Essen

Sophia Hoffmann: „Wir ernähren uns ja nicht nur von schlappen Karotten“

Die Köchin und Autorin Sophia Hoffmann bringt mit „Zero-Waste-Küche“ ein großes Nachschlagwerk zum restlos guten Kochen heraus. Ob man ausgetriebene Zwiebeln noch essen kann und warum Milchschaum-Ricotta eine Pionierleistung ist, verrät sie im Interview.

In Deutschland sind Lebensmittel unvergleichbar günstig. Warum beschäftigen Sie sich in Ihrem neuen Buch mit dem Thema Verschwendung?

Die Zahlen sprechen für sich: Laut einer WWF-Studie landen 18 Millionen Tonnen Lebensmittel pro Jahr im Müll, davon 40 Prozent in Privathaushalten. Eine andere Studie sagt, dass bei uns jede fünfte Backware weggeworfen wird. Dafür braucht es eine Anbaufläche in der Größe von Mallorca, die Lieblingsinsel der Deutschen. Wir reden von einer riesigen Energieverschwendung und wir haben alle unseren Anteil daran. Irgendwann ist uns die Wertschätzung für Lebensmittel leider flöten gegangen.

Ein gutes Sauerteigbrot hielte eigentlich ja eine halbe Ewigkeit. Hat das Wegwerfen auch mit schlechter Qualität zu tun?

Absolut. Ich habe da für mein Buch spannende soziologische Zusammenhänge recherchiert. Brot ist ja kulturgeschichtlich für die Menschheit so ein wichtiges Lebensmittel: um Kornkammern wurden ganze Kriege geführt, die Menschen sind überhaupt erst sesshaft geworden, um Getreide anzubauen.

Nun ist es ein Wegwerfprodukt, sagen Sie.

Leider. Da steckt natürlich ein wirtschaftlicher Wandel dahinter: Brot aus dem Aufbackshop wird uns mittlerweile als frisches und gutes Produkt verkauft – was natürlich Quatsch ist. Ein ordentliches Sauerteigbrot ist doch viel bekömmlicher. Die Probleme mit Gluten, die ganzen Überreaktionen kommen oft daher, dass wir einfach zu viel minderwertige Qualität essen.

Sie haben im Buch beschrieben, wie Ihr Vater früher sogar demonstrativ eine Tüte mit saurer Milch ausgetrunken habe. Fanden Sie das als Kind gut?

Das war sicher das irrste Beispiel, mein Vater ist eben ein theatralischer Mensch. Solche Dinge tat er, um seinen Punkt zu machen und ein bisschen zu provozieren. Er hat sonst eher Hüttenkäse aus der Milch gemacht. Auf jeden Fall hat es mich nachhaltig beeindruckt und wahnsinnig geprägt, wie meine Eltern mit Lebensmitteln und eigentlich mit allen Dingen umgegangen sind: Dass – auf gut Deutsch – die Socken gestopft wurden. Solche Gewohnheiten sind in unserer Konsumgesellschaft verlorengegangen.

Gab es nie Rebellion?

Doch, natürlich. Wenn man in so einem Biohaushalt aufwächst, ist man ja nicht taub und blind gegenüber Konsumversprechen. Diese Werbelügen mit der Milch von der lila Kuh sind wahnsinnig verlockend in dem Alter und auch ich wollte zu diesem Mainstream dazugehören. Als ich zuhause ausgezogen bin, habe ich mir den ganzen Mist gekauft, all die hoch verarbeiteten Convenience-Produkte, weil ich es endlich konnte.

Ausgerechnet Sie.

Wir sollten nicht unterschätzen, wie stark wir von der Werbekraft beeinflusst sind. Da werden Millionen und Abermillionen im Jahr ausgegeben, um uns Botschaften zu vermitteln. Lustig finde ich das immer, wenn es darum geht, weniger Fleisch zu essen. Da kommt ja oft das Argument: „Ich lasse mir doch nicht vorschreiben, was ich essen soll!“ Aber das tun wir doch schon längst: eine komplette Industrie erzählt uns jeden Tag, was wir essen sollten. Insofern bin ich sehr dankbar dafür, was meine Eltern mir damals weitergegeben haben.

Was davon steckt denn in Ihrem Buch. Sind das Omas Haushaltstricks?

Zum Teil ja, aber auch viele moderne Techniken. Oma hat vermutlich noch nicht Sprossen gezogen oder ihre Nussmilch selbst hergestellt. Aber beim Schreiben fiel mir schon auf, wieviel Wissen verloren gegangen ist. Oft dachte ich: Das ist zu banal, um es ins Buch zu schaffen. Tatsächlich sind die meisten Menschen aber bei vielen Dingen total unsicher.

Zum Beispiel?

Wenn Zwiebeln austreiben, schmeißen viele sie einfach weg. Dabei ist der Trieb quasi der Keimling, mit total wertvollen Nährstoffen drin. Das Grüne kann man wie eine Frühlingszwiebel verwenden. Mit dem Grün von Karotten oder den Blättern Kohl ist es ähnlich: Darin stecken oft noch mal ganz andere Nährstoffe, die man sich vorenthält, wenn man sie nicht verwertet.

Ich selbst hadere immer mit den Strünken von Brokkoli oder Kohl. Da fällt mir nichts dazu ein.

Die ganz holzigen Enden muss man ja nicht um jeden Preis mitessen. Es soll schon schmecken. Im Buch habe ich aber ein Rezept für Brokkoli, da koche ich die Strünke weich und mache eine cremige Nudelsoße draus, ergänzt mit Hanfsamen oder Nussmus kriegt die eine geradezu sahnige Konsistenz. Die Röschen brate ich knusprig an, mit Sojasauce und Sonnenblumenkernen und gebe sie oben drauf. So wird aus den zwei Komponenten des Brokkoli ein tolles Gericht.

Das probiere ich mal.

Einfach probieren, das ist sowieso mein Tipp. Ich habe zum Beispiel den Strunk vom Wirsing früher weggeworfen. Letztens habe ich ihn feingeschnitten und gekostet: total knackig und gut. Kreativität ist auch bei meinen Rezepten erlaubt: Die sind alle so abwandelbar, dass man mal die Petersilie durch Basilikum tauschen kann. Viele Menschen klammern sich ja aus Unsicherheit an die Zutatenliste. Mein Buch ist darum auch keine reine Rezeptsammlung.

Sondern?

Es ist ein Lesebuch, mit vielen kulturhistorischen Bezügen zu unserem Essen, und eine Art Nachschlagwerk. Wir haben schnelle Verwertungstipps zu 40 Lebensmitteln abgedruckt, auch zu den typischen Schrankhütern wie Getreideflocken, Hülsenfrüchten oder Nüssen. Man soll reinschauen können, wenn man sich fragt: „Was mache ich denn jetzt mit der Hirse?“ Dazu noch sehr viel Wissen, das hoffentlich mit der Zeit zu einfachen Gewohnheiten wird.

Zum Beispiel?

Im Winter kaufen die Leute gern diese abgepackten Küchenkräuter. Dann vergammelt der Rosmarin tagelang im Gemüsefach. Stattdessen könnte man Kräuter einfach gleich aufhängen und trocknen lassen. So halten sie Monate.

Nicht nur zuhause, auch in der Gastronomie müssten sich Routinen verändern. Sehen Sie da Besserung?

Da spüre ich definitiv den Wandel. Eine Freundin von mir macht Caterings und meinte, wenn sie vor ein paar Jahren noch ein Gericht vom Vortag aufs Mittagsbuffet gestellt hat, hätten die Leute die Nase gerümpft. Heute verstehen die meisten das und finden es gut. Etwas Aufgewärmtes schmeckt ja oft am nächsten Tag sogar noch besser.

Bei Ihren Zero-Waste-Dinners in Berlin sieht ja auch immer alles toll aus. Gibt es trotzdem Vorbehalte gegen das Reste-Essen?

Etwas höre ich immer wieder, wenn es um leicht müdes Obst und Gemüse geht: „Sind da nicht die Nährstoffe schon verloren?“ Da entgegne ich: „Wir ernähren uns ja nicht nur von schlappen Karotten.“ Wer viel Obst und Gemüse isst, auch wenn es mal ein bisschen älter ist, lebt immer noch gesünder als jemand, der ständig Pommes und Burger verdrückt.

Ist Zero-Waste denn außerhalb von solchen speziellen Formaten schon in der Gastronomie angekommen?

Wie immer gibt es ein paar sehr spannende Pioniere, die das weiter vorantreiben. Das Kopenhagener Fine-Dining-Restaurant Amass macht Zero-Waste-Küche auf ganz hohem Niveau: Sie verwerten alles bis auf die letzte Schale, fermentieren viel. Die haben insgesamt nur einen Wareneinsatz von 18 Prozent, das ist irre wenig im Restaurantbusiness. Ein Freund von mir betreibt in Berlin die beiden Cafés Isla Coffee, mit Kreislaufwirtschaft. Die verwenden sogar das, was vom Milchschäumen übrig bleibt und stellen noch Ricotta und Joghurt daraus her. Immer mehr Unternehmen erkennen, dass das was mit Wirtschaftlichkeit zu tun hat.

Da kommt also eine Zero-Waste-Welle auf uns zu?

Es tut sich jedenfalls was. In Berlin wird es auch immer mehr ein Thema, mit Beiprodukten aus der Lebensmittelindustrie zu arbeiten. Ich selbst experimentiere mit Okara, das ist ein Überbleibsel aus der Tofu- und Sojamilchproduktion. Je mehr davon in Deutschland erzeugt wird, desto mehr gibt es auch bei uns von diesen ausgepressten Sojabohnen. In Japan wird damit noch viel gekocht und gebacken, denn die sind immer noch sehr proteinreich. Sowas finde ich super spannend.

In Frankreich gibt es Gesetze gegen Lebensmittelverschwendung, bei uns wurden kürzlich zwei Lebensmittelretterinnen zu Sozialstunden verurteilt, weil sie den Abfallcontainer einer Supermarktkette geknackt haben. Wie sehen Sie das?

Ach, klar müssen wir auch politisch mehr erreichen. Erste Schritte gibt es: Angela Merkel hat in einer Videobotschaft kürzlich die Lebensmittelverschwendung zu einem Regierungsthema gemacht. Das hat mich sehr überrascht, finde ich natürlich toll. Alleine, dass die Bundeskanzlerin mal in einem Video an alle Bürger davon spricht, wie viele Liter Wasser für einen Kilo Rindfleisch gebraucht werden, ist doch großartig.

Aber?

Generell läuft in der aktuellen Regierungspolitik sehr viel auf freiwillige Selbstkontrolle hinaus. Das reicht nicht. Es muss für Unternehmen, auch für den Einzelhandel, einfach spürbar sein, dass Lebensmittelverschwendung teuer ist. Meinetwegen, weil es Strafen gibt. Aber auch steuerliche Vergünstigungen könnten ein Anreiz sein, ich bin ja immer eher ein Fan von Motivation.

Es gibt einen Vortrag von Ihnen mit dem Titel „Vegan retten wir nicht die Welt“. Wie meinten Sie das?

Ich koche vegan, das ist meine Basis und meine Überzeugung. Aber: Nur auf das Tierwohl allein dürfen wir nicht schauen. Wir müssen auch die soziale und ökologische Nachhaltigkeit berücksichtigen. Darum auch die Zero-Waste-Küche. Ähnlich ist es mit Bio: Es ist toll, dass Bio mittlerweile so im Mainstream angekommen ist, aber natürlich gibt es auch problematische Entwicklungen. Große Konzerne, die kleine Betriebe aufkaufen und deren Linie verwässern. Hochverarbeitete, dreifach verpackte Lebensmittel – was hat das noch mit Nachhaltigkeit zu tun? Aber ich bin optimistisch.

Warum?

In vielen traditionellen Bio-Familienbetrieben steht jetzt ein Generationenwechsel an. Da rücken wahnsinnig viele ambitionierte Juniorchefs nach, die sehr starke Werte vertreten und Kooperationen suchen. Mit der Bio-Senfmanufaktur Münchner Kindl habe ich einen neuen Senf entwickelt, die machen Bio seit rund dreißig Jahren. Und bleiben trotzdem nicht stehen. Aber auch in meiner Branche, in der Gastronomie, gibt es sehr viele, die mit den alten Methoden nichts mehr anfangen können, sei es mit der Verschwendung oder dem Sexismus in der Küche. Und diese Leute vernetzen sich, stärken sich gegenseitig den Rücken. Ich spüre: Da kommt ein Paradigmenwandel.

Zur Person: Sophia Hoffmann

Die Veganköchin, Kochbuchautorin und Foodbloggerin hat ein bewegtes Leben hinter sich: In München aufgewachsen, lebte sie eine Zeitlang in Wien und jetzt seit acht Jahren in Berlin. Nach dem Abi hat Sophia Hoffmann hier und da gejobbt, als DJ, Journalistin, Sängerin, Party-Veranstalterin und im Bio-Laden gearbeitet. Seit 2011 ist das vegane Kochen ihre Passion: Sie veranstaltet Kochkurse und Dinner-Abende, schreibt Bücher und veröffentlicht mit www.oh-sophia.net einen veganen Blog. Lest mehr in unserem ausführlichen Interview.

Sophia Hoffmann: „Bio ist einfach besser“
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