Die Produktionstechnik ist modern, die Methode im Grunde uralt: Frisch geerntete Körner werden mit Hilfe von Wärme schonend gedarrt. Das so gewonnene Thermo-Getreide gilt als besonders bekömmlich und hat einen feinen, nußartigen Geschmack.
Das Darren von Getreide kannten schon die Römer der Antike. Sie haben das frische oder eingeweichte Korn an der Sonne und im Ofen erhitzt, damit es mehr Aroma entwickelte und sich schneller garen ließ. In Schwaben hat das Trocknen des unreif geernteten Dinkels (Grünkern) über dem Holzfeuer noch heute Tradition. Das Verfahren diente zunächst allein der Konservierung, geschmackliche und ernährungsphysiologische Aspekte gewannen erst später an Bedeutung. Die möglichst schonende Wärmebehandlung ist also historisch betrachtet nicht neu.
Anders der Begriff Thermo-Getreide, der bei den meisten Menschen nur Schulterzucken hervorruft. Er wird erst seit etwa 20 Jahren verwendet für ein bestimmtes Produkt, das durch modernisierte Darrverfahren entsteht. Eigentlich ist jedes wärmebehandelte Korn "Thermo-Getreide" im weitesten Sinne, doch wird es in der Regel nicht als solches deklariert.
Trotz Dr. Brukers unermüdlicher Propaganda für den Frischkornbrei, der zu einem Dogma der Vollwertkost avancierte, setzte sich hier und da die Erkenntnis durch, daß viele Menschen ihr rohes Müsli nicht so gut vertragen, wie die Theorie es will. Der wertvolle Inhalt, darunter neben Stärke und Eiweiß viele B-Vitamine, Mineral- und Ballaststoffe, liegt schwer im Magen und wird nur unvollständig verdaut. Daß Unverträglichkeiten häufig durch allgemeine Ernährungsfehler verstärkt werden, ist gar keine Frage. Dennoch stellt dieser Erklärungsansatz nicht ganz zufrieden.
"Ausgereiftes Getreide wurde - nach aller geschichtlichen und vorgeschichtlichen Rückforschung - niemals roh und unbearbeitet genossen", behauptet Anni Gamerith in ihrer kleinen Schrift "Lebendiges Ganzkorn". Die Grundtechniken des Getreideaufschlusses, das Stampfen, Quellen und Dörren, sind Jahrtausende alt, Wasser und Feuer waren fast immer beteiligt. Verfahren wie Schroten (Mahlen), Keimen, Kochen und Backen sind überall verbreitet. Die Verwendung von Hitze reicht vom schlichten Trocknen über ein Dörren, das die Eigenfeuchtigkeit des Kornes reduziert, bis hin zum leichten Rösten, das die Umwandlung der Stärke in Zucker einleitet. Dem Darren, der Aufschließung des Korns durch Trockenwärme, hat man besonders in Nordeuropa seit jeher große Aufmerksamkeit geschenkt. Dort legt man frisch geerntete Körner auf Steinen in der Sonne aus, um sie nachzureifen.
Diese Weiterführung des natürlichen Reifeprozesses hatte die Firma Bauck im Auge, als sie vor rund 20 Jahren einen speziellen Steinofen zur Herstellung von Thermo-Getreide entwickelte. Weil die Steine von außen erwärmt werden, kommt das (unbehandelte) Getreide nur indirekt mit der Hitze in Berührung. Nach acht- bis zwölfstündigem Darren kühlen die Körner allmählich ab und werden anschließend auf einer Natursteinmühle zu Grütze, Grieß oder Mehl vermahlen. Nur der Hafer wird vor dem Darren kurz eingeweicht, weil er wegen des hohen Fettgehalts sonst verbrennen würde.
Gut verträglich und in 20 Minuten fertig auf dem Tisch
Unter dem Slogan "Aufgeschlossenes Getreide für aufgeschlossene Leute" führt Bauck folgende Vorteile von Thermo-Getreide ins Feld: es ist schnell zubereitet, lecker, locker und körnig, bestens bekömmlich, vollwertig mit vielen Ballaststoffen und aus regionalem Ü Ü Demeter-Korn hergestellt. Weitere Pluspunkte: das nußartige Aroma sowie geringere Feuchtigkeit und weniger Schädlingsbefall. Das gedarrte Thermo-Getreide ist somit besser zu lagern und erheblich leichter zu vermahlen. Neben der hervorragenden Verdaulichkeit ist für eilige Menschen die Verkürzung der Kochzeiten von großem Interesse. Wer die Grütze für zwei bis drei Minuten ins sprudelnde Wasser wirft, hat nach 20 Minuten Quellzeit auf niedriger Flamme ein fertiges Gericht auf dem Tisch. Fünf verschiedene Thermo-Getreide hat Bauck im Sortiment, Weizen, Gerste, Hafer, Roggen und Dinkel, außerdem 3- und 4-Korn-Mischungen.
Nach Auskunft von Susan Bauck liegen die Temperaturen im Inneren der Körner während des Darrvorgangs unter 100 Grad. Auf die unvermeidliche Frage, ob bei so vielen Vorzügen durch das Darren nicht auch Nachteile in Form von Vitaminverlusten entstehen, antwortet sie: "Wer primär seinen Vitaminbedarf decken möchte, sollte Obst und Gemüse essen".
Ähnlich argumentiert auch Klaus Werder, der seinerzeit bei Bauck Pionierarbeit in Sachen Thermo-Getreide leistete und 1989 zu ErdmannHAUSER wechselte. "Ich halte den Genuß von unverdaulichem Getreide für viel gefährlicher als eventuelle Vitaminverluste". Werders neues Unternehmen schließt Dinkel im Drehtrommelofen thermisch auf, was vor allem die Verdauung der Kohlenhydrate erleichtern soll. Beim Darren werden immer auch Enzyme zerstört, die sonst eine schnelle, aber unerwünschte Veränderung (Oxidation) der Fettsäuren bewirken.
Der Produktion von Bulgur, Gersten-Talkuna und Buchweizengrütze geht der hydrothermische (Wasser und Wärme) Aufschluß der ganzen Körner voraus. Die genannten Speisen haben allesamt einen hohen Sättigungswert. Diese "quantitative Einsparung" , so Werder, sei auch im Hinblick auf die Welternährungslage von Belang. Er verweist auf verschiedene Fütterungsversuche bei Tieren, denen man aufgeschlossene Körner zu fressen gab. Ausnutzungswert und biologische Verfügbarkeit waren so hoch, daß sich der Getreidebedarf um 10 bis 15 Prozent verringerte. Daß der schonende Wärmeprozeß dem behandelten Korn eher nutze als schade, hänge nicht zuletzt von der Qualität der verwendeten Sorten ab, die aus biologisch-dynamischem Anbau stammen. Die Getreideerzeugnisse von ErdmannHAUSER tragen nicht das Attribut "Thermo". Darauf hat sich Werder bei der Trennung mit seinem früheren Arbeitgeber geeinigt. Obwohl der Ausdruck Thermo-Getreide nicht gesetzlich geschützt ist, scheint er mehr oder weniger für die Erzeugnisse aus dem Hause Bauck reserviert.
Quellgetreide in verschiedenen Variationen hat die Naturkostmühle Werz schon seit Jahren im Sortiment: Bratlingsmischungen, Risottos und Getreidesalate auf Weizen- , Grünkern-, Hafer- oder Dinkelbasis. Ursprünglich hatte Firmenchef Karl-Otto Werz seine frühen "Convenience-Produkte" für die Gastronomie entwickelt. Die Körner werden vor dem Darren angefeuchtet und später je nach Verwendungszweck geschrotet. Werz zitiert den Vollwert-Pionier Kollath, der seinerzeit nicht nur Frischkorn propagiert habe, sondern auch die Getreide-Konservierung mit milder Wärme.
Die Bohlsener Mühle handelt zwar nicht mit Thermo-Getreide, liefert aber einen Schnellkochreis an Großküchen, der leicht mit wasser besprüht und per Infrarot-"Toasting" geröstet wurde, um Aufschluß und Geschmack zu verbessern. Der Koch-Dinkel ist nicht wärmebehandelt, sondern nur geschliffen, was die Wasseraufnahme und die Quellfähigkeit steigert. Geschäftsführer Volker Krause weist darauf hin, daß auch die beliebten Getreideflocken vorher thermisch aufgeschlossen wurden, sofern man sie nicht selbst zu Hause mit dem Flocker quetscht.
Thermo-Getreide - noch ein Randprodukt
Eine messerscharfe Definition des Begriffs Thermo-Getreide ist streng genommen nicht möglich. Klaus Werder würde auch Bulgur und Couscous dazurechnen, die Unterschiede sind in der Tat minimal. Bulgur ist ein Weizengericht, das im nahen und mittleren Osten sowie in Nordafrika verbreitet ist. Bei seiner Herstellung werden die Weizenkörner in Wasser eingeweicht, eine bis drei Stunden lang vorgekocht, an der Luft getrocknet und grob geschrotet. Die meisten Nähr- und Wirkstoffe des vollen Korns bleiben so erhalten. Im den Regalen der Bioläden findet man oft Bulgur aus französischem Hartweizen.
Couscous, das in Algerien und Tunesien Nationalspeise ist, entsteht auf ähnliche Weise. Nur wird hier zuerst geschrotet und später angefeuchtet. Es folgen das Vorgaren mit heißem Wasserdampf und abschließendes Trocknen. Couscous braucht nur gut zehn Minuten Kochzeit und ist noch schneller zubereitet als Bulgur, das 20 Minuten benötigt.
Im Naturkostladen ist Thermo-Getreide nach wie vor eher ein Randprodukt. Die Nachfrage ergab, daß viele Ladner das Darrkorn gar nicht führen, weil es zu selten gekauft wird. Dies wäre wahrscheinlich anders, wenn bekannt wäre, daß sich aus Thermo-Getreide mit wenig Aufwand leckere Beilagen, Bratlinge, Füllungen, Aufläufe, Suppeneinlagen oder Gemüsepfannen zaubern lassen. Grieß und Mehl eignen sich als Grundlage für Kinderbrei. Im Moment greift die Kundschaft aber lieber zu den Importgetreiden Hirse und Reis. Klaus Werder liegt sehr daran, die Aufmerksamkeit der Verbraucher wieder mehr auf die heimischen Körner zu lenken und sieht darin sogar eine "volkspädagogische Aufgabe". Vor dem Siegeszug der Kartoffel war es üblich, daß die Menschen ihren Hunger in erster Linie mit den Früchten der eigenen Feldwirtschaft stillten. Ob dies jemals wieder so sein wird, ist allerdings fraglich. Dennoch könnte Thermo-Getreide helfen, dem europäischen Korn wieder den Platz in unserer Ernährung zu sichern, den es nach Meinung vieler verdient.
Literatur/Adressen
- Anni Gamerith: Lebendiges Ganzkorn -Neue Sicht zur Getreidefrage, Verlag Neues Leben, Bad Goisern 1956 (im Buchhandel nicht erhältlich).
- Kostenlose Rezepte mit Thermo-Getreide können bei Bauck abgefragt werden unter der Telefonnummer 05803-1004.
- Klaus Werder (ErdmannHAUSER), Riedstraße 1, 71729 Erdmannhausen, Telefon 07144-33826.
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