig gemacht.“ Doch ohne solche Bilder, sagt die Pressesprecherin auch, werde sich nichts ändern. Deshalb sorgt sie dafür, dass die Bilder ihren Weg ins Fernsehen finden.

Links und Buchtipps

Buchtipps

Balluch, Martin: Im Untergrund – Ein Tierrechtsroman nach wahren Begebenheiten. Verlag Promedia, 2018, 440 Seiten, 19,90 €

Precht, Richard David: Tiere denken – Vom Recht der Tiere und den Grenzen des Menschen. Verlag Goldmann, 2018, 512 Seiten, 12 €

Links

Nichts für schwache Nerven: Filme aus Ställen, Schlachthöfen und Versuchslaboren gibt es unter:

"Wir wollen, dass Gesetze eingehalten werden"

Welche rechtlichen Mittel braucht es, um Tiere zu schützen? Wir sprachen mit Evelyn Ofensberger vom Deutschen Tierschutzbund.

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