Essen

Schmeckt Bio wirklich besser?

Warum alte Gemüsesorten anders schmecken als herkömmliches Gemüse – und wie sie sich auf Gesundheit, Wohlbefinden und unsere Gefühle auswirken.

„Die meisten Gäste sind überrascht, wie gut Bio schmeckt“, erzählt Sabine Männle. Sie ist seit vier Jahren Küchenleiterin im Seminarzentrum Fünfseenblick in Bringhausen bei Kassel und bewirtet hier mit ihrem Team bis zu 60 Personen. Bei manchen Gästen würde es zwar auch mal einige Tage dauern, bis sie auf den Bio-Geschmack kämen. Aber am Ende des Aufenthalts seien immer alle begeistert. Kein Wunder, Gemüse und Obst kommen hier überwiegend aus dem eigenen bio-zertifizierten Garten, alles wird frisch zu köstlichen Gerichten verarbeitet. „Wenn ich die Saison bei Gemüse und Obst beachte und es vollreif ernte, ist die Aromenvielfalt besonders groß“, sagt Sabine Männle. Aber auch Bio-Lebensmittel, die zugekauft werden, überzeugen sie und ihre Gäste. „Die Unterschiede zu konventionellem Gemüse und Obst sind schon enorm." Und ganz nebenbei schont man damit auch noch die Umwelt.

Darum setzen viele Spitzenköche auf den Bio-Geschmack

So wie Sabine Männle und ihren Gästen geht es vielen, ob Bio-Profis oder Einsteigern in die Bio-Küche. Ihnen schmecken Bio-Lebensmittel aus ökologischer Landwirtschaft einfach besser als das übliche Essen. Das fand das europäische Ecropolis-Projekt mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus sechs Ländern heraus. Mehr als die Hälfte (55 Prozent) nahm bei Bio-Produkten einen besseren Geschmack wahr. Auch die Bio-Spitzenköche, eine Initiative des Bundesprogramms ökologischer Landbau, sowie der Berliner Spitzenkoch Vadim Otto Ursus sind der Meinung, dass Bio-Lebensmittel die schmackhaftere Wahl sind und setzen konsequent darauf.

Warum schmeckt Bio-Gemüse anders?

Allerdings zeigt Ecropolis auch: Nicht alle Bio-Produkte kommen an. „Die Vorerfahrung, also das, was wir von Zuhause gewohnt sind, spielt immer eine wichtige Rolle bei der Akzeptanz“, weiß Sabine Männle. Wer mit Bio-Essen aufgewachsen ist, mag es – und ist auch offen für Neues. Wer nicht, sagt schneller „Das schmeckt mir nicht“.

Das kann passieren, wenn sogenannte alte oder samenfeste Sorten wie Gurken, Kartoffeln oder Möhren gegessen werden. Sie sind zwar gesund, aber für unsere Geschmacksknospen manchmal recht bitter, anders als moderne Gemüse-Sorten, aus denen Bitterstoffe herausgezüchtet wurden. Kirsten Buchecker, Lebensmitteltechnologin und Projektleiterin für Sensorik an der Hochschule Bremerhaven, erinnert sich an ein Projekt, bei dem alte und bunte Kartoffelsorten auf den Prüfstand kamen. „Eine alte Sorte mit dem lieblichen Namen ‚Rosemarie’ schmeckte so bitter wie das Schmerzmittel Paracetamol. Das ging gar nicht."

Wie sich der Geschmackssinn verändert

Natürlich ist nicht jede alte oder samenfeste Sorte aus ökologischer Landwirtschaft so extrem im Geschmack wie Rosemarie. Aber anders eben schon. Doch Geschmack lässt sich ebenso wie gesunde Ernährung lernen. „Immer wieder probieren, dranbleiben“, rät Kirsten Buchecker. Sabine Männle weiß von ihrem Mentor, einem Bio-Spitzenkoch, dass es rund sieben Versuche braucht, um herauszufinden, was schmeckt und was gar nicht geht. Denn auch das kann natürlich sein: dass etwas gar nicht akzeptiert wird, es also nicht möglich ist, sich an unliebsame Aromen auf der Zunge zu gewöhnen.

Werden Bio-Fertigprodukte nicht als leckerer oder besser empfunden, kann es aber auch an der Rezeptur liegen. Sehr dominante Zutaten (zum Beispiel viel Branntwein im Bio-Tomatenketchup) verwischen die geschmacklichen Vorzüge wie einen sehr tomatigen Geschmack, den Bio-
Tomatenmark – Basis für Tomatenketchup – eigentlich hat. Das ergab eine Studie des Instituts für Lebensmitteltechnologie und Bioverfahrenstechnik (ILB) der Hochschule Bremerhaven unter Leitung von Kirsten Buchecker. Hier spielt immer auch die Erwartung mit rein, ergab das Ecropolis-Projekt. Wenn Konsument:innen meinen, die Bio-Würstchen oder Öko-Karotten schmecken besser, tun sie das auch. Oder eben nicht.

Interview: Was macht den Bio-Geschmack aus?

Kirsten Buchecker ist Lebensmitteltechnologin und Lehrbeauftragte für Lebensmittelsensorik an der Hochschule Bremerhaven.

Schmeckt Bio nun besser oder nicht?
Kirsten Buchecker: Bio ist nicht für jeden und jede leckerer. Geschmack ist etwas sehr Subjektives. Entscheidend ist immer die sensorische Prägung, das heißt, wir mögen, was wir gewohnt sind. Ich lasse meine Studenten zu Beginn des Studiums immer Erdbeer-Joghurt probieren, drei sind konventionell mit viel Aroma, einer ist Bio mit dem natürlichen Geschmack von Früchten. Die konventionellen Joghurts kommen anfangs meist besser an. Doch mit der Zeit werden die Studis bio-affiner und sagen dann, der konventionelle Joghurt schmecke ihnen vergleichsweise zu intensiv.

Dann mundet Bio einfach anders?
Ja, sicher. Nicht nur die ökologischen Rohstoffe schmecken oft aromatischer. In fertigen Produkten sind weniger Zusatzstoffe drin und natürliche Aromen, die nicht aus der namensgebenden Frucht stammen, sind nicht mehr erlaubt. Das alles wirkt sich geschmacklich aus. Zudem können Schwankungen in der Rohstoffqualität nicht so einfach ausgeglichen werden. Dies ist bei der Entwicklung von gut schmeckenden und gesunden Bio-Produkten eine echte Herausforderung. Im Projekt ReformBio entwickeln wir zurzeit Fruchtjoghurts mit weniger Zucker. Wir arbeiten hier mit Foodpairing, also bestimmten Kombinationen aus z.B. Erdbeere und Apfel. So erhält man ein intensiveres Erdbeeraroma und braucht weniger Zucker.

Warum schneiden Bio-Produkte in Tests schlechter ab als konventionelle?
Wenn Produkttester vor allem konventionelle Lebensmittel testen, kann das zum Nachteil der Bio-Bewertung sein. Süßungsmittel wie Honig oder Agavendicksaft schmecken anders, auch Säfte aus alten oder samenfesten Sorten haben ihre Besonderheiten. Testpanels sollten darum auch dahingehend geschult werden, dass Bio-Produkte anders sind und dies muss mit dem Ergebnis verbunden werden. Doch viele Tester sind inzwischen sensibilisiert.

Darum sind Bio-Lebensmittel gesünder

Guttun und gesund sein sollte die Bio-Kost aber auch, sonst sind wir nicht bereit, dafür Geld auszugeben. Zwar kam eine Studie der Stanford Universität von Kalifornien zu dem Schluss, dass Bio-Produkte keine gesundheitlichen Vorzüge haben. Bio enthalte nicht deutlich mehr an Vitaminen und Mineralstoffen. Doch die Untersuchung hatte mehrere Haken. Sie unterschied nicht nach den Bio-Anbauweisen, also zwischen Verbands-Bio à la Demeter und Bioland und EU-Bio. Und auch die Region, der Standort oder Zeitpunkt der Ernte der Bio-Waren wurden nicht berücksichtigt. Faktoren, die sich allesamt auf die inneren Werte von Lebensmitteln auswirken. Vollreif geerntet etwa, enthalten Tomaten oder Salat mehr Vitamine und Mineralstoffe.

Gesünder ist Bio-Ernährung allein deshalb, weil bei ökologischer Landwirtschaft nicht mit giftigen Substanzen gespritzt wird. Basics wie Gemüse, Obst, Flocken, Nüsse und Hülsenfrüchte, aber auch Fertigprodukte, enthalten in der Regel keine Rückstände von Pflanzenschutzmitteln. Das belegt das jährliche Öko-Monitoring des Chemischen und Veterinäruntersuchungsamtes Baden-Württemberg. In der aktuellen Untersuchung von 2021 wurden, wenn überhaupt, nur Spuren von Spritzmitteln gefunden. Gut für die Gesundheit, für die Umwelt – und damit auch fürs Klima.

Das wiederum hat gerade in Zeiten knapper Kassen den Vorteil, dass nichts weggeworfen werden muss. Küchenleiterin Sabine Männle kocht aus den Blättern, Schalen und Strünken regelmäßig eine kräftige Gemüsebrühe, die wiederum Grundlage für Suppen und Soßen ist. Gerade die äußeren Teile der ökologischen Pflanzen seien besonders aromatisch, schwärmt sie. Reich an herzgesunden sekundären Pflanzenstoffen sind sie auch. So kommen Geschmacksqualität, Gesundheit und Umweltschutz zusammen.

Wie sich Bio-Essen auf die Gefühle auswirkt

Besonders wohltuend ist Bio zudem, wie die sogenannte Wirksensorik zeigt. Das ist eine jüngere Forschungsrichtung, die die Wirkung von Lebensmitteln auf das körperliche und emotionale Wohlbefinden untersucht. Dass Kaffee anregend und Alkohol entspannend wirkt, wissen die meisten. Doch auch jedes andere Lebensmittel hinterlässt eine Wirkung im Körper – wenn auch meist keine so intensiv wahrnehmbare wie der Pott Kaffee am Morgen oder das Glas Wein am Abend. So kann Essen entspannend wirken oder nervös machen, ermüdend oder anregend sein oder sich im Bauch warm oder kalt anfühlen. „Diese Wirkungen werden erst wahrgenommen, wenn wir das Lebensmittel geschmeckt haben. Darum sprechen wir auch von der Wirkung hinter dem Geschmack“, erklärt Dr. Uwe Geier, Geschäftsführer des Demeter Forschungsrings in Darmstadt. Er hat die Wirksensorik entwickelt und auf eine wissenschaftliche Grundlage gestellt.

In Darmstadt wurden schon diverse Lebensmittel wie Gemüse, Säfte, Energydrinks, Ketchups, Getreideflocken und Vollkornbrötchen wirksensorisch getestet. Gegenstand einer Untersuchung waren beispielsweise Säfte aus sogenannten samenfesten, also nachbaufähigen Sorten, sowie aus üblichen hybriden Sorten. Die Produkte wurden „blind“ verkostet, die Tester:innen wussten also nicht, was sie probierten. „Die Säfte aus samenfesten Sorten führten zu deutlich mehr Wohlbefinden als die der Hybridsorten.“ Schließlich wurde auch überprüft, ob bio und konventionell unterschiedlich wirken. Ebenfalls „blind“. „Die Unterschiede waren meist recht deutlich“, erklärt Uwe Geier. Die Bio-Varianten wurden von den geschulten Testpersonen viel häufiger als angenehm und wohltuend empfunden als die konventionellen.

Anleitung: Testen Sie die Wirkung von Lebensmitteln

  • Probieren Sie diesen Test zu zweit aus. Füllen Sie pro Person zwei verschiedene Mineralwässer in je ein Trinkglas.
  • Stellen Sie sich hin. Machen Sie zur Erhöhung der Wahrnehmung eine kurze Körperreise: Verweilen Sie mit geschlossenen Augen je einige Sekunden bei jedem Körperteil, beginnend beim Kopf, weiter über Arme, Rücken und Beine bis zu den Füßen und zurück.
  • Nehmen Sie einen Schluck aus einem der Gläser, lassen Sie den Geschmack vorbeiziehen. Dann spüren Sie: Wie fühlt sich das Wasser an? Wirkt es eher warm und weich oder kalt und hart, macht es wach oder müde? Wie geht es Ihnen damit? Verfahren Sie mit der zweiten Probe ebenso.
  • Schreiben Sie alles auf und tauschen Sie sich aus. Gibt es Überschneidungen?
  • Gute Proben für den Einstieg sind auch Karotten und Kartoffeln, Kaffee und Schwarztee oder Butter und Kokosfett. Sie alle zeigen eine relativ starke Wirkung.
Veröffentlicht am

Kommentare

Registrieren oder einloggen, um zu kommentieren.

Das könnte interessant sein

Unsere Empfehlung

Ähnliche Beiträge